„Die Griechische Passion“, im englischen Original „The Greek Passion“, ist das letzte große Bühnenwerk, das der überwiegend im Ausland lebende tschechische Komponist Bohuslav Martinů (1890-1959) vollendet hat. Die Oper basiert auf dem Roman „Der wiedergekreuzigte Christus“ des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis.
Den Hintergrund der Handlung bilden die Migrationswellen und „ethnischen Säuberungen“, die Anfang der 1920er Jahre während des Griechisch-Türkischen Kriegs stattfanden und von den Griechen als „Kleinasiatische Katastrophe“ wahrgenommen wurden. In einem wohlhabenden und von diesen Ereignissen noch nicht betroffenen griechischen Dorf wird ein Passionsspiel vorbereitet. Die Darsteller werden frühzeitig ausgewählt und identifizieren sich immer mehr mit ihren Rollen. Es entstehen Parallelen zum biblischen Geschehen, worauf auch der wörtlich übersetzte Originaltitel der Romanvorlage (Der wieder gekreuzigte Christus) hinweist. Gleichzeitig trifft eine Gruppe von Flüchtlingen ein, die von den türkischen Besatzern aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Während der Dorfpriester Grigoris ihnen jede Hilfe verweigert, werden sie von den Passionsspiel-Darstellern Manolios und Katerina unterstützt. Sie erbauen ein neues Dorf am Berg Sarakina. Dennoch geraten sie in Not, und mehrere Kinder verhungern. Als sie erneut hilfesuchend im Dorf auftauchen, kommt es zu Gewalttätigkeiten unter den Dorfbewohnern, bei denen der Christusdarsteller Manolios vom Darsteller des Judas getötet wird. Den Flüchtlingen bleibt nichts anderes übrig, als weiterzuziehen.
Die Aktualität des Stoffes liegt auf der Hand: Die Frage der Aufnahme von Flüchtenden, aber auch der moralische Konflikt einer Wohlstandsgesellschaft im Umgang mit Armen und Flüchtlingen.

In der Oper, die man gewissermaßen als Oster-Oper bezeichnen darf, obwohl man nichts von Ostersonntag sieht in der Inszenierung, wird die christliche Botschaft der Nächstenliebe ad absurdum geführt. Im Zentrum steht die generelle Frage nach Gott und nach Humanität. Die Passionsgeschichte erscheint als bloßer Präzedenzfall für das ewige Leid. Martinů, der 1940, nachdem Paris von den Nazis besetzt wurde, von Südfrankreich aus in die USA emigrieren musste, hat den Flüchtlingsstatus schmerzlich selbst erfahren müssen.
„Die griechische Passion“ gilt als eine seiner reifsten Partituren. Der Komponist hat für dieses aufwühlende Werk eine Tonsprache entwickelt, die seine früheren musikalischen Erfahrungen mit Elementen griechischer Folklore, griechisch-orthodoxer Liturgie und Tanzmusik verbindet. Mit griechischer Folklore, orthodoxer Liturgie und großen Chortableaus erzählt die Oper ihre Geschichte auch musikalisch volksnah und gehört damit zu den prachtvollsten und eindringlichsten Opern des 20. Jahrhunderts. Ein Lob gebührt dem Chor, Extrachor und Kinderchor der Staatsoper Hannover, die unter Leitung von Lorenzo da Rio und Tatjana Bergh Außergewöhnliches leisteten.
Martinůs Vermächtniswerk ist in zwei Versionen überliefert. Die erste, Londoner Fassung schrieb er zwischen den Jahren 1954 und 1957. Die Greek Passion sollte Rafael Kubelík am Royal Opera House in London uraufführen. Doch ließ Covent Garden das Projekt platzen. Von dem Schweizer Musikmäzen Paul Sacher ermuntert und finanziell unterstützt, arbeitete Martinů die Erstfassung bis zu seinem Tod 1959 grundlegend um. Etliche Teile der Oper komponierte er neu, Gesprochenes, Sprechgesang und Rezitative wurden auf ein Minimum reduziert, die Kantabilität durchweg aufgewertet.
Die Uraufführung der zweiten Fassung der Griechischen Passion fand am 9. Juni 1961 am Zürcher Stadttheater statt. Es sollte mehr als vierzig Jahre dauern, bis der verworfenen Londoner Fassung späte Gerechtigkeit widerfuhr. Nach der Uraufführung der Erstfassung der Greek Passion 1999 in Bregenz stehen nun zwei vollwertige Fassungen der Oper zur Verfügung.

