Hannover: „Die Zauberflöte“

Premiere am 13. Januar 2018

Rätselhaft

Simon Bode/Kinderstatisterie

Nach wie vor führt Mozarts „Zauberflöte“ jede Liste der beliebtesten und meist gespielten Opern weltweit an, was neben der genialen Musik Mozarts wohl an der gelungenen Mischung der humanistischen Ideale und tief empfundenen menschlichen Gemütszustände mit den volkstümlichen Spielelementen der Hanswurst-Ebene liegt. So kann einen die Märchenoper in ihren Bann schlagen, selbst wenn man sie schon x-mal gesehen hat. Das gelingt allerdings nur, wenn die Inszenierung stimmt – und das ist in Hannover nicht der Fall. Am Anfang, als sich der halbstarke Tamino mit seinem Plüsch-Teddy in das am Bühnenrand stehende Bett kuschelt, scheint alles klar zu sein, das Ganze wird Taminos Traum. Später im 2. Teil der Oper ist das Bett weggeräumt und die Traumidee des Regisseurs Frank Hilbrich ist verpufft. Aber wieder zum Anfang: Ein gelungener Gag ist das Orchester von ca. 20 Kindern, die in bunter Alltagskleidung (Kostüme: Julia Müer) auf der Drehscheibe in der Bühnenmitte zur Ouvertüre fleißig ihre Instrumente bedienen und dafür dann auch prompt Szenenapplaus erhalten. Dann greifen sie sich ihre Stofftiere, legen Tamino eine Schlange auf das Bett, packen ihre Instrumente ein und gehen ab. Im Laufe des Abends kommen sie immer dann wieder, wenn die drei Knaben in Aktion treten. Am Schluss mischen sie sich mit ihren Instrumenten unter die erstarrte Gesellschaft Sarastros und verstören diese durch ihre Musik, was vielleicht bedeuten soll „Die Zukunft gehört der Jugend“ oder „Wenn du nicht mehr weiter weißt, mach‘ Musik!“. Was das mit dem Zauberflöten-Märchen zu tun hat, hat sich letztlich nicht erschlossen.

Matthias Winckhler/Stefan Adam/Simon Bode/Tobias Schabel

Die bekannte Geschichte um Prinz Tamino und Vogelfänger Papageno im „Kampf“ der Königin der Nacht mit dem Anführer einer frauenfeindlichen Priestergesellschaft Sarastro lief vor einem mit mehreren Öffnungen versehenen, goldgetäfelten Halbrund ab (Bühne: Stefan Heyne). Im 2.Akt senkte sich auf die Drehscheibe ein ebenso getäfelter Zylinder mit mehreren verspiegelten Kammern herab, die wirkungsvolle Lichteffekte ermöglichten (Licht: Susanne Reinhardt).

Von Anfang an stand das Libretto der „Zauberflöte“ mit seinen Widersprüchen und Ungereimtheiten in der Kritik; was Schikaneder und Mozart eigentlich erreichen wollten, wird wohl immer ungeklärt bleiben, weil es verlässliche Quellen dazu nicht gibt. Dies brachte das Inszenierungsteam wohl dazu, einiges zu ändern: So erklang das Abschiedsterzett Pamina/Tamino/Sarastro „Soll ich dich, Teurer, nicht mehr sehn?“ sogleich im Anschluss an das 1. Finale und nicht wie im Original erst nach der traurigen Arie Paminas „Ach, ich fühl‘s“, was übrigens ihren Selbstmordversuch plausibler macht. Ebenso trug nicht zur Aufhellung des Geschehens bei, dass Pamina, Tamino und Papageno z.B. in der ersten Priesterszene dabei waren, in der sich sogar Papageno in die Diskussion umd Taminos Prüfungen einmischte. Auch dass den Dreien ständig schwarze Säcke über die Köpfe gezogen wurden, die zum Singen natürlich wieder entfernt werden mussten, störte erheblich wie überhaupt ein übertriebener Aktionismus und allerlei Albernheiten im Auftreten die märchenhafte Handlung eher verschleierte als erklärte. Schließlich sprengten die von Tamino und Pamina zu bestehenden Feuer- und Wasser-Prüfungen den märchenhaften Rahmen vollends: Sie mussten zwei am vorderen Bühnenrand liegende weiße Säcke öffnen und sahen auf verkohlte Leichen; damit wurden sie, wie es in der Inhaltsangabe im Programmheft heißt, mit „dem Schrecken des eigenen Todes“ konfrontiert. Was dabei die zwischen die beiden Leichensäcke gestellte Zauberflöte da sollte, blieb ebenfalls völlig offen.

