Mainz: „Antikrist“, Rued Langgaard

Deutsche Erstauffühung am Staatstheater Mainz
Premiere am 03. Juni 2018

Entdeckung des Jahres!

In der zu Ende gehenden Spielzeit 2017/2018 präsentierte das Staatstheater Mainz vielleicht den Höhepunkt aller deutschen Opernhäuser mit einer deutschen Erstaufführung. Zu erleben war die allegorische Oper „Antikrist“ des dänischen Komponisten Rued Langgaard.

Geboren im Jahr 1893 in Kopenhagen (gestorben 1952 in Ribe) wirkte Langgaard vor allem als Organist. Als Komponist hinterließ er ein Werk von mehr als 400 Kompositionen. Zahlreiche Orgelwerke, drei Opern und 16 Symphonien, manche davon nur wenige Minuten lang.

Langgaard litt während seiner Lebenszeit stark unter dem Erfolg seines Kollegen Carl Nielsen. Bitter konstatierte er „Nielsen ist Humbug“.

Langgaard war religiös stark geprägt und trug die Spiritualität deutlich in seine Musik hinein. Erst nach seinem Tod gab es ein wachsendes Interesse an seiner Musik. So gibt es mittlerweile zahlreiche Einspielungen auf CD und diverse Festivals.

Seine Musiksprache ist sehr farbenreich, intensiv, ekstatisch, immer wieder auch auf große Klangerruptionen abzielend, dabei überwiegend tonal, eingängig. Natürlich klingen viele Komponisten in Langgaards Oevre weiter: Wagner, Liszt, vor allem Richard Strauss, aber auch spätromantischer Schönberg, Schreker grüßen aus den besonderen Harmonien Langgaards. Langgaards Oper kam in ihrer finalen Version nach einer Überarbeitung 1930 zum Abschluss.

Erst 1999(!) erfolgte die szenische Welt-Uraufführung in Insbruck.

Nun also wagte sich das Mainzer Staatstheater an Langgaards Bühnen-Hauptwerk „Antikrist“. Eine in jeglicher Hinsicht ungewöhnliche Oper mit einem ungewöhnlich hohen Anteil an reiner Instrumentalmusik. Zu Grunde liegt ihr die biblische Apokalypse. Sehr aktuell und zeitlos erscheint dabei die Ausgangssituation: eine selbstsüchtig agierende Welt, in welcher die Menschen sich zum Maß aller Dinge erklären. Kein Glaube, kein Wertebezug, nur das eigene Ego, der Materialismus und Konsumismus bilden die Lebensbasis. Gott und Luzifer beschließen dem ein Ende zu bereiten und berufen den Antikristen in die Welt. In den unterschiedlichsten Figuren erscheint er nun, so als Missmut, Hure, Rätselstimmung, Lüge oder Hass. Der Antikrist verursacht große Zerstörungen, so dass die Menschen sich bekriegen. Die Sterne fallen und der Welt droht die totale Vernichtung. Doch am Ende steht der Sieg Gottes, der Luzifer vernichtet. Der Glaube wird zur Rettung. Das Finale also ein eindeutiges Bekenntnis zur Spiritualität. Getragen wird das von einem hymnisch-ekstatischen Chorfinale, welches den Zuhörer völlig in seinen Bann schlägt.

Langgaards Tonsprache ist enorm vielfältig und voller Überraschungen. Anklänge aus der Kirchenmusik, eine trotzig geratene Fuge, schräge Walzer-Melodik und dann immer wieder das tonale Aufrauschen des gesamten Orchesters. Nicht nur verschiedene Leitmotive lassen gelegentlich an Wagner denken. Auch der Text stammt, wie bei Wagner, von Langgaard selbst. Er wirkt nicht selten überladen und abstrakt. Dazu hatte Langgaard große Freude an eigenen Wort-Schöpfungen. So ist das zentrale und häufig zitierte Leitmotiv mit „Kirchen-öden-Lärmens“ betitelt.

Regisseur Anselm Dalferth inszenierte dieses besondere Werk als Handlung, in welcher die Menschen die Kontrolle verlieren. Die einzelnen Figuren sind in ihrer Charakterisierung gut von einander abgesetzt und klar gezeichnet. Gott und Luzifer agieren hier wie ein symbiotisches Paar, Ying und Yang lassen grüssen. Im Schluß-Hymnus ist es Gott, der Luzifer ans Kreuz schlägt. Die totale Vernichtung des Bösen und…..und doch ist damit die Geschichte nicht auserzählt. Denn der Regisseur hat sich eine feine Pointe für den Schluss aufgehoben, die hier nicht verraten wird. Ein überzeugende szenische Arbeit also, die besonders viel Anklang beim Publikum fand.

