Gießen: „Wer, wenn nicht wir“

Besuchte Premiere am 26.10.19

Gießener Heimatabend

Es war eigentlich eine sehr schöne Idee des Stadttheaters gerade diesen Abend zum Offenbach-Jubiläum herauszubringen. "Les Bavards" ein relativ kurzer Zweiakter des Komponisten wurde zunächst für Bad Ems, unweit von Gießen, geschrieben und erlebte noch für Wien und Paris zwei weitere vom Komponisten autorisierte Fassungen, von der musikalischen Inspiration steht es nicht hinter Offenbachs großen, bekannteren Meisterwerken zurück. Andererseits sind "Die Schwätzer" auch eine beliebte bronzene Skulpturengruppe in der Gießener Fußgängerzone. Die Idee die drei Schwätzer innerhalb einer "Probe" in diese Operette eingreifen zu lassen und eine Art Revue für das Kölsche Geburtstagskind mit Gießener Couleur daraus zu gewinnen, klingt erst einmal recht gut. Für "das Libretto" des Abends hatte man mit Jürgen Nimptsch und Lajos Wenzel die Schreiber gewonnen, die sonst für den Kölner Männergesangsverein ihr alljährliches Karnevalsspektakel an der Kölner Oper entwerfen. Doch was bei Laien durchaus charmant wirken kann, fand, meines Erachtens, bei den Theaterprofis vom Gießener Stadttheater nicht das nötige Niveau. Zumal, wenn beim sogenannten Kölner Divertissmentchen, ein bunter Strauß von verschiedenartigen Musikstilen das Gebinde bilden, so kann man das bei einer Hommage an Offenbach stilistisch nicht so durchziehen. Dazu kommen sehr ungeschickte Neutextungen mit wirklich schlimmen Herz-Schmerz-Reimen, diese Banalitäten setzen sich auch in den kalauernden Sprechtexten fort. Bei Piafs "Non, je ne regrette rien" dreht sich dann auch das rote Kritikerpferd im Flur peinlich berührt zurück. Der erste Teil mit dem großen Anteil der "Schwätzer" in der Probensituation geht noch ganz ordentlich über die Bühne und läßt über die Qualität des unbekannten Offenbach staunen, doch nach der Pause gerinnt der Abend zu einer Art Wunschkonzert a la "die schönsten Melodien aus Hoffmann und Orpheus" in der Weise wie Peter Frankenfeld sie in den Siebziger Jahren in "Musik ist Trumpf" servierte. Allendhalben die selbstironische Nummer mit dem Gießkannenmuseum läßt schmunzeln..Astrid Jacob als selbstauftretende Regisseurin schlägt da auch keine großen Funken aus dem Abend, es bleibt irgendwie eine sehr bieder und betuliche Abendunterhaltung für unterhaltungswillige Gemüter, davon gibt es eine ganze Menge, so wird der Abend am Ende doch zu einem recht guten Erfolg. Es wäre ja nicht das erste Mal das Publikumsmeinung gegen Kritikergeschmack steht.

Musikalisch ist der Abend doch sehr lobenswert, denn Andreas Kowalewitz am Pult des inspirierten Philharmonischen Orchesters trifft den trockenen, federnden Ton für die französische Operettenmusik, den nicht viele Dirigenten können, die romantischen "Hoffmann"-Tempi zelebriert er dann etwas breiter. Die Sänger zeigen ebenfalls gutes Niveau, mir gefielen, unter anderen, besonders die wirklich lustige Karola Pavone als Schwätzerin Mariechen mit munterem Sopran, der stimmgewaltige Christian Tschelebiew als Sarmiento sowie Annette Luig als geschwätzige Ehefrau Beatrix, das lesbische (!) Liebespaar Sofia Pavone und Carla Maffioletti (una vera soubretta!) als Solange und Ines. Auch der Chor mit seinen Solisten durfte seine Gewandheit und Klangfülle zeigen.

Dann war da noch die Tanzkompanie des Stadttheaters Gießen, die augenscheinlich sonst eher dem modernen Tanz zugeneigt sind, und nahezu satirisch den klassischen Unterhaltungstanz aufs`Korn nahmen. Was beim Publikum sehr gut ankam und auch wirklich witzige Momente bescherte, trotzdem, jaja meine Meinung, irgendwie auch ein bißchen "fremd" an dem Abend wirkte. Die lichte Bühne und die farbenfrohen Kostüme von Heiko Mönnich hatten sicherlich einen wichtigen Anteil am Erfolg.

Fazit: "Wer nichts wagt, der nichts gewinnt!" Ein Erfolg für das Theater Gießen war die Produktion zweifelsohne, was deutlich der begeisterte Schlussapplaus bewies. Man muss als Kritiker nicht immer mit allem übereinstimmen; ich finde , daß man mit mehr stilistischem Fingerspitzengefühl etwas wirklich Besonderes hätte kreieren können. Also ein: ihr könntet noch viel mehr!

Martin Freitag, 20.10.2019