Berlin: „Tristan und Isolde“

Premiere am 11.2. 2018

Nacht der Liebe auf zwei Cocktailsesseln

Immer die höchste Alarmstufe ist angesagt, wenn nicht der Dramaturg, sondern der Regisseur höchst selbst im Programmheft die Handlung erzählt, will er doch dem nicht wissenden Teil des Publikums weismachen, was er auf die Bühne bringe, stünde so auch im Libretto. Im Fall von „Tristan und Isolde“ in der Staatsoper, inszeniert von Dmitri Tcherniakov, ist die Sorge unbegründet, denn der misstrauische Leser findet keinen Anlass, den Textverfasser der Entstellung zu zeihen. Der geht diesmal viel subtiler ans Werk als beim Parsifal, wo er urplötzlich den gütigen Gurnemanz zum Meuchelmörder an Kundry werden ließ.

Diesmal ist ein Stein des Anstoßes eine „Nacht der Liebe“, in der sich Tristan und Isolde in zwei netten Cocktailsesseln gegenüber sitzen, er offensichtlich dozierend über die Liebe, sie aufmerksam zuhörend und wohl auch gelehrig seine Äußerungen zur Kenntnis nehmend und damit den etwas arroganten Beifall ihres Lehrers provozierend. Dagegen hätte König Marke eigentlich nichts einzuwenden haben dürfen, auch nicht wenn Tristan zum Stelldichein mit Isolde mit Sektfalsche und Fingerfood von der königlichen Tafel erschienen ist, was von Marke nicht unbemerkt bleibt. Zudem hätte er ja auch gar nichts sehen können, denn er sitzt mit dem Rücken zur gar nicht anstößigen Szene in fröhlicher Gesellschaft von Jägern und deren Gefährtinnen, die allesamt nur einmal kurz zu einem Landgang samt Jagd aufgebrochen waren.

Nicht nur der erste, auch der zweite Akt spielt offensichtlich auf einem Schiff, das, seiner eleganten Ausstattung nach zu urteilen, mindestens mit der Aida mithalten kann, die Offiziersmesse, in der sich zeitweise auch Isolde und Brangäne aufhalten, ist mit edlem Holz getäfelt, moderne Bürostühle machen es möglich, dass man trotz der erklärten Vorliebe zum Sitzen durch Umherrollen Bewegung vortäuschen kann, und viel weißes Leder der erwähnten Sessel zu Wänden mit Motiven von Bäumen im Jugendstil im zweiten Akt unterstützen den Eindruck von kühler moderner Eleganz. Die Fortbewegung des Schiffs kann man zwar nicht durch Bullaugen, wohl aber auf einem Flachbildschirm verfolgen. Im dritten Akt dann muss man feststellen, dass Tristans Erbe sträflich vernachlässigt wurde, will man nach der schäbigen Behausung mit rostigem Ventilator an der Decke und schmuddeligen Tapeten urteilen. Alles in allem konterkariert die kühle Optik, sei es das Bühnenbild, sei es das Verhalten der Personen (auch Marke beklagt sich gern im Sitzen und oft hat man eher den Eindruck von small talk als den von intensiver Auseinandersetzung) die Leidenschaftlichkeit der Musik. Das Erscheinen von Tristans Eltern im dritten Akt kann man nur als so überflüssigen wie unangemessenen Gag ansehen, und warum sich Isolde zum Schluss den Wecker stellt und sich zur Totenwache neben den Leichnam Tristans auf dessen Totenbett setzt, weiß wahrscheinlich nicht einmal der Regisseur selbst.

Dankbar war man dafür gewesen, dass das Vorspiel zum ersten Akt bei geschlossenem Vorhang stattfinden konnte und die herrliche Musik, die von der Staatskapelle unter Daniel Barenboim in fast bis zur Unerträglichkeit gesteigerten Intensität, rauschhaft und von edelstem Klang, spannungsreich trotz getragener Tempi dargeboten wurde, ihren ganzen Zauber entfalten konnte. Es fällt einem schwer zu glauben, dass es im Sinn des Dirigenten sein kann, wenn die Wirkung der Musik zumindest beeinträchtigt, wenn auch in diesem Fall nicht, wie sonst allzu oft, zunichte gemacht wird. Tcherniakov scheint eher ein talentierter Innenarchitekt denn ein Regisseur mit der Begabung zur Personenführung zu sein. Ihn traf dann auch zum Schluss der Unmut des Publikums.

Die modernen Kostüme, für die Damen Hosenanzüge, stammen von Elena Zaytseva. Wenn derart kostümierte Geschöpfe von Eigenholden, von Minne reden und in der auch für Wagners Zeit bewusst altertümelnden Sprache miteinander umgehen, wirkt das nicht selten ungewollt (?) komisch. Die zum Glück sparsam eingesetzten Videos hat Tieni Burkhalter zu verantworten, wobei nachdenklich stimmt, dass Tristan an der Stirn blutet, obwohl Melot ihn erwürgen wollte.

Zum Glück gibt es neben der großartigen Orchesterleistung auch eine zumindest teilweise ebenbürtige der Sänger. Ein unermüdlicher Tristan ist Andreas Schager mit einer wirklichen Tenorstimme, kein Bariton mit guter Höhe, zwar nicht von noblem Timbre, aber mit durchdringender Fanfare für die hohen Töne und auch noch im dritten Akt ohne erkennbares Zeichen von Ermüdung. Seine gute Diktion verdient eine gesonderte Erwähnung. Über die verfügt auch der Marke von Stephen Milling, wenn auch nicht über den schönen dunklen Fluss der Klage, die man sonst an diesem Haus in der Partie hörte. Wahrscheinlich war er selbst mit seiner Leistung nicht zufrieden, ließ sich vor dem 3. Akt als indisponiert ansagen. Anja Kampe passt schon einmal von der Optik her, überzeugt aber vor allem mit einem auch in der Mittellage sehr farbigen Sopran mit schönem Leuchten in der Höhe. Sie weiß feine Ironie („Was hast du mir zusagen?“) ebenso auszudrücken wie die Verzauberung bei „er sah mir in die Augen“, wird erst zum Ende des zweiten Akts hin etwas schärfer in der Höhe und ist im dritten Akt nicht frei von Ermüdungserscheinungen. Der ihren recht ähnlich ist die Stimme von Ekaterina Gubanova als Brangäne, auch wenn das Zentrum der Stimme tiefer liegt. Ihr Wachgesang ist pure Vollkommenheit.

Mit Hosenträgern dokumentiert der Kurwenal von Boaz Daniel sein treu-derbes Wesen, und so klingt auch sein Bariton knorrig und ein wenig ungeschliffen. Stephan Rügamer kann sich trotz seiner knappen Auftritte vokal wie darstellerisch profilieren. Adam Kutny hat einen hübschen Tenor mit auffallendem R für Steuermann und Seemann. Linard Vrielink ist ein anrührender Hirt. An der Staatsoper gab es in den vergangenen Jahrzehnten vier Tristan-Produktionen, davon die drei letzten einstudiert von Daniel Barenboim, der auch den Götz-Friedrich-Tristan an der DO aus der Taufe hob. Meine persönliche Rangfolge ist Kupfer, Fischer, Tcherniakov, Bachmann mit Gummimembran , also: Der drehbare Todesengel sollte noch nicht verschrottet werden!

Dank für die schönen Bilder an (c) Monika Ritterhaus

12.2.2018 Ingrid Wanja

Das schreiben die Kollegen

Isolde macht das Licht aus… WELT

Heiteres Sterberaten CICERO

Wer wird Dschungelkönig – null Sterne für Tristan JUNGE WELT