Braunschweig: „Der hinkende Teufel“, Jean Françaix / „Die Geschichte vom Soldaten“, Igor Strawinsky

Der französische Komponist Jean Françaix (1912-1997), 1979 Spohr-Preisträger  der Stadt Braunschweig, fand mit Instrumentalwerken mehr Anklang als mit seinen wenigen Beiträgen zum Musiktheater. Dazu gehört die bereits 1937 entstandene, mit rund zwanzig Minuten ganz kurze, komische Kammeroper „Der hin­kende Teufel“, die zurückgeht auf den gleichnamigen Schelmenroman von Alain-René Lesage: Zambullo lässt sich vom Teufel durch die nächtlichen Gassen von Madrid führen; dort sehen sie Ehebrecher, leichte Damen und eine brave Anwaltstochter, die ausgerechnet ihren alles andere als ehrlichen Vater zum Thema ihres Aufsatzes „Der ehrliche Mann“ macht. Mit Witz und spitzer Zunge kommentiert der Teufel das Treiben, jedoch ohne einzugreifen. Am Schluss verschwindet er in einem furiosen Hexensabbat, der deutlich macht, dass alles nur ein Traum war.

Im weiteren Sinne gehört „Die Geschichte vom Soldaten“ (Originalbezeichnung: „Lue, jouée, dansée et en deux parties“ – Gelesen, gespielt, getanzt und in zwei Teilen‘) von Igor Strawinsky (1882-1971) in den Bereich des Musiktheaters, obwohl in dem Stück nicht gesungen wird. Das 1918 uraufgeführte Werk ist ein Wanderbühnenstück, das mit extrem reduzierten Mitteln auskommt: Es besteht aus einem Vorleser, zwei Schauspielern, einer Tänzerin und sieben Musikern. Für den Text griff man zurück auf zwei Geschichten aus einer Sammlung russischer Märchen von Alexander Afanassiew. Der Text wird teils in Gedichtform vom Vorleser zusammen mit der Musik rhythmisch deklamiert, teils vom Vorleser und den Schauspielern (Soldat, Teufel) als Drama gesprochen (wobei der Vorleser meist in Reimen und der Teufel nur im Dialog mit dem Soldaten spricht).

Zum Inhalt: Ein Soldat tauscht mit dem Teufel seine Geige gegen ein Buch, das große Reichtümer verspricht; dazu muss er dem Teufel binnen drei Tagen das Geigenspiel beibringen. In Wahrheit vergehen jedoch drei Jahre, so dass der Soldat als fahnenflüchtig gilt. Wieder zu Hause angelangt, wird er weder von seiner Mutter noch von den Dorfbewohnern wiedererkannt, und seine Braut ist anderweitig verheiratet. Er zieht in die Ferne und wird mit Hilfe des Buches unermesslich reich, doch das Geld macht ihn nicht glücklich. Stattdessen wünscht er sich, durch sein Geigenspiel die kranke Prinzessin zu heilen. Bei einem verlorenen Kartenspiel mit dem betrunkenen Teufel bekommt er zwar die zur Heilung notwendige Geige wieder, doch dafür darf er seine Heimat nicht mehr betreten. Er macht die Prinzessin gesund, und sie werden ein Paar. Als er die Heimat wieder betritt, wird er vom Teufel bereits erwartet, der nun seinen Lohn fordert (man kann auch lesen, dass es offen bleibt, ob der Soldat dem Teufel in sein Reich folgt).

