Kassel: „Geneviève de Brabant“ / „Der Diktator“

Premiere: 12. Juli 2014

Absolute Raritäten

Im Rahmen des seit zehn Jahren laufenden Projekts „Theater-Jugendorchester“ brachte das Staatstheater Kassel im Schauspielhaus einen Operndoppelabend mit zwei kaum gespielten Stücken zur Aufführung: „Geneviève de Brabant“ von Erik Satie und „Der Diktator“ von Ernst Krenek.

Das 1899 uraufgeführte dreiaktige Werk (Libretto: Lord de Chaminot) des französischen Komponisten Erik Satie (1866 – 1925), der mit Debussy und Diaghilew befreundet war und ab 1918 die Gruppe Les Sixleitete, wurde eine „miniature marionette opéra“ genannt. In ihr wird die alte Sage von Genoveva abgehandelt: Sie ist mit dem Pfalzgrafen Siegfried verheiratet, der vom Gewehr seines Haushofmeisters Golo getroffen wird. Golo verliebt sich in Geneviève, die ihn jedoch entrüstet abweist. Aus Rache will er sie vernichten, doch in Gestalt einer Hirschkuh, die imstande ist, auch ihr Kind zu ernähren, wird ihr göttliche Hilfe zuteil. Happyend: Siegfried wurde nicht getötet, nur verwundet und rettet schließlich Geneviève vor dem Unhold Golo.

Ernst Krenek (1900 – 1991) zählt zu jenen österreichischen Komponisten der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die vor den Nationalsozialisten fliehen und nach Amerika emigrieren mussten und nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich nicht mehr Fuß fassen konnten. Ihre Werke wurden in der Heimat kaum noch gespielt. Seine Einakter-Trilogie („Der Diktator“, „Das geheime Königreich“, „Schwergewicht oder Die Ehre der Nation“) wurde 1928 in Wiesbaden uraufgeführt.

Die Handlung des Einakters „Der Diktator“, dessen Libretto der Komponist selbst verfasste, in Kurzfassung: Maria verwandelt sich von der potentiellen Tyrannenmörderin in eine willfährige Geliebte des Diktators. Sie hatte ihn aufgesucht, um an ihm Rache für ihren im Krieg erblindeten Ehemann zu nehmen, liegt aber bald in seinen Armen. Als Charlotte, seine von ihm seit langem gedemütigte Frau, die zu Boden gefallenen Pistole aufnimmt und Maria, die vom Diktator als Schutzschild missbraucht wird, erschießt, verwandelt sich der Diktator binnen Sekunden in einen kühl kalkulierenden Herrscher und seine despotische Handlungsweise bricht wie eine Fassade zusammen.

Lisa Maria Küssner inszenierte beide Werke sehr realistisch – die Gewehr- und Pistolenschüsse ließen das Publikum regelrecht zusammenzucken – und mit exzellenter Personenführung. Die kleine Bühne im Untergeschoß des Schauspielhauses wurde von Isabell Heinke durch verschiebbare Wände und Türen gut genutzt, die der heutigen Zeit entsprechenden Kostüme entwarf Ulrike Obermüller.

Die Rollen waren in beiden Opern mit demselben Sängerensemble besetzt. Ausgezeichnet die Sopranistin Anna Nesyba, die im ersten Stück sowohl die Erzählerin – gemeinsam mit dem CANTAMUS-Jugendchor – wie auch Geneviève (in einigen Szenen abwechselnd mit der Sopranistin Jaclyn Bermudez) gab. In Kreneks Oper sang und gestaltete sie eindrucksvoll die Rolle der durch „Amor“ verhinderten Tyrannenmörderin Maria, die schließlich als Schutzschild des Diktators ihr Leben lässt.

Der koreanische Tenor Kwonsoo Jeon stellte im ersten Werk Siegfried dar und im zweiten den blinden Offizier, der verzweifelt seine Ehefrau Maria sucht. Sein am Schluss der Oper in höchsten Tönen immer eindringlicher gesungene Ruf „Maria“ hallt in meinen Ohren jetzt noch nach!

Die Rollen der beiden Bösewichte gestaltete der polnische Bassbariton Tomasz Wija stimmlich wie darstellerisch sehr ausdrucksstark. War in Saties Oper mehr seine schauspielerischen Qualitäten als hinterhältiger Golo gefragt, konnte er in Kreneks Werk den Diktator facettenreicher singen und spielen.

Die Titelrolle in Saties Oper Geneviève de Brabant verkörperte die Sopranistin Jaclyn Bermudez, die in Kreneks Werk Der Diktator dessen vernachlässigte Frau Charlotte spielte, die zur Mörderin wird. Beide Rollen füllte sie stimmlich wie schauspielerisch eloquent aus.

Ausgezeichnet agierte auch der CANTAMUS-Jugendchor, dem in der Satie-Oper erzählender Charakter zukam und im Krenek-Einakter Soldaten und Krankenschwestern darzustellen hatte (Einstudierung: Maria Radzikhovskiy). Den jungen Chormitgliedern war ihre Freude und Begeisterung am Spielen anzusehen!

Das mit knapp sechzig Personen stark besetzte Theater-Jugendorchester stand unter der Leitung von Alexander Hannemann. Dass die jungen Musikerinnen und Musiker die Partituren beider Werke so professionell zum Besten gaben, ist gewiss einer intensiven Probezeit mit dem Dirigenten zuzuschreiben. Das bereits seit zehn Jahren bestehende Projekt „Theater-Jugendorchester“ scheint ein Erfolgsprodukt zu sein, zu dem man dem Staatstheater Kassel gratulieren muss.

Das Premierenpublikum anerkannte die Leistungen am Schluss der Vorstellung mit nicht enden wollendem Applaus für alle Mitwirkenden und für das Regie-Team.

Udo Pacolt 14.7.14Übernahme Merker-online

Bilder: N. Klinger

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