Bühnenbildner Ralph Zeger hat ihm dazu stilisierte Räume gebaut. Immer wieder fahren große Turmelemente herein, aus welchen die Protagonisten herausklettern oder in ihnen verschwinden. Diese sind zudem mit Papier bespannt, so dass darauf verblüffend auch die sehr dezent genutzte Videotechnik zum Einsatz kommt. Eindrucksreiche Lichtwirkungen schufen Stefan Bauer und Ernst Schießl. Auch kommen die farbfrohen Kostüme Mareile Kretek gut zur Geltung.

Langgaards Oper ist vor allem ein Ensemble-Stück und das Mainzer Sänger-Ensemble kann sich wahrlich hören und sehen lassen. Als Luzifer war der vielseitige Bariton Peter Felix Bauer zu erleben. Er gab seiner Rolle eine prägnante Gestalt und kultivierten Baritonklang. Als Gottes Stimme (eine Sprechrolle) ertönte sehr prägnant Ivica Novakovic. Besonders hervorzuheben aus der Vielzahl der allegorischen Gestalten sind vor allem: wie immer, die großartige Vida Mikneviciute. Perfekte Intonation, leuchtende Spitzentöne und alles mit beispielgebender Textverständlichkeit. Aufhorchen ließ Geneviève King als Missmut, die einen satt und ausladenden Mezzosopran zum klingen brachte. Tenor Lars-Oliver Rühl zeigte als Tier in Scharlach eine markante Tenorstimme. Diese könnte er zu wesentlich mehr Wirkung bringen, würde er verständlicher und farbiger artikulieren. Sein Fachkollege Alexander Spemann als Lüge zeigte, wie es geht: sehr gut verständlich, scharf in den Akzenten und stimmsicher führte er die Herrenriege der Solisten mit seiner herausragenden Leistung an. Aufhorchen ließ als Hass der sinistre Bariton von Michael Mrosek.

Der Chor des Staatstheaters in der Einstudierung von Sebastian Hernandez-Laverny hatte seine großen Momente im Finale. Einem der eindrüchklichsten Momente des gesamten Abens. Die Klangpracht war überaus eindrucksvoll.

Wesentlicher Impulsgeber für das Zustandekommen dieser Erstaufführung war GMD Herman Bäumer. Seine Überzeugung für den Komponisten Langgaard war ihm jederzeit anzumerken. Das Philharmonische Staatsorchester war von ihm sehr gut vorbereitet worden. Es war begeisternd zu erleben, mit welcher Überzeugung und Sicherheit das Orchester dieser ungewohnten Musik begegnete! Das Philharmonische Staatsorchester präsentierte sich als staunenswert soueveräner Klangkörper, der die schwierigsten Anforderungen derart mühelos, fehlerfrei bewältigte, als habe es nie etwas anderes gespielt. Bäumer kostete die dynamischen Extreme weitlich aus und das Orchester überzeugte in allen Stimmgruppen ausnahmslos. Verblüffend in der Genauigkeit der Intonation und Artikulationsschärfe ertönten die viel geforderten Blechbläser. Auf den Punkt das viel genutzte Schlagzeug. Gerade bei dieser Instrumentalgruppe können sich die Orchesterkollegen des Wiesbadener Staatsorchesters ein Beispiel nehmen….

Ein ganz besonderer Abend in der deutschen Bühnen-Landschaft. Es bleibt zu hoffen, dass andere Theater auf Langgaard ebenso aufmerksam werden.

Lange, einhellige Begeisterung beim Publikum, besonders für GMD Bäumer und das Regie-Team.

Hoch erfreulich, dass der Deutschlandfunk die Premiere mitgeschnitten hat.

Zu hören ist die Premiere dann am 09. Juni 2018, um 19.05 Uhr, im Deutschlandfunk.

Dirk Schauß 4.6.2018

Bilder (c) Theater Mainz

Weitere Vorstellungen im Juni und in der Wiederaufnahme ab 06. Oktober 2018.