Braunschweig: „Madama Butterfly“

Premiere am 3. Juli 2021 + Vorstellung am 4. Juli 2021 (Open Air auf dem Burgplatz)

Stark berührend

Julie Adams/anderer Pinkerton

Wie fast alle Open-Air-Events fiel im vorigen Jahr auch Puccinis Oper in Braunschweig der Pandemie zum Opfer. Jetzt aber konnte die traurige Geschichte von der mit dem amerikanischen Marine-Offizier „verheirateten“ Geisha aufgeführt werden, wenn auch nur – noch immer notwendig – mit eingeschränkter Besucherzahl. Es leuchtet nicht unmittelbar ein, dass die im fernen asiatischen Osten beheimatete Oper in das einmalige historische Ambiente neben dem romanischen Dom Heinrichs des Löwen passt. Dennoch ist dem Leitungsteam (Regie: Andrea Schwalbach, Bühnenbildner Stephan von Wedel und Kostümbildner Pascal Seibicke) eindrucksvolles, stark berührendes Musiktheater gelungen. Auf Elemente, die auf ein freundliches Japan mit lieblichen Gartenlandschaften voller Kirschblüten hinweisen, oder auf ein buntes Häuschen mit den im Text angepriesenen, verschiebbaren Bambuswänden, musste man allerdings verzichten. Vielmehr herrschten zunächst dunkle schwarz-rote Farben auf den zum zentralen Podest aufsteigenden Spielflächen vor. Erst zur Hochzeitsfeier gab es mit ausladenden, fernöstlich anmutenden Gewändern und riesigen Kopfmasken (ein besonderes Lob für die Masken-Abteilung!) so etwas wie eine folkloristische Atmosphäre. Zugleich wurde überdeutlich, dass diese Hochzeit eine Farce war, die der amerikanische Marineoffizier Pinkerton bezahlt hatte. Dass sich Cio-Cio-San völlig von den Traditionen, sogar von der hergebrachten Religion, losgesagt und sich allein auf ihn eingelassen hat, das konnte er nicht ahnen; erst Jahre später, wenn er seiner amerikanischen Ehefrau Kate alles zeigen will, wird ihm die ganze Tragweite bewusst.

All das kam durch lebhafte, stets glaubwürdige Personenführung der Protagonisten durch die erfahrene Regisseurin wirkungsvoll zur Geltung. Einige der Inszenierungsideen seien beispielhaft hervorgehoben: So tritt der Konsul Sharpless deutlich angeheitert auf, was sich im weiteren Verlauf von selbst erklärt; denn wie viele solcher Schein-Hochzeiten seiner Landsleute mag er schon erlebt haben; das ekelt ihn alles an, und er kann es nur mit Alkohol ertragen.

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Cio-Cio-San sich bereits aus den starren japanischen Konventionen entfernt hat, zeigt sich, wenn sie sich nach den Hochzeitsformalitäten des mit übertrieben vielen Rüschen in Bonbonfarben versehenen Kleides entledigt und ein elegantes Faltenkleid westlichen Zuschnitts zum Vorschein kommt.

Christiana Oliveira/Angelos Samartzis

Als die Zeremonie beendet, Onkel Bonze seinen Fluch los geworden und das Paar allein ist, stört die anfangs merkwürdig albern auftretende Suzuki die beiden in ihrem wunderschönen Liebesduett, indem sie Stühle rückt und auch sonst herum wieselt; das passt nicht und ist überhaupt nicht witzig. Im zweiten Teil liegt die bei der Hochzeitszeremonie am Boden ausgebreitete amerikanische Flagge verdreckt auf der Spielfläche herum; auch beschädigte Masken zeigen, dass es Cio-Cio-San zunehmend schlechter geht. Jetzt wird deutlich, dass Suzuki nicht die Dienerin der früheren Geisha, sondern eine Vertraute ist, die sich z.B. um das Kind im besonderen Maße kümmert. Anders als im Libretto ist dieses Kind jetzt ständig auf der Bühne; dabei wird die Annäherung zwischen ihm und Kate Pinkerton (Jelena Banković/Milda Tubelytė) sehr plausibel dargestellt. Der Schluss allerdings vermag nicht zu überzeugen, wenn Pinkerton nach seiner „Selbstmitleids“-Arie „Addio, fiorite asil“ nicht die Bühne verlässt, sondern mit anhört und sieht, was Cio-Cio-San zu sagen hat. Dass sie u.a. erklärt, sie werde ihm das Kind übergeben, wenn er zu ihr kommt, passt dann überhaupt nicht zum gesungenen Text. Aber das mögen Kleinigkeiten sein, die den großartigen Gesamteindruck nicht mindern.

