Berlin: „Macbeth“

Premiere am 17.6.2018

Tristes Menschenbild

Was haben alle drei Berliner Opernhäuser gemeinsam? Erstens: Sie hatten am Wochenende ihre letzte Premiere der Saison. Zweitens: Alle drei wählten ein Stück mit happy end, denn in Il Viaggio a Reims (DOB) fahren die europäischen Adligen vergnügt nach Paris, wo es wie im verpassten Reims Krönungsfeierlichkeiten gibt, in Die Nase (KOB) kehrt der Titelheld zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück, und in Macbeth feiert das Volk gemeinsam mit seinen Befreiern ein neues, glücklicheres Zeitalter (StOp). Drittens: Alle drei Opernhäuser bzw. deren Regisseure entschlossen sich für ein tristes Ende: Die Hotelgäste reisen nicht ab, die Nase büxt wieder aus, und Macduff und Malcolm versuchen sich gegenseitig die Schärpe, Zeichen der königlichen Macht, zu entreißen. An die Stelle des „Salve il re“ tritt die Schlussarie des Macbeth aus der Urfassung, die Verdi nicht ohne Grund in seiner Überarbeitung der Oper getilgt hatte. Miesepetrigkeit also allerorten in der Opernlandschaft, was immer ein Zeichen dafür ist, dass es den Leuten (zu?) gut geht.

Bei der Bekanntgabe des Spielplans der Staatsoper für die Saison 2017/18 hatte man sich gewundert, dass es einen neuen Macbeth geben sollte, obwohl doch der Mussbachsche auch mit Placido Domingo bereits erfolgreich gelaufen war und sich als noch frisch erwiesen hatte. Man hatte einen Freundschaftsdienst Barenboims für den Bariton vermutet, der sich vielleicht eine traditionelle Inszenierung, wie bereits mit Simon Boccanegra praktiziert, gewünscht hatte. Altersweisheit und –milde würden es vielleicht Harry Kupfer gestatten, ein Stück so zu inszenieren, wie es sich Librettist und Komponist gedacht hatten, aber stattdessen wurden nur wieder die ollen, zum Überdruss altbekannten Regiekamellen auf die Bühne gezerrt: moderne Potentaten (Südamerika?), Kirchenmänner im Dienste der Mächtigen, Fluchtkoffer, Schlapphüte, Maschinenpistolen anstelle einer spannenden Personenführung, Scheindramatik durch Feuer und Rauch, Blitze, Lavaströme und wenns fröhlich werden soll Feuerwerk- alles als Videoprojektion (Thomas Reimer).

Und weil man mit Überirdischem nichts anfangen kann, werden aus den Hexen leichenfleddernde Bettelweiber und den Luftgeistern Krankenschwestern (hätte man auch von der DOB ausleihen können). Der Mitstreiter aus alten Zeiten, Hans Schavernoch, setzt ein modernes, sparsam mit Sofa und Sessel in weißem Leder möbliertes Gemach vor eine Videowand mit mittelalterlichen, zerfallenden Gebäuden oder karger Natur. Am spärlichen Mobiliar wird dann viel gerückt, herein- und hinausgetragen, und damit nicht alles nur schwarz, weiß oder grau ist, gibt es ein klitzekleines rotes Rinnsal an der Tür zu Duncans Schlafgemach. Für Banquos Ermordung wird eine riesige Baggerschaufel auf die Bühne gewuchtet, sieht man im Hintergrund Lichter einer modernen Großstadt- aber wozu und warum? Wenn man mit dem technischen Gerät wenigstens die Leiche des Unglücklichen entsorgt hätte.

Schwarze und weiße Prunkuniformen hat Yan Tan für das Militär entworfen, wobei die Weißen sich zunächst einem Macbeth als König widersetzen wollen. Placido Domingo wird von seiner Prunkuniform fast erschlagen, Banquo und Macduff konkurrieren ebenfalls mit eventuell auch sowjetischen Generälen, Anna Netrebko darf attraktiv bleiben, das Volk auf der Flucht sieht mehr nach europäischen Vierzigern aus. All das könnte, da seit Jahrzehnten die Bühnen verunzierend, aus dem Fundus rekrutiert worden sein. Ist es aber bestimmt nicht.

Erschreckt aufgehorcht hatte man bei den ersten Takten der Musik, denn Daniel Barenboim setzte bei der Sinfonia auf extreme Kontraste, was Lautstärke und Tempi betraf, was dem Fluss der Melodie nicht gut tat, fand aber im Verlauf der Vorstellung zu einer auch besonders sängerfreundlichen Darbietung mit der Berliner Staatskapelle. Hochdramatisch gelang ihr und dem Chor insbesondere das Finale des ersten Akts und das Patria oppressa.

Ob das „ausverkauft“ bereits kurz nach Beginn des Kartenverkaufs vor allem Placido Domingo oder Anna Netrebko geschuldet war, ist nicht festzustellen, wohl aber, dass der Sopran die schwierige Partie souverän meisterte, bereits im „Ambizioso spirit‘“ mit dunkler Mittellage, der Rolle angemessen recht hart klingender ja stellenweise schneidend klingender Stimme, dazu agogikreich begeistern konnte, später Intervallsprünge meisterte und stets die Stimme ins Piano zurückkehren ließ. In der Nachtwandlerszene schließlich schaltete sie souverän um vom Grellen ins Ätherische und verließ die Bühne mit einem überirdisch schönen Spitzenton. Puren Bass-Balsam ließ Kwangchul Youn als Banquo vernehmen. Mit beglückender Italianità, mit einem Tenor ohne Registerbrüche, mit wunderschöner Farbe und unbegrenzter Fülle sang Fabio Sartori seine Klage über die versagt habende Mano paterna. Das war purer Hörgenuss! Daneben konnte natürlich Florian Hoffmann als Malcolm nicht bestehen. Evelin Novak stützte in den Ensembles und ließ vor der Wahnsinnsszene ein schönes Timbre vernehmen. Dominik Barberi klang sonor als Medico. Placido Domingo gab einen kraftvollen, aber zu Nuancierungen und Facetten wenig fähigen Macbeth, klang im Duett mit dem Bass doch wieder wie beim ersten Simone zu tenorlastig, und besonders im „Pietà, rispetto, amore“ vermisste man neben der schieren Bewältigung souveränes Gestalten im Sinn von agogikreichem Singen. Mit der Ausgrabung der Schlussarie der 47er Fassung zuungunsten des Chores tat man ihm keinen Gefallen. Aber auch er wurde –und das mit einigem Recht- gefeiert und konnte sich zudem über den Sieg der Mexikaner über Deutschland freuen.

Wie bereits am Tag zuvor ein Konzert mit Daniel Barenboim war das Ereignis auch der bereits Tradition gewordenen Staatsoper für alle, d.h. auf dem Bebel-Platz neben dem Haus konnten auf einem Riesenbildschirm leicht zeitversetzt Tausende am Ereignis teilhaben, am Schluss sogar den auf dem Platz erscheinenden Mitwirkenden Beifall spenden. Der Preis waren allerdings umfangreiche Absperrungen rund um die Staatsoper, was lange Fußwege für die Besucher zur Folge hatte. Aber daran ist man in Berlin gewöhnt.

Fotos Bernd Uhlig

18.6.2018 Ingrid Wanja