Gießen: „Ein Sommernachtstraum“, Benjamin Britten

Für die Wiedereröffnung der Jubilee Hall in Aldebourgh im Jahr 1960, wo er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Peter Pears das alljährliche Musikfestival gegründet hatte, benötigte Benjamin Britten kurzfristig ein Opernlibretto. Mangels überzeugender Alternativen kürzten er und Pears dazu Shakespeares Komödie „A Midsummer Night’s Dream“ von fünf auf handliche drei Akte zusammen. Die Rahmenhandlung am Hofe zu Athen wurde weitgehend geopfert. Die Oper beginnt direkt mit dem Ehezwist des Elfenpaares Titania und Oberon. Sodann werden die beiden Liebespaare bei ihrer Ankunft im Feenwald gezeigt. Den breitesten Raum nehmen aber die deftig-komischen Handwerkerszenen ein. Sie erhalten durch die Kürzungen der übrigen Handlungsstränge ein gegenüber dem Original deutlich größeres Gewicht. Jede Aufführung von Brittens Oper steht und fällt daher mit der Umsetzung von Shakespeares Parodie einer Laienschauspieltruppe beim grotesk mißlungenen Versuch, eine Tragödie einzustudieren und schließlich aufzuführen. Hier helfen Bühnenbild und Kostüme wenig weiter. Es kommt auf die Lust der Darsteller an, sich zum Narren zu machen.

Dilettanten bei der Probe / (c) Jan Bosch

In der aktuellen Neuproduktion am Stadttheater Gießen hat man eine Truppe zusammengestellt, deren überschäumende Spielfreude das Publikum zu großer Begeisterung hinreißt. An Requisiten werden nicht mehr als ein paar Klappstühle benötigt, um mit perfektem Timing und Mut zum Slapstick Shakespeares Pointenfeuerwerk optimal zur Geltung zu bringen. Innerhalb der auch vorzüglich singenden Handwerkerriege kann sich Grga Peroš als Bottom naturgemäß am stärksten profilieren. Um dieses Ensemblemitglied mit seinem angenehm timbrierten Bariton, den ein viriler Kern und eine ungefährdete Höhe auszeichnen, kann manch größeres Haus das kleine Stadttheater beneiden. Das Produktionsteam vollzieht seine Verwandlung zum Esel textgetreu mit. Daß ihm dabei neben Eselsohren noch ein gewaltiger Phallus um die Hüften geschnallt wird, nimmt man als etwas brachiale Verdeutlichung des sexuellen Hintergrunds einer durch Zauberkraft erzwungenen grotesken Kurzzeitbeziehung der Elfenkönigin mit einem Esel hin. Den Darstellern der übrigen Handwerker gelingt es ebenfalls ausgezeichnet, ihre Figuren zu individualisieren. So fällt es auch kaum ins Gewicht, daß Edward Lee in der Rolle des Flute sich wegen erkältungsbedingter Beeinträchtigung seiner Stimme ansagen lassen mußte, denn als junger Mann, der wider Willen eine Frau darstellen muß, rockt er springlebendig die Bühne. Wunderbar, wie sich Tomi Wendt als Starveling und Shawn Mlynek als Snout mit der Darstellung des Mondes und einer Wand übereifrig profilieren wollen, herrlich, wie Tim-Lukas Reuter die Schwerfälligkeit und Begriffsstutzigkeit des Snug in Szene setzt, und köstlich auch, wie Clarke Ruth mit streberhafter Beflissenheit den Spielleiter Quince gibt. Das Leichte, das so schwer umzusetzen sein kann, gelingt in dieser Inszenierung von Magdalena Fuchsberger in beglückender Souveränität. Hier zeigt sich auch, daß Brittens Shakespeare-Adaption ideal für kleinere Spielstätten ist, wo die geringe räumliche Distanz vom Zuschauerraum zur Bühne zu einem intensiven Theatererlebnis führen kann. Am Theater Gießen jedenfalls ist der Funke übergesprungen.

