Mainz: „The Fairy Queen“

Besuchte Aufführung: 5. 10. 2014 (Premiere: 2. 10. 2014)

Schön, aber wenig aufregend

Spartenübergreifendes Abrutschen in die Konventionalität

Eine Neuproduktion von Purcells „The Fairy Queen“ läutete am Staatstheater Mainz die neue Intendanz von Markus Müller ein. Das im Jahre 1692 uraufgeführte Werk beruht auf Shakespeares gegen Ende des 16. Jahrhunderts – wann genau ist nicht überliefert – aus der Taufe gehobenem „Sommernachtstraum“. Purcells Oper war damals in hohem Maße geeignet, das Stück des Meisters aus Stratford einem breiten Publikum wieder bekannt zu machen, nachdem es auf Befehl Cromwells aufgrund seines losen Inhalts fast hundert Jahre in der Versenkung verschwunden war. Auch für die Oper waren unter Cromwell schwere Zeiten angebrochen. Die Republikaner konnten mit dieser Kunstform nichts anfangen und verboten sie kurzerhand. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann sich die Lage wieder zu entspannen. Die Oper an sich, in der Emotionen nur durch die Musik vermittelt wurden, war zwar nach wie vor verpönt. Aber gegen die Aufführungen von reich mit Musik garnierten Schauspielen, in denen die Gefühle immer noch vom gesprochenen Text transportiert worden, hatte die Obrigkeit damals nichts mehr einzuwenden. So entwickelte sich die sog. Semi-Opera, als deren herausragender Vertreter Purcell gilt und dessen „Fairy Queen“ ein Musterbeispiel dieser Gattung ist. Sie brachte ihm neben einigen seiner anderen Kompositionen hohen Ruhm ein. Nach wie vor unbekannt ist indes der Verfasser der Bearbeitung des „Sommernachtstraums“ für die Semi-Opera. John Dryden, Elkanah Settle und Thomas Betterton kommen in Frage, ihre Autorenschaft lässt sich aber nicht nachweisen. In dieser Beziehung muss alles Spekulation bleiben.

Vida Mikneviciute (Helena), Gili Goverman, Alessandra Corti und Maasa Sakano (Tänzer)

Das in der „Fairy Queen“ wie auch allgemein in Semi-Operas als Stilprinzip dominierende Potpourri aus Gesang, Schauspiel und Tanz entsprach voll und ganz Markus Müllers Intention, zu Beginn seiner Mainzer Intendanz sämtliche Sparten des Staatstheaters in einer gemeinsamen Produktion zu vereinigen. Die Entscheidung für Purcells Werk als Eröffnungspremiere war mithin gut getroffen. Diese Wahl ist programmatisch zu verstehen: „Wir möchten, dass die Sparten nicht bloß nebeneinander her, sondern immer wieder auch miteinander spielen“ schreibt Müller im Jahrbuch. In dieser Beziehung ist seine Rechnung dann auch voll und ganz aufgegangen. Was an diesem Nachmittag über die Bühne ging, war ein quicklebendiges Miteinander von Opern-, Schauspiel- und Tanzensemble, wobei die Musik entgegen der ursprünglichen Intention Purcells wieder Teil der dramatischen Handlung wird. Insoweit hat man sich in Mainz von der Historie wieder entfernt, um die Bedürfnisse der drei Sparten auf einer gleichgeschalteten Ebene erfüllen zu können. Purcells Werk wird nicht in der ursprünglichen Reihenfolge erzählt, sondern erfährt eine Umstellung, die es erlaubt, den Focus auch während der Gesangseinlagen nachhaltig auf die vielfältigen Emotionen der Handlungsträger zu legen. Gesungen wurde dabei in der englischen Originalsprache; die deutsch gesprochenen Dialoge folgten der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel, die aufgrund ihrer romantischen Ausrichtung zu Purcells musikalischer Sprache ausgezeichnet passte.

Alexandra Samoulidou (Sopran)

Für die Inszenierung konnte der Regisseur und Choreograph Jo Stromgren gewonnen werden, dem eine insgesamt durchaus schlüssige Verzahnung aller beteiligten Sparten gelang. Um dem Zuschauer den Überblick über die etwas verworrenen Handlungsstränge zu erleichtern, hat er zusammen mit dem Mainzer Dramaturgen Lars Gebhardt eine neue Textfassung des Werkes kreiert und erstmal radikal den Rotstift angesetzt. So strich er beispielsweise sämtliche Szenen der Handwerker. Die Aufführung dauerte dann mit ca zwei Stunden reiner Spielzeit gerade mal halb so lang wie zu Purcells Zeiten. Gekonnt nahm er eine Komprimierung des Geschehens vor und legte das Schwergewicht seiner Deutung auf die Liebespaare. In erster Linie geht es ihm um eine eingehende Beleuchtung der das Stück ausmachenden diversen Liebesformen der Menschen und der aus dem hohen Norden kommenden Elfen. Einfühlsam werden hier die aufflammende erste Liebe zwischen den beiden Menschenpaaren und die altgediente, zur bloßen Routine erstarrte Ehe des Elfenkönigspaares einander gegenübergestellt. Insbesondere der dämonisch gezeichnete Oberon ist eher ein traditioneller Alberich als ein mehr oder weniger liebevoller Elfenkönig. Als Verwandte von Wagners Schwarzalben sind die Feenwesen als Projektionen menschlicher Ängste und damit nicht real