Die Musik der „Griechischen Passion“ ist gewaltig, suggestiv, farbenreich, klanglich äußerst differenziert, um nicht zu sagen rauschhaft. Zu den ausdrucksstärksten Teilen gehören unzweifelhaft die großen Chorsätze am Anfang und Ende. Um die Partitur mit Lokalkolorit anzureichern, nutzte Martinů griechische Volksweisen und byzantinische Kirchenmusik. Dennoch mutet der Musikstil eher tschechischen an.
Die Oper existiert in zwei vollständigen, aber grundlegend unterschiedlichen Fassungen. Die erste Fassung, genannt die „Londoner“, wurde 1954 bis 1957 komponiert. Die am Covent Garden geplante Uraufführung wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass das Werk zu viel gesprochenen Text enthalte. Die Erstaufführung dieser Version fand dann erst 1999 bei den Bregenzer Festspielen statt.
Dirigent Stephan Zilias hat sich entschieden, das Werk in Hannover in der Urfassung zu geben. Er nivelliert nichts und betont eher den collagenartigen Zuschnitt der Musik, das Rhythmische, Moderne, Kurzatmige, Schroffe, Archaische der Musik Martinus, das Filigrane und Lyrische wie das Monumentale und Pathetische. Eine eindringliche Lesart die das Niedersächsische Staatsorchester Hannover tadellos und klangprächtig realisiert. Eine Musik, die Einen berührt und bewegt.
Dass das anspruchsvolle Werk relativ selten auf den Opernbühnen zu sehen ist, war man umso gespannter auf die Hannoversche Produktion. Doch welche Enttäuschung! Die Inszenierung der tschechischen Regisseurin Barbora Horáková ergeht sich in Abstraktionen und Belanglosigkeiten einer austauchbaren Alltagsästhetik und Bedeutungslosigkeit von Heute. Von dörflichem Ambiente, oder griechischer Oster-Atmosphäre keine Spur. Jeder Realismus wird vermieden.
Stattdessen sieht man Leute wie von der Straße, in Lumpen und casual wear von heute, ob vor dem Hannoverschen Kröpke, Berlin Alexanderplatz oder der Frankfurter Zeil. Plastiktüten, austauschbare Alltagsattribute, Jogginghosen oder Jeans sind kennzeichnend für die Kostümierung (Eva-Maria von Acker). Leute wie „Du und ich“ beherrschen die Bühne. Es wird Fahrrad gefahren. Es wird gebarmt, gerobbt und gemenschelt, dass sich die Bühnenbretter biegen. Immerhin: die Chorregie gelingt der Regisseurin streckenweise recht eindrucksvoll. Ansonsten viel Betroffenheitstheater. Einzige Dekoration und wichtigstes Symbol der Inszenierung: Verschiebbare weiße Mauern. Sie sind ständig in Bewegung und bilden fast so etwas wie ein Labyrinth, von oben betrachtet und auf den Videoscreens wiedergegeben (Video Sarah Derendinger), zuweilen werden sie zu kreuzförmigen Gassen angeordnet und vom Schürboden aus gefilmt und auf große, neben dem Bühnenportal angebrachten Projektionsflächen gezeigt. Auch sonst gibt es allerhand Symbole, mit denen gespielt wird. Aber auch ein schlachtbereites, an den Beinen gefesseltes Lamm, ein Gemälde Caravaggios oder eine biblische Heuschreckenplage kann man auf den Screen s sehen, vor allem aber drastische, um nicht zu sagen grausame Aktionen der Spieler, die live gar nicht zu sehen sind. Es seien verborgene Vorgänge, „emotionale Ebenen der Figuren“, so die Regisseurin, die man nur „durch die Kamera in Nahaufnahme zwischen den bewegten Mauern auf der Drehbühne sehe. Sie zeigen, dass es „parallele Leben gebe.“ Es sind allerdings reine Lippenbekenntnisse, denn die wie wild grimassierenden und übertrieben agierenden Sänger bleiben unverständlich und wirr wie die ganze abstrakte Inszenierung, die vorgibt, Menschlichkeit und „menschliche Grundbedürfnisse aufzuzeigen. Schön gut. Aber die konkrete dörfliche Handlung bleibst auf der Strecke. Wer das Stück nicht genau kennt, und wer kennt es schon genau, versteht bei dem, was er auf der Bühne sieht, rein gar nichts. Auch die Aussage der Regisseurin, „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Wie sind aus Emotionen gebaut, haben gute und böse Seiten und tragen Angst und Leid in uns“ ist nichts als eine Plattitüde. Ein kleines Tanzensemble (Choreographie Andrea Tortosa Vidal) bleibt in seiner wilden Einlage unverständlich. Möglicherweise soll es das Innenleben der Figuren andeuten.

Gottlob ist die sängerische Besetzung überzeugender: Es wird durchweg überzeugend gesungen. Der Junge Tenor Christopher Sokolowski verleiht dem Schafhirten Manolios eine sympathische, natürliche Stimme, Eliza Boom singt die Dorf-Prostituierte Katerina mit lyrischem Sopran. Shavleg Armasi leiht dem Priester Grigoris seinen sonoren Bass, auch sein Pedant, Marcell Bakonyi als Fotis, Priester der Flüchtenden, ist sängerisch wie darstellerisch eine Autorität, um nur die wichtigsten Sänger zu nennen.
Wieder einmal überzeugt die die Staatsoper Hannover mit ihrem Sängerensemble, enttäuscht aber mit der Inszenierung der Oper „The Greek Passion“.
Dieter David Scholz, 13. April 2025
The Greek Passion
Oper in vier Akten von Bohuslav Martinů nach dem Roman „Der wiedergekreuzigte Christus“ von Nikos Kazantzakis. 1. Fassung (1957)
Staatsoper Hannover
Premiere am 11. April 2025
Inszenierung: Barbora Horáková
Musikalische Leitung: Stephan Zilias
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Weitere Aufführungen: 22. und 25. April, 3. Mai 2025