Annika Gerhards (Tytania) mit Elfengefolge / (c) Jan Bosch

Für die Liebesverwirrungen der zwei jungen Paare und die Interaktion mit der magischen Welt der Feen setzt das Produktionsteam jedoch auf Verfremdung und Verrätselung. Die ansonsten nackte Einheitsbühne wird von bodenlangen Fransenvorhängen gesäumt. Die unterschiedlichen Sphären werden durch den Farbwechsel der Beleuchtung markiert. Wenn sich jemand setzen oder zum Schlafen hinlegen muß, fallen überdimensionale Kissen von oben herab. Neonröhren bilden am Rückprospekt das griechische Wort „ἅγιον“. Das kann „heilig“, „geheiligt“, aber auch „verflucht“ bedeuten. Man denkt spontan an einen Hinweis auf den verwunschenen Feenwald als Handlungsort, der im Bühnenbild sonst keinen Widerhall findet. Doch das Programmheft belehrt den Zuschauer, daß hier an die rituelle Herkunft des Theaterspiels in der griechischen Antike erinnert werden soll. Wer weder Altgriechisch kann, noch sich zuvor eingelesen hat, dem wird der Sinn der Leuchtschrift dunkel bleiben. Noch rätselhafter ist die Funktion einer Schauspielerin im Hasenkostüm, die über die gesamte Spieldauer immer wieder auftaucht, aber lediglich als Beobachter auftritt und für den Fortgang des Geschehens keine erkennbare Bedeutung hat. Zunächst wollte man meinen, es könnte sich dabei um den Kobold Puck handeln. Doch diese Sprechrolle bleibt unbesetzt. Ihr Text wird mitunter über Lautsprecher eingespielt, mitunter aber auch von verschiedenen anderen Figuren gesprochen. Wenn die Übertitel (es wird auf Englisch gesungen) hier keine Zuordnung vorgenommen hätten, man hätte diese Aufteilung des Textes nur realisieren können, wenn man die Vorlage auswendig kennte. Die beiden jungen Menschenpaare werden durch die Kostüme, für die wie für das Bühnenbild Monika Biegler verantwortlich zeichnet, gleichsam gegendert. Männer wie Frauen tragen grüne Hosenanzüge zu Stöckelschuhen und sind zudem allesamt mit einer brünetten Langhaarperücke ausgestattet. Von einem kurzen homoerotischen Moment abgesehen bleibt es aber bei dem von Shakespeare vorgegebenen Bäumchen-Wechsel-Dich zwischen den immer noch als Männer und Frauen erkennbaren Figuren. Hierbei erfreut Julia Araújo nach ihrem fulminanten Hausdebüt in Caterina Cornaro nun als Helena erneut mit ihrem jugendlich-frischen Sopran, von dem sich Jana Marković mit dunkler timbriertem Mezzo als Hermia gut abhebt. Johannes Strauß gefällt als Lysander mit seinem lyrischen Tenor, Nikolaus Nitzsche als Demetrius mit kernigem Bariton.

Nikolaus Nitzsche (Demetrius) und Julia Araújo (Helena) / (c) Jan Bosch

Die Magie der Feenwelt kommt vor allem in extravaganten Kostümen des Elfenpaares zum Ausdruck. Meili Li überzeugt dabei als Oberon darstellerisch mehr als mit seinem soliden Countertenor, dem es gerade in der Höhe ein wenig an dem nötigen verführerischen und gleisnerischen Ton mangelt. Annika Gerhards präsentiert die Koloraturen der Tytania mit angemessen zickigem Gestus. Für das Wirken der Feenmagie immerhin hat sich das Produktionsteam etwas Originelles ausgedacht: Wenn Zaubertränke eingenommen werden, regnet es auf die betreffende Figur Seifenblasen, zu denen sie eine Duschpantomime vorführt. Das athenische Herrscherpaar bleibt durch Brittens Kürzungen der Vorlage eine Randerscheinung und ist mit Leo Jang als Theseus und Sora Winkler als Hippolyta rollendeckend besetzt.

Das Orchester präsentiert sich unter der Leitung von Andreas Schüller in ausgezeichneter Form, beschwört zu Beginn mit geheimnisvoll raunenden Streicherglissandi die Atmosphäre des Waldes, trumpft in den Handwerkerszenen mächtig auf und läßt das reichlich eingesetzte Schlagwerk samt Harfen und Celesta in der Feenwelt funkeln und glitzern. Der hauseigene Kinder- und Jugendchor rundet das Bild einer musikalisch überzeugenden Produktion ab.

Michael Demel, 28. Februar 2023


Benjamin Britten: A Midsummer Night’s Dream

Stadttheater Gießen

Premiere am 11. Februar 2023

Besuchte Vorstellung: 19. Februar 2023

Inszenierung: Magdalena Fuchsberger

Musikalische Leitung: Andreas Schüller

Philharmonisches Orchester Gießen

Weitere Vorstellungen am 9. März, 13. und 21. Mai sowie am 18. Juni 2023