© Björn Hickmann    Maximilian Krummen / Martin Koch

Inhaltlich gibt es abgesehen vom Teufel zwischen den beiden kurzen Musiktheater-Stücken keine Gemeinsamkeiten. In Braunschweig wurden sie äußerlich hergestellt, indem das kleine Instrumenten-Ensemble rechts auf der Bühne Platz genommen hatte und die linke Seite vor großen, beweglichen und begehbaren  Quadern als Spielfläche für die anderen Akteure blieb (Bühnenbild: Renè Neumann, der auch für die in beiden Stücken farblich plakativen Kostüme sorgte). In der Francaix-Oper waren die Quader noch geschlossen; hier kamen Videos ins Spiel: Statt Madrid gab es Ausschnitte aus einem Braunschweiger Image-Film mit Bildern vom Dom, dem Burgplatz und anderem. Witzig die Idee, danach auf der Leinwand Handy-Bilder aus einer App „Devils Dates“ zu zeigen. Da französisch gesungen wurde, war es jedoch nicht ganz einfach, den auf den Obertiteln zu lesenden Text immer zu erfassen und mit den Bildern in Einklang zu bringen. Jedenfalls gefielen die beiden spielfreudigen Sänger, aus dem Braunschweiger Ensemble Maximilian Krummen als Zambullo, der wie gewohnt brillierte. Ebenbürtig war der Kölner Gast Martin Koch, der im silberglänzenden Seidenanzug den Teufel mit  variantenreichem Tenor versah.

© Bjö rnHickmann  Krista Birkner / Stefan Liebermann

In der „Geschichte vom Soldaten“ sah man an den Quadern Bilder von Max Beckmann, was wohl die Kooperation zwischen dem Staatstheater und dem Herzog-Anton-Ulrich-Museum (HAUM) verdeutlichen sollte, wo derzeit eine Ausstellung des Malers läuft, der einen Teil seiner Jugend in Braunschweig verbracht hat. Allerdings hingen die Bilder teilweise auf dem Kopf oder waren um 90 Grad verdreht, was sich nicht so recht erschlossen hat. Das gilt auch für die Malaktionen des Vorlesers  (mit prägnantem Erzähl-Rhythmus Benjamin Kempf), der zu einer längeren Zwischenmusik eine Leinwand mit breiten abstrakten Pinselstrichen zu versehen hatte. Wie überhaupt der Zusammenhang der Teufelsgeschichte mit der Binsenweisheit: „Geld macht nicht glücklich“ mit den Beckmann-Gemälden unklar blieb. Wenn die „Geschichte“ demnächst im HAUM aufgeführt wird, mag sich der Zusammenhang möglicherweise leichter erschließen. In der Fassung des Regisseurs der beiden Stücke Dirk Girschik wurde der Teufel von Krista Birkner darstellerisch beeindruckenddargestellt; warum es allerdings eine Frau sein musste, was ja an einigen Stellen des Textes, wenn vom „Alten“ oder von „ihm“ die Rede war, nicht passte, blieb ebenfalls unklar. Den Soldat gab mit vollem gestalterischem Einsatz Stefan Liebermann – wie auch die anderen beiden – leider nicht aus dem Braunschweiger Schauspielensemble. Die Choreografie des Tanzes zwischen dem Soldaten und der Prinzessin stammte von María Gabriela Luque aus dem Tanzensemble, die in der Premiere auch tanzen sollte. Da sie verhindert war, war ganz kurzfristig ebenfalls aus dem hiesigen Ensemble Mariateresa Molino eingesprungen, die besonders in dem verfremdeten Walzer nachhaltigen Eindruck hinterließ.

Bleiben noch die Musikerinnen und Musiker aus dem Staatsorchester zu nennen, die unter der präzisen und anspornenden Leitung des 1. Kapellmeisters  Mino Marani ihre jeweils solistischen, teilweise sehr anspruchsvollen Partien, angeführt vom Konzertmeister Felix Gutgesell hervorragend meisterten.

Das Premierenpublikum war von beiden Stücken sehr angetan und bedankte sich bei allen Mitwirkenden und dem Regieteam mit starkem, lang anhaltendem Beifall.

Gerhard Eckels, 5. Februar 2023


Staatstheater Braunschweig – Kleines Haus

„Der hinkende Teufel“ Komische Kammeroper von Jean Françaix

„Die Geschichte vom Soldaten“ Musiktheater von Igor Strawinsky

Besuchte Premiere am 4. Februar 2023

Inszenierung: Dirk Girschik

Musikalische Leitung: Mino Marani

Staatsorchester Braunschweig

Weitere Vorstellungen: 11.+12.2. „Geschichte vom Soldaten“ im HAUM, 15.,18.2. + 12.,24.3. + 6.,16.4.2023