Hannover: „Rusalka“

Wenig Atmosphäre

Antonín Dvořák und sein Textdichter Jaroslav Kvapil haben ihrem Werk die Bezeichnung „Lyrisches Märchen“ gegeben. Die Geschichte von einer unmöglichen und dennoch bedingungslosen Liebe zwi­schen zwei Wesen, die verschie­denen unvereinbaren Welten ange­hören, zählt wie der Wassermann, die Hexe und natürlich die Elfen sowie die Schauplätze wie der mondbeschienene Wald und das Schloss zum Bereich des Märchens. Im fein ausdifferenzierten Charakter der Titelfigur und ihrem Verhalten anderen gegenüber geht die Oper jedoch weit über Märchenhaftes hinaus und markiert den Übergang von der Märchenoper zum symbolistischen Musikdrama. Zu dem etwas sperrigen Libretto hat Dvorak eine immer wieder anrührende, atmosphärereiche Musik geschaffen, die voll von romantischem Zauber ist.

Dietrich W. Hilsdorf hat sich in seiner Neuinszenierung von jeglicher märchenhaften Poesie verabschiedet: Gleich im ersten Bild werden offensichtlich Wasserleichen auf fahrbaren Liegen hergerichtet. Auch Föten werden sortiert und in Spiritus eingelegt; am Schluss spielt ein Fötus eine Rolle, wenn Rusalka damit deutlich macht, dass sie sich als vom Prinzen geschändet ansieht, ein reichlich überzogener Ansatz. Konsequent gehören zu den aufgebahrten Toten dann auch die Elfen in Leichenhemden.

Sara Eterno

Damit knüpft Hilsdorf an eine historische Geschichte in Paris an, als man dort um 1900 die Leiche einer jungen Frau aus der Seine zog, deren Gesicht einen außerordentlich friedliches Lächeln zeigte. Die Reproduktion der Totenmaske fand weite Verbreitung und kam in den Wohnungen der Pariser Bohème in Mode. So „zieren“ solche Totenmasken auch die unterirdischen Gemäuer des ersten und dritten Aktes – und eine solche übt auf den Prinzen so starke Anziehungskraft aus, dass er schließlich mit dieser von Rusalka erstickt wird; den „erlösenden“ Kuss verweigert das Regie-Team. In der Mitte führt eine Wendeltreppen-Anlage nach oben, die – wie sich im 2. Akt herausstellt – in den Schlosshof führt. Diese konkreten Bühnenbilder (Dieter Richter) zeigen, dass Bezug auf Märchenhaftes geradezu krampfhaft vermieden wird. Es wird sogar veralbert, indem zwischen 1. und 2. Akt vor dem Vorhang ein Wassermann in grünlich schillerndem Anzug und eine halbbekleidete Nixe auftreten, die ihre Flosse anzieht und ausprobiert. Im Chor des 2.Akts bei der Hochzeitsfeier sind die beiden das Opfer des Spottes der festlich gekleideten Gäste (Kostüme: Renate Schmitzer).

Sara Eterno/Tobias Schabel

So ist es den Musikern vorbehalten, die von Dvorak geschaffene Naturstimmung zur Geltung zu bringen. Und wie sie das getan haben, das hatte ganz hohes Niveau: Das Niedersächsische Staatsorchester erwies sich in allen Gruppen als ausgezeichneter Klangkörper, wobei die Harfe mit ihren zahlreichen Aufgaben besonders imponierte. Am Pult stand mit äußerst präziser Zeichengebung und viel Raum für schwelgerisches Musizieren öffnend Anja Bihlmaier, die am Schluss zu Recht starken Sonderapplaus erhielt. In der Titelrolle gab es krankheitsbedingt eine Zweiteilung: Sara Eterno spielte die betrogene Rusalka mit einer Intensität, die tief beeindruckte. Von der Seite erfüllte Rebecca Davis den gesanglichen Teil mit schönem Sopran, der im berühmten „Lied an den Mond“ von anrührender Zartheit war und zum Schluss hin auch höhensicher mit der nötigen Dramatik aufwartete. Als Prinz machte Andrea Shin dessen Zerrissenheit glaubhaft deutlich; seinen flexiblen Tenor führte er mit ansprechender Lyrik und glänzender Strahlkraft.

Nach Hannover zurückgekehrt, machte Tobias Schabel als Wassermann, der zunächst als Taucher, dann im grauen Anzug und mit Aktentasche (Verwalter der Leichenfund-Abteilung?) auftrat, positiven Eindruck. Er ließ seinen warmen, durchschlagskräftigen Bass gleichmäßig dahin strömen.

Brigitte Hahn/Andrea Shin/Tobias Schabel/Sara Eterno

Dämonisch in Gestaltung und Gesang gab Khatuna Mikaberidze die Hexe; dabei imponierte wieder ihr voller, in allen Lagen ausgeglichener Mezzo. Eine wenig attraktive Fremde Fürstin war Brigitte Hahn, deren unruhig geführtem Sopran manches an dramatischer Attacke fehlte. Besonders stimmschön und gut aufeinander abgestimmt sangen die Elfen Athanasia Zöhrer, Hanna Larissa Naujoks und Julie-Marie Sundal. Die Figuren aus dem Spieloper-Bereich gaben bewährt Stefan Adam als Heger und als Küchenmädchen Mareike Morr. Klangvoll präsentierte sich der von Dan Ratiu einstudierte Chor.
Das Premierenpublikum war begeistert und spendete allen Beteiligten uneingeschränkten Beifall.

Gerhard Eckels 27. September 2015

Weitere Vorstellungen: 1.,11.,18.,27.10.+20.11.2015 u.a. mehr

Bilder: Thomas M. Jauk