Hannover: „Salome“

Besuchte Vorstellung: 22.11.17

Die Prinzessin gibt eine Tanzstunde

Lieber Opernfreund-Freund,

eine packende „Salome“ ist seit dem vergangenen Wochenende an der Staatsoper Hannover zu sehen. Regisseur Ingo Kerkhof vertraut bei der Ausstattung ganz auf die Kraft dieses Werkes, die es auch 112 Jahre nach seiner Uraufführung noch immer besitzt. Zwar hat sich der Skandalfaktor eines entblößenden Schleiertanzes – wenn er denn heutzutage überhaupt als solcher gezeigt wird – oder einer Sängerin die vermeintlich den abgeschlagenen Kopf eines Mannes liebkost im 21. Jahrhundert abgeschliffen, doch die Wucht der Strauss’schen Musik und das Drama um die Menschen Salome und Jochanaan zieht einen noch immer in den Bann.

Nahezu ohne Bühnenaufbauten kommt die Produktion von Ingo Kerkhof aus, lediglich zwei Vorhänge bestimmen das Bild – einer ist ein beweglicher Fadenvorhang, der den „Draußen“ und das „Drinnen“ voneinander trennt, das andere einer, der – einmal heruntergelassen – wie eine goldene Wand erscheint (Bühne: Anne Neuser). An dieser Wand und in diesem dunklen Rundum spielt das geniale Licht von Elana Siberski mit den Schatten der Agierenden und geht weit über das Schaffen verschiedener Stimmungen hinaus. Vielmehr gelingt ihr durch die Schattenwelt eine zusätzlich Ebene, die Kerkhof gut einzusetzen weiß. Im Hier und Heute verortet er das Geschehen (die moderne Abendgarderobe stammt von Inge Medert) und setzt natürlich Salome ins Zentrum seiner Betrachtungen – das aber in doppeltem Wortsinn. Denn Salome wird ständig von allen betrachtet, Naraboth und der Page beobachten vom Rang aus den Mond und das Erscheinen der Prinzessin, die das Fest des Stiefvaters verlässt, um nicht ständig von allen lüstern angestarrt zu werden.

Als sie dann auf einen trifft, der sie partout nicht ansehen will, nicht anfassen und schon gar nicht küssen will, wird sie vom verwöhnten Gör zur wahnsinnigen Frau. Selbst dabei sind Herodes und Herodias samt der geladenen Gäste stets zugegen, schauen Salome zu bei ihrem Wahn, ihr Mutter scheint sich gar daran zu ergötzen. Selbst im intimen Moment des Kusses (in Hannover recht naturalistisch gezeigt) ist die Prinzessin den Voyeuren schutzlos ausgeliefert. Dass sie aber weiß, dass ihr Wunsch nach dem Kopf des Jochanaan auf ihren eigenen Tod zuläuft und sie darin einen Ausweg aus dem Objekt-Sein sucht, wie Dramaturg Klaus Angermann in seiner leider recht drögen Einführung erläutert, so weit würde ich hingegen nicht gehen. Die Situation läuft einfach aus dem Ruder, die junge Frau kann die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen und so steuert alles auf die Katastrophe zu. Kerkhof stellt der sinnlichen und lustbetonten Salome den völlig unsinnlichen Jochanaan gegenüber, der sichtlich erstaunt scheint, dass diese Frau, so sehr er sie auch verteufelt, doch eine erotische Wirkung auch auf ihn zu haben scheint. Salome weiß ihre Reize einzusetzen, folgerichtig also, dass sie den Schleiertanz nicht alleine vollführt, sondern sich dabei von der Abendgesellschaft unterstützen lässt – leider aber raubt dieser Ansatz dem musikalisch schwülen, sexuell aufgeladenen Tanz so jegliche Erotik. Das ist aber der einzige Wermutstropfen in dieser ansonsten rundum genial zu nennenden Inszenierung.

Die funktioniert natürlich auch deshalb so gut, weil sich das Produktionsteam auf eine ausgesprochen talentierte Sängerriege verlassen kann. Allen voran zeigt Annemarie Kramer in der Titelrolle, was Musiktheater bedeutet. Sie singt und spielt Salome nicht nur, in diesen 100 Minuten IST sie sie. Sie durchlebt ihre Wandlung vom naiven Prinzesschen zur zurück gestoßenen Frau an der Grenze zwischen Manie und Wahn derart intensiv, dass ihre Darstellung nur als wahrhaftig bezeichnet werden kann. Dazu verfügt sie noch über einen so farbenreichen, bald verletzlich wirkenden, bald vor Kraft strotzenden Sopran, dass es einem Gänsehaut macht und schreckt bei ihrer Interpretation auch nicht vor stimmlicher Hässlichkeit zurück. Grandios! Das ist auch Brian Davis als Jochanaan. Sein kraftstrotzender Bariton ist wie gemacht für die Rolle des Propheten, der jeden und alles verflucht, das seinem einzig wahren Weg zu Gott nicht folgt. Dass man die Stimme des Amerikaners verstärkt, wenn er aus dem Off singt, ist nicht nachvollziehbar. Das powergeladene Organ dieses Prachtbaritons käme sicher auch aus der Gasse gesungen mühelos über den Graben. Robert Künzli formt den Herodes charaktervoll und singt die Partie voll aus. Sein ausnehmend klangschöner Tenor ist weit kräftiger als vieles, was man sonst in dieser Rolle geboten bekommt, und macht den Herrscher so glaubwürdiger. Herodias ist in Hannvoer einfach eine frustrierte Ehefrau, die beobachtet, dass ihr Mann ihre Tochter begrapschen will. Khatuna Mikaberidze formt diese Figur mit klarem Mezzo. Simon Bodes feiner Tenor kämpft vom Rang ein wenig mit den Höhen, der gebürtige Hamburger zeigt aber darstellerisch einen überzeugenden Narraboth, Hanna Larissa Naujoks gibt den Pagen mitfühlend und klar. Aus der Unzahl an Soldaten, Juden und Nazarenern vermögen Martin Rainer Leipoldt und Daniel Eggert nachhaltig Eindruck zu machen, ersterer mit glockenklarem Tenor als 1. Jude, letzter mit samtweichem Bass als 1. Nazarener. Von beiden würde man gern mehr hören.

Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Ivan Repušić läuft am gestrigen Abend zu Höchstform auf. Hannovers GMD scheint sich regelrecht in der spannungsgeladenen Partitur zu suhlen und kostet deren Farben zusammen mit den Musikerinnen und Musikern voll aus. An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir noch ein wenig mehr Schroffheit gewünscht, doch gelingen ihm eindrucksvolle Ausbrüche ebenso wie die zarten Seiten des Werkes.

Das Publikum im nahezu voll besetzten Haus – und das unter der Woche – Bravo! – sitzt nach dem letzten Ton gebannt im Sessel und braucht eine Sekunde, ehe sich die Anspannung in nicht enden wollendem Jubel für alle Beteiligten entlädt. Diese Produktion und vor allem diese Annemarie Kramer sollte man sich aber auch keinesfalls entgehen lassen.

Ihr Jochen Rüth 23.11.2017

Die Fotos stammen von Thomas M. Jauk.