Mainz: „Dialogues des Carmélites“

Premiere: 11.06.2016, besuchte Vorstellung: 04.12.2016

Packender Poulenc

Lieber Opernfreund-Freund,

die Inszenierung der Hausregisseurin Elisabeth Stöppler hatte bereits im Juni dieses Jahres Premiere, doch gestern war Francis Poulencs musikdramatisches Hauptwerk "Dialogues des Carmélites" im Rahmen einer Repertoire-Vorstellung am Staatstheater Mainz erneut zu erleben. Das trotz seiner musikalischen Gefälligkeit und des wirkungsvollen Finales recht selten auf die Bühne gebrachte Werk nach einem Libretto des Komponisten orientiert sich an einem historischen Ereignis: Am 17. Juli 1794 wurden während der Französischen Revolution 16 Nonnen aus dem Karmeliterinnenkloster von Compiègne mit der Guillotine hingerichtet, weil sie nicht bereit waren, ihr Gelübde zu brechen. Sie gingen angeblich singend in den Tod und wurden 1906 von Papst Pius X. selig gesprochen. 1931 veröffentlichte Gertrud von Le Fort ihre Novelle "Die letzte am Schafott", in der sie um diese Begebenheit die Geschichte der jungen Adeligen Blanche de la Force ersann, deren Leben von Angst geprägt ist und die sich ins Kloster flüchtet. Doch auch dort fühlt sie sich nicht sicher, findet hinter den Klostermauern keinen Frieden und wird vom Mut verlassen, als die Nonnen, von Revolutionären zur Aufgabe ihrer Gemeinschaft gezwungen, das Gelübde ablegen, gemeinsam in den Tod zu gehen. Bei der Hinrichtung der Glaubensschwestern nimmt Blanche dann furchtlos deren Gesang auf und wird in der literarischen Vorlage vom aufgebrachten Pöbel erschlagen, bei Poulenc dann ebenfalls geköpft.

Elisabeth Stöppler entscheidet sich dazu, nicht Blanche als Letzte sterben zu lassen, sondern an ihrer statt das Neugeborene einer in Mainz schwangeren Novizin, Schwester Constance. Das bringt dem Werk nicht wirklich einen Mehrgewinn, ist aber der einzige Wermutstropfen in einer ansonsten schlüssigen und packenden Inszenierung, die die Regisseurin in die 1980er Jahre verlegt hat. Die Mitglieder des Konvents tragen keine in unseren Breitengraden übliche Nonnentracht, Frank Lichtenberg hat ihnen Kleider und Anzüge entworfen, die sinnfällig mit zunehmender Hierarchie und Gottesnähe immer heller werden. Erst im Schlussbild auf dem Weg zur Hinrichtung scheint jede der Frauen im weißen Unterhemd Gott gleichsam nah. Stefan Bauer illuminiert die Szenerie stimmungsvoll, nicht nur das gespenstisch anmutende Finale gelingt ihm ganz hervorragend. Das Kloster befindet sich hinter den dicken Mauern eines Backsteinkubus, den Annika Haller gebaut hat.

Dieser öffnet sich und zeigt den geschlossenen Kosmos des Konvents, in den zum Ende des zweiten Aktes grob die Außenwelt eindringt. Doch auch unter den Frauen ist nicht alles Einigkeit und Sanftmut. Offen zeigt Stöppler den Konflikt, ja das Machtgerangel zwischen Mutter Marie, die der alten Priorin versprochen hat, auf Blanche zu achten, obwohl sie in Mainz von deren Panikattacken und Ungeschicktheit zunehmend genervt ist, und der neuen Priorin Madame Lidoine, die von außerhalb kommt, um die Nachfolge der verstorbenen, äußerst beliebten Madame de Croissy anzutreten und augenscheinlich an der Flasche hängt. Behutsam, aber deutlich wagt sich die Regisseurin so an die eine oder andere Umdeutung. Marie, eigentlich Sympathieträgerin, wird zum Gegenteil – nicht nur, weil sie als einzige aus offensichtlich sehr fleischlichen Gründen nicht mit den Schwestern in den Tod geht. So gelingt Elisabeth Stöppler eine aufwühlende und bewegende Deutung des auch musikalisch dramatisch auf den Schluss zusteuernden Werkes.

Das wurde zwar erst 1957 an der Mailänder Scala als Auftragswerk uraufgeführt, klingt aber bisweilen beinahe historisch. Poulenc orientiert sich an Bach’scher Themenarbeit, scheint fast eine Fuge mit Gesang komponiert zu haben. Die läßt Kapellmeister Samuel Hogarth am Pult auch farbenreich erklingen, läuft vor allem in den barock anmutenden Intermezzi und dem fulminanten Finale zu Höchstform auf und präsentiert an diesem Nachmittag von extrem wackligen Blech und an der einen oder anderen Stelle allzu wuchtigem Klang, der die Sänger übertönt, ein lupenreines Dirigat dieser eindrucksvollen Partitur. Im letzten Bild des ersten Aktes, der Gänsehaut erzeugenden Szene, in der die alte Priorin im Moment des Todes mit Gott hadert, kam es aufgrund einer technischen Panne zur Einspielung von Klaviermusik aus dem Off und die Aufführung musste unterbrochen werden. Dass es Gudrun Pelker in der Rolle der Madame de Croissy dennoch gelingt, dass sich einem die Nackenhaare hoch stellten, liegt nicht nur am charaktervollen Mezzo, sondern auch an der packenden Darstellung dieser Vollblutkünstlerin. Nadja Stefanoff, erneut Gast am Haus, glänzt als ihre Nachfolgerin Madame Lidoine mit ebenso intensivem Spiel, facettenreichem Sopran und schier endlosem Atem.

Ihre Konkurrentin um dieses Amt, Mere Marie, erweckt Linda Sommerhage mit ausdrucksstarkem Sopran zum Leben, der allerdings in der Höhe nicht immer frei von Schärfe ist. Peter Felix Bauer zeigt sich solide im kurzen Auftritt des Marquis de la Force, Steven Ebel, der Blanches Bruder singt, verfügt über einen hellen Tenor, bemüht allerdings ein wenig oft das Kopfregister. Johannes Mayer leiht dem Beichtvater des Karmel seinen geschmeidigen und weichen Tenor und Dorin Rahardja gibt szenisch wie stimmlich engagiert und gekonnt die bald vor Lebensfreude übersprühende, bald todessehnsüchtige Constance. Visa Mikneviciute ist eine mitreißende Blanche, verfügt über die nötige Kraft in der Höhe, um die panischen Ausbrüche zu meistern, findet aber auch immer wieder betörende, beinahe entrückte Höhenpiani. Wunderbar!

Aus der Unzahl der durchweg solide besetzten kleineren Rollen sei der diabloisch klingende und wahrlich Angst einflößende Bass von Georg Lickleder als Offizier ebenso hervorgehoben wie die Altistin Katja Ladentin, die die Mere Jeanne stimmlich und darstellerisch dermaßen intensiv und überzeugend verkörpert, dass sie die an sich recht übersichtliche Partie deutlich aufwertet. Chorchef Sebastian Hernandez-Laverny hat die omnipräsenten, überzeugend und fesselnd spielenden und singenden Karmeliterinnen ebenso einstudiert wie den kurz auftretenden Herrenchor. Beide tragen durch ihre stimmige Interpretation wesentlich zum bewegenden Gesamteindruck dieses Nachmittags bei, der lange nachhallt. Da wünscht man sich dieses Werk doch wesentlich öfter auf deutschen Bühnen.

Ihr Jochen Rüth / 5.12.2016

Die Fotos stammen von Andreas Etter.