anderer Pinkerton/Isabel Stüber Malagamba/Julie Adams/Jelena Bankov

Dass das Ganze an beiden Abenden einen so nachhaltigen Eindruck hinterließ, lag natürlich auch an dem darstellerischen und stimmlichen Vermögen des Ensembles: So war in der Premiere die Amerikanerin Julie Adams als Cio-Cio-San eine Spitzenbesetzung; bereits als Rusalka hatte sie mit ihrem äußerst differenziert eingesetzten Sopran auf sich aufmerksam gemacht. Auch jetzt führte sie ihre ausgeglichene Stimme intonationsrein und höhensicher durch alle Lagen, wobei sie über perfektes „mezza voce“ und über auftrumpfende Dramatik verfügte; ihre Sehnsuchts-Arie am Beginn des 2. Akts war ein wahres Highlight. Isabel Stüber Malagamba gab mit ihrem volltimbrierten Mezzo und lebhaftem Spiel eine Suzuki, die zumindest in der ärmlichen Umgebung des zweiten Teils eine zuverlässige Stütze ihrer Freundin war. Leider war sie beim „Blumen-Duett“ wegen unglücklicher Aussteuerung kaum zu hören.

In der zweiten besuchten Aufführung erlebte man die portugiesische Sängerin Cristiana Oliveira als intensiv gestaltende, leidenschaftliche Cio-Cio-San. Ihre Stärken erwiesen sich in den wunderbar weich ausgesungenen lyrischen Passagen der Partie, ohne dass sie es an der nötigen Durchschlagskraft an den dramatischen Stellen fehlen ließ; leider waren einige der Spitzentöne ein Spur zu tief. Die Mezzosopranistin Zhenyi Hou gab mit ausdrucksstarker Stimme eine temperamentvolle und zugleich liebenswerte Suzuki.

In beiden Vorstellungen trat als Pinkerton der Grieche Angelos Samartzis aus dem Saarbrückener Ensemble auf; mit gut durchgebildetem Tenor verließ er sich nicht allein auf seine Stimmstärke, sondern sang schön auf Linie und zeichnete auf diese Weise ebenso wie durch seine glaubhafte Gestaltung ein angemessenes Porträt des zunächst so unbekümmerten und leichtlebigen Offiziers. Als mitfühlender Konsul Sharpless machte Maximilian Krummen in der Premiere erneut mit seinem abgerundeten, tragfähigen Bariton positiven Eindruck. Gemeinsam mit der unglücklichen Butterfly war das Duett im 2. Akt, wenn er versucht, den Brief Pinkertons zu verlesen, ein darstellerisches Glanzstück. Am nächsten Abend war in dieser Partie Zachariah N. Kariithi zu erleben, der mit glaubwürdigem Spiel und seinem wohlklingenden, apart timbrierten Bariton für sich einnahm.

Jelena Bankovic/anderer Pinkerton/Julie Adams

In der Premiere fiel als Goro Joska Lehtinen mit flexiblem Tenor auf, während der klarstimmige Fabian Christen darstellerisch eher blass blieb. Stimmstark gab Jisang Ryu Onkel Bonze, was vom russischen Bass Valentin Anikin mit Stentor-Tönen noch übertroffen wurde. Mit jeweils angenehmem Tenor waren Sunguk Choi und Yuedong Guan der um Cio-Cio-San vergeblich werbende Fürst Yamadori. Die vielen weiteren kleineren Rollen waren in Doppelbesetzung tüchtigen Chorsolisten anvertraut. Alle Akteure ließen sich am zweiten Abend vom teilweise starken Regen, der etwa eine halbe Stunde vor Schluss einsetzte, in keiner Weise irritieren.

Die musikalische Leitung hatte an beiden Abenden Braunschweigs GMD Srba Dinić, der mit gewohnt präzisem Dirigat alle Akteure sicher durch die Partitur führte. Dass das Staatsorchester in der verkleinerten Instrumentierung von Ettore Panizza spielte, wirkte sich durch die technische Verstärkung klanglich nicht negativ aus. Angemessen erfüllte der von Georg Menskes einstudierte Chor seine wenigen Aufgaben.

Das Publikum war an beiden Abenden hellauf begeistert und spendete allen Mitwirkenden starken, lang anhaltenden Applaus.

Fotos: ©Bettina Stoess

Gerhard Eckels 5. Juli 2021

Weitere Vorstellungen: 6. bis 21. Juli 2021 täglich außer montags