Berlin: „Hippolyte et Aricie“

Premiere am 25.11.2018

Besser konzertant als so

Wundersam, unerhört, noch nie dagewesen- als das alles erwartete man nach einem Pressegespräch während der Probenzeit und auch noch beim Lesen des Programmhefts in den letzten Minuten vor der Premiere von Rameaus Hippolyte et Aricie in der Staatsoper im Rahmen des neuen Barock-Festivals an der Berliner Lindenoper, das sich jedes Jahr im November wiederholen wird. „Licht markiert die Körper im Raum nicht nur punktuell, sondern dehnt sich im weiteren Handlungsverlauf aus. Ein Tanzsolo folgt, in dem sich der Körper in die spektrale Lichtfläche hineinbegibt und durchdrungen wird- ein Ringen um den eigenen Halt im Verhältnis zu den Kräften der Natur, deren pulsierende Lichtkraft vom Innenraum des Spiegelkubus in den Außenraum übergeht und diesen regelrecht durchflutet.“ Davon war im Reich Plutos, von dem hier die Rede ist, nichts zu sehen, die Figuren steckten mit den Köpfen in Kugeln aus Leuchtstäben, so dass man die Gesichter nicht erkennen konnte, während im ersten Akt eher Erinnerungen an Luftangriffe und die suchenden Scheinwerfer der Flak geweckt wurden, im dritten Akt weniger der Spiegelsaal von Versailles als eine Plattform vom Eiffelturm zu erblicken war und es, wie bereits zuvor, im letzten Akt mit happy end wie in den vorhergehenden recht düster blieb, es von der Bühne und aus dem Zuschauerraum häufig dampfte und qualmte. Belästigungen des Publikums durch Licht- oder Laserstrahlen sind ebenso wenig etwas Bahnbrechendes wie die Spiegelung von Orchester und Zuschauerraum an der Rückwand der Bühne. Wenn das alles die heutige Vorstellung von „barock“ sein soll, dann gute Nacht Frau Welt mit der üppig geschmückten, blühenden Vorder- und der bereits in Verwesung übergehenden Rückseite.

Sicherlich ist Tanz in einer Barockoper nicht nur möglich, sondern beinahe unverzichtbar, aber bitte nicht nur im Halbdunkel und durchgehend in schwarzen Trikots. Zu verantworten hatte die Bühne Olafur Eliasson, dem auch die Kostüme wie aus Stanniolpapier für die Damen (silbern für Phédre, gülden für Aricie) und die mal gelb mal blau angeleuchteten Teller-Kopfbedeckungen für den Chor sowie eine Glitzerkugel für das Disco-Feeling zu verdanken sind, während Aletta Collins sich viel für die Tänzer, kaum etwas für die meistens zum feierlichen Schreiten verurteilten Sänger hatte einfallen lassen. Man wurde das Gefühl nicht los, hier sei alles daran gesetzt worden, aus einer wunderbaren Oper mit einer spannenden Handlung den Langweiler der Saison zu machen.

So lächerlich der Chor aussah, so wunderschön sang er in der Einstudierung durch Martin Wright. Hochbesetzt waren die drei Parzen mit Linard Vrielink, Arttu Kataja und Jan Martinik. Frische, junge Stimmen setzten Slávka Zámecniková und Serena Sáenz Molinero für Jägerin und Schäferin ein. Als heiser entschuldigen lassen hatte sich Peter Rose, der den Pluto sang, und bekam sofort die therapeutische Wirkung einer solchen Ansage in Form einer fast untadeligen Leistung zu spüren. Gepflegt sang Roman Trekel Tisiphone.

Fast durchweg mit farbigem, elegant geführtem, bruchlosem Bariton gab Gyula Orendt den Thésée, zeigte nur gegen Ende seiner Partie leichte Unsicherheiten. Einen sehr angenehm timbrierten lyrischen Tenor konnte Reinoud Van Mechelen für den Hippolyte einsetzen, für den er sicherlich auch mehr darstellerischen Aufwand hätte betreiben können, wäre das bei dieser Regie möglich gewesen. Auch Anna Prohaska als Aricie blieb es verwehrt, ihre Stärken als Schauspielerin auszuspielen. Ihr Sopran klang vor allem im ersten Teil streng, spröde und recht dünn. Erst in der Beschwörung der Nachtigall im letzten Akt fand sie zu lieblicheren Tönen. Ihren ausnehmend schön timbrierten Sopran setzte Elsa Dreisig für die Göttin Diane ein, viel Vibrato zeigte Adriane Queiroz als Vertraute der Königin.

Es wäre ein sehr trüber Abend geworden, wäre da nicht das Ehepaar Magdalena Kožená-Simon Rattle gewesen. Sie war eine stolze, leidenschaftliche Phédre und konnte mit bewundernswerter Stimmbeherrschung ihres fein schimmernden Mezzosoprans das Gefühlsleben der Königin von Liebessehnsucht über Rachedurst bis zu Reue und Resignation vermitteln. War sie auf der Bühne, dann hielt man den Atem an.

Für Sir Simon Rattle war es ein lang gehegter Wunsch, einmal das Freiburger Barockorchester zu dirigieren. Er führte es an diesem Abend zu straffem, Natur- wie Seelenregungen fein nachzeichnendem Spiel und stellte der Eintönigkeit der Bühne akustischen Farbenreichtum gegenüber. Eine konzertante Aufführung wäre wahrscheinlich stück- und publikumsdienlicher gewesen, weil man sich gleich auf die Musik allein konzentriert und nicht noch am Grabe einer verkorksten Inszenierung die vergebliche Hoffnung auf Besserung aufgepflanzt hätte.

Fotos Karl und Monika Forster

25.11.2018 Ingrid Wanja