Berlin: „Medée“

Premiere am 7.10.2018

Wie gehabt: Fiese Szene zu opulentem Hörgenuss

Was haben Wozzeck und Medée, zumindest auf Berliner Opernbühnen, gemeinsam? Lebensechte, riesige Gäule, in der Staatsoper sogar zwei, allerdings einer ohne Kopf, der neben dem Torso liegt. Und was findet man sowohl in Wozzeck wie in Medée als auch in Die tote Stadt, letztere in der Komischen Oper? Viele graugesichtige Männer in modernen Straßenanzügen , so dass man fast glauben möchte, es gebe keine Kostümbildnerei mehr, die Bühnen versorgten sich je nach Anspruch im Outlet-Shop oder beim Maßschneider in der Friedrichstraße. Des Rätsels Lösung sind die Gedanken, die man sich im Produktionsteam, insbesondere in der jeweiligen Dramaturgie über das jeweilige Stück gemacht hat. Die führten in der Staatsoper, wo Andrea Breth bei Cherubin is Medée Regie führte, einmal mehr zu „Sexismus“, „Raubkunst“ und „Lehman Brothers“. Man muss einfach zitieren, um den Schwachsinn, dessen Produkt eine extrem hässliche Bühne (Martin Zehetgruber) mit Rostflecken an den Entlüftungsgeräten, riesigen Rolltüren wie bei Großgaragen und vielen Kisten, wohl auch mit Raubkunst gefüllt, ist, in seinem ganzen Umfang deutlich zu machen: „Fotos von kriegsbedingter Verschleppung und Archivierung von Kunstwerken während der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Angriffskriege waren hierfür das Assoziationsmaterial.“

Da scheint dem Autor im Eifer des aufklärungswütigen Gefechts entgangen zu sein, dass auch Medeas Vater auf recht unschöne Weise in den Besitz des Goldenen Vlieses kam, also kaum sein rechtmäßiger Besitzer war. Da aber wichtiger der Gegenwartsbezug auf Teufel komm heraus als ein solides Quellenstudium zu sein scheint, sehen auf Berliner Bühnen alle Produktionen, egal ob in der Antike, im Biedermeier oder später spielend, irgendwie gleich aus und verkünden die gleiche Botschaft von der schlechtesten aller Welten, in der jeder noch ein bisschen fieser ist, als es das Libretto vorsieht. Die Begleiterinnen malträtieren Dircé, Jason poussiert bereits mit einer derselben, Créon fummelt an Medée, die inmitten von so viel Schmutz fast schon zur Lichtgestalt im Ökoumhang (Kostüme Carla Teti) wird.

Eher folgen als beim Entwurf des ideologischen Hintergrunds zum Stück kann man den Bemühungen um eine brauchbare (französische) Fassung des Opern- Zwittergeschöpfs, das als opéra comique angelegt war.

Die jetzige Knappheit der gesprochenen Texte und ihre Lösung aus dem Korsett des Alexandriners befreit das Werk von allem Hohltönendem und lässt, obwohl sehr viel mehr Musik geboten wird als bei den Aufführungen in Italienisch mit Maria Callas, das Stück als nicht zu lang erscheinen. Ein Verdienst der Regisseurin ist es sicherlich auch, dass sie die Sänger zu einem eher untertreibenden, auf gar keinen Fall pathetischen Sprechen angehalten hat.

Und zum Glück gibt es ja auch noch die Musik und ihre Interpreten, die die Vorstellung zumindest partiell genussvoll gestalten. Die Ouvertüre erklingt unter Daniel Barenboim ungestört durch „Inszenierung“ und in einem schönen Spannungsverhältnis zwischen Zögern und letztendlich dem Untergang Entgegeneilen, ein prachtvolles, funkelndes Gemälde stemmt sich mit Erfolg der szenischen Tristesse entgegen und trägt schließlich den Sieg davon. Idiomatisch am sichersten sind der Jason von Charles Castronovo und die Dircé von Elsa Dreisig. Der Tenor klingt im ersten Akt besonders im Passaggiobereich noch etwas beklommen, entfaltet dann aber die noble Pracht seines dunkel gefärbten Tenors aufs Schönste. Strahlend hell wie ihr Glitzerkleid triumphiert der Sopran der jungen Sängerin, die leider im zweiten Teil nur noch schön aussehen, aber nicht singen darf.

Der Vergleiche mit der Callas hat es genug gegeben, aber mit anderen wie der Rysanek, Jones oder Silja kann sich die Bulgarin Sonya Yoncheva durchaus messen. Die Stimme ist in allen Lagen gleich potent, gehorcht allen Intentionen der Sängerin, kann in der Höhe schön aufblühen, ist hochpräsent in der Tiefe, und auch die Sprechstimme ist selbst im Flüsterton angenehm. Darstellerisch fordert ihr die Regie viel ab, was die vokale Leistung in keiner Weise beeinträchtigt. Ein Hochgenuss ist die Arie ihrer Begleiterin Néris, ein Wunder an schöner Ebenmäßigkeit, Wärme und Wohllaut, das Marina Prudenskaya zu verdanken ist. Bassbräsig gibt Iain Paterson den Créon, zart schimmernd bzw. warm gerundet ergänzen Sarah Aristidou (Nr. 1) und Corinna Scheurle (Nr.2) als Begleiterinnen das Ensemble.

In acht Tagen drei Premieren in Berlin mit etwa gleichem Ergebnis: musikalisch ansprechend bis bewundernswert, szenisch enttäuschend bis unerträglich.

Fotos Bernd Uhlig

8.10. Ingrid Wanja