Premiere am 16. April 2016
Man darf sich beim durchaus kleinen Staatstheater Cottbus, einem Mehrspartenhaus zumal, wundern, welch mutige und gute Opernproduktionen dieses Haus immer wieder auf die Beine stellt. Nach einem überaus sehenswerten und ebenso erfolgreichen „Ring des Nibelungen“ zeigte man nun nach einem knappen Jahrhundert wieder Guiseppe Verdis komplexe und dramatische Oper „Don Carlo“. Das Staatstheater entschied sich in der Inszenierung des Intendanten Martin Schüler für eine Version der Oper, die in Italienisch gesungen auf der fünfaktigen Pariser UA von 1867 basiert, jedoch mehrere, vielleicht nicht nur dem Rezensenten nicht ganz eingängige Kürzungen vornimmt. Der Fontainebleau-Akt wurde zu einem kurzen Vorspiel verknappt, um die Liebe von Don Carlos und Elisabeth darzustellen.
Die Figur Karl V., und mit ihr das – im Finale doch so wichtige – Metaphysische der Handlung, ist eliminiert. Carlos wird vom Grafen von Lerma im wahrsten Sinne des Wortes abgeknallt. Die wohl unerklärlichste Kürzung ist jedoch der Wegfall der ersten großen Arie der Eboli, der sog. Schleierarie. In einem persönlichen Gespräch mit der Dramaturgin Carola Böhnisch nach der Aufführung erklärte diese, dass man dem Cottbuser Publikum keine über drei Stunden hinausgehende Oper zumuten könne (wobei Wagners „Ring“ das mit Erfolg dennoch tat…). Stattdessen wollte man den zur Erklärung des zentralen Liebeskonfliktes relevanten Fontainebleau-Akt in Kurzform zeigen, wobei eben die Schleierarie dran glauben musste. Nach Böhnisch habe sogar Verdi behauptet, dass er die ja in Paris stattgefundene UA für zu lang erachtete, um dem Publikum das rechtzeitige Erreichen seiner Verkehrsverbindungen nach Hause zu ermöglichen… Um die Kälte der Hofes szenisch aufzulockern und gleichzeitig Täuschungen und intrigante Handlungen zu verdeutlichen, fügte man in Cottbus im Gegenzug den Maskenball in gekürzter Form wieder ein.
Dennoch ist es Schüler unter der musikalischen Leitung des GMD Evan Christ und im Bühnenbild von Walter Schütze sowie den stets dazu passenden geschmackvollen Kostümen von Nicole Lorenz gelungen, den Konflikt zwischen absolutistischer Machtanmaßung und dem Recht auf persönliche Freiheit sowie jenen der Liebe von Elisabeth und Carlos eindrucksvoll und zeitweise mit bemerkenswerter Schärfe zu zeigen. Die große Szene im 6. Bild des 3. Aktes zwischen König Philipp II. und dem Großinquisitor ist in solcher Intensität und Aussagekraft wohl selten zu sehen und wurde zu einem Höhepunkt des Abends, wenn nicht d e m Höhepunkt. Der in Cottbus gastierende und von der Semperoper kommende Tilmann Rönnebeck als Philipp II. und Jörn E. Werner als wahrlich greisenhaft und seine Blindheit klar dokumentierender sowie äußerst bedrohlich wirkender Großinquisitor zeigen hier Elemente eines bemerkenswerten darstellerischen Könnens. Auch stimmlich lassen beide nichts zu wünschen übrig.
In den überwiegend geometrisch gestalteten, immer wieder neue Räume öffnenden Bühnenbildern ist zu erkennen, dass Walter Schütze zusätzlich zu seinem Studium von Bühnen- und Kostümbild an der Technischen Universität Berlin, u.a. bei Peter Sykora (der das Bühnenbild des legendären „Tunnel-Ring“ von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin schuf) Architektur an der Technischen Universität Darmstadt studierte. In dieser Bildästhetik gelang in Cottbus auch ein atemberaubendes Autodafé mit einer von Kreuzen beherrschten Szene sowie einem großen und gar brennenden Kreuz über den im Hintergrund mit viel Bühnennebel angedeuteten Scheiterhaufen für die zuvor über die Bühne getriebenen Ketzer. Vor dem Hintergrund einer allgemein guten und teilweise packenden Personenregie ließ der Regisseur Prinzessin Eboli und Elisabeth von Valois im 3. Bild des 1. Aktes allzu plakativ und lang mit ihren Fächern wedeln, etwas weniger davon wäre hier mehr (gewesen).