Athanasia Zöhrer/Dorothea Maria Marx

Positiv kann man feststellen, dass die geniale Musik Mozarts von den Inszenierungsideen unbehelligt blieb. Hannovers neuer 1.Kapellmeister Valtteri Rauhalammi sorgte am Pult des gut disponierten Niedersächsischen Staatsorchesters sicher für differenziertes, transparentes Musizieren und unterstützende Begleitung des im Ganzen soliden Gesangsensembles. Als Tamino trat Simon Bode auf, dessen vor allem in der Mittellage kräftiger Tenor in den höheren Lagen deutliche Schwächen aufwies und außerdem teilweise zu tief war. Selten erlebt man eine so temperamentvolle Pamina wie Athanasia Zöhrer; auch ihrem Sopran fehlte die nötige Abrundung, indem die Piani in den Höhen nicht ausreichend gestützt waren und dadurch allzu künstlich wirkten. Insgesamt glanzvoll absolvierte Dorothea Maria Marx die beiden bekanntlich sehr schwierigen Arien der Königin der Nacht: Während die lyrischen Passagen in „O zittre nicht, mein lieber Sohn!“ noch ein wenig unruhig klangen – vielleicht auch, weil sie auf dem Rücken liegend zu singen waren –, waren die folgenden Koloraturbögen und vor allem die Arie „Der Hölle Rache…“ in bester Diktion blitzsauber und gestochen scharf, was zu Recht „Bravos“ des begeisterten Publikums erhielt. Warum bei der Königin allerdings ebenso wie bei Sarastro in der Hallen-Arie selbst zugefügte (?) Schnittwunden und blutige Flecken zu sehen waren, war schlicht unverständlich. Wegen einer angesagten Indisposition hatte der warme Bass von Tobias Schabel als Sarastro nicht die gewohnte Sonorität. Ein wie üblich munterer Papageno war Matthias Winckhler, der mit gepflegtem Bariton rundum zu gefallen wusste, auch als er im Duett mit der klarstimmigen Ylva Stenberg als Papagena zusätzlich einige gymnastische Fortpflanzungsübungen andeutete.

Ylva Stenberg/ Matthias Winckhler
Ein weiteres Rätsel der Inszenierung war der Sprecher von Stefan Adam, der mit charaktervollem Bariton in grauhaariger Karl-Marx-Maske als Lumpensammler daherkam und im 2.Akt, in dem er nichts mehr zu singen hat, hauptsächlich Aufräumarbeiten zu erledigen hatte. Prägnant singend und gestaltend war Uwe Gottswinter Monostatos. Die jeweils prächtigen Stimmen von Rebecca Davis,
Monika Walerowicz und Julie-Marie Sundal passten im Zusammenklang nicht so gut zueinander. Erstaunlich kräftig und auch sauber sangen drei Mitglieder des Mädchenchors Hannover die drei Knaben. Geradezu Witzfiguren waren die beiden dickbäuchigen Priester und Geharnischten Martin Rainer Leipoldt (mit starkem Tenor) und Daniel Eggert (mit kultiviertem Bass). Der Chor (Einstudierung Lorenzo Da Rio) erfüllte seine wenigen Aufgaben klangvoll, wobei besonders die Ausgewogenheit bei „O Isis und Osiris“ positiv auffiel.

Das Premierenpublikum im ausverkauften Haus feierte alle Mitwirkenden auf der Bühne und im Graben, während das Inszenierungsteam deutliche Missfallensäußerungen einstecken musste.

Fotos: © Jörg Landsberg

Gerhard Eckels
14. Januar 2018

Nächste Vorstellungen: 16.,19.,25.,27.1.+11.2.+9.3.+8.,29.4.2018