Die junge Sopranistin Stella Motina, gebürtig in der Ukraine, sang als Gast die Elisabeth und war bisher in „Don Carlo“ nur als Tebaldo eingesetzt. Ihr Repertoire weist unter anderen Rollen wie Frasquita, Une Planète in „Castor und Pollux“ und die Zémire in „Die Schöne und das Biest“ auf, alles Partien, die nicht unbedingt die Elisabeth in „Don Carlo“ nahelegen. Während Motina darstellerisch durch emotionales Engagement und ein hohes Maß an Empathie voll überzeugen konnte, war doch unverkennbar, dass sie mit der Elisabeth an ihre stimmlichen Grenzen stieß. Zu scharf klangen einige Spitzentöne. Optisch passte sie wegen ihrer Jugend und Attraktivität nahezu ideal zu ihrem jungen Partner Carlos, der vom Cottbuser Haustenor Jens Klaus Wilde gesungen wurde. Er zeigte sich den Herausforderungen des Carlos zwar darstellerisch, nicht aber stimmlich gewachsen. Vokalverfärbungen, Ungenauigkeiten und ständige Probleme mit den dramatischen Dimensionen der Rolle waren so unverkennbar, dass man zum Schluss kam, das Staatstheater Cottbus wäre gut beraten gewesen, auch diese große Rolle mit einem Gast zu besetzen.
Denn mit dem Ensemblemitglied Andreas Jäpel hat das Haus einen Rodrigo, der mit seinem klangvollen und ausdrucksstarken Bariton sowie entsprechender Mimik den Marquis von Posa an jedem großen Haus singen könnte, das aber auch unerfindlichen Gründen nicht tut. Er und Marlene Lichtenberg als Prinzessin Eboli waren stimmlich die besten der sechs Protagonisten. Wie Stella Motina, Andreas Jäpel, Jens Klaus Wilde und Jörn E. Werner debütierte Lichtenberg in dieser anspruchsvollen Partie und machte daraus eine beeindruckende Rollenstudie der Hofintrigantin. Mit einem sowohl in der Tiefe wie bei den Spitzentönen bestens ansprechenden Mezzo verlieh sie der Eboli große Intensität und viel Charakter. Mit ihr bewies Lichtenberg einmal mehr, dass sie neben dem deutschen Fach mit Schwerpunkt Richard Wagner auch ebenso gut im italienischen Fach zu Hause ist.
Katerina Fridland debütierte mit einem guten Tebaldo, und Christian Henneberg verlieh dem Grafen von Lerma einen farbigen Bariton, der größere Rollen nahelegt. Ingo Witzke war ein Mönch mit einem etwas rauen Bass. Debra Stanley sang die Stimme vom Himmel beim Autodafé mit schöner Lyrik, diesmal sichtbar wie einer überhöhter Engel im Bühnenhintergrund – ein guter Einfall des Regieteams. Die Deputierten und Mönche sangen ebenfalls gut, und die Damen und Herren des Opernchores und Extrachores überzeugten unter der Einstudierung von Christian Möbius durch kräftige Stimmen und eine gute Choreografie.
GMD Evan Christ dirigierte einen packenden „Don Carlo“ mit dem bestens aufspielenden Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus. Höhepunkte waren die großen Tabelaus in ihrer Transparenz und Dynamik sowie die dunkel drohende Untermalung der Szene zwischen Philipp II. und dem Großinquisitor. Aber auch die subtileren Passagen vermochte Christ mit seinen Musikern fein auszumusizieren, wobei er stets große Rücksicht auf die Sänger nahm. Großer Applaus und viele Bravi für alle Beteiligten. Cottbus kann einmal mehr stolz auf eine gute neue Opernproduktion sein. Wenigstens die Berliner Opernfans sollten mal hierher kommen.
Bilder © Marlies Kross
Klaus Billand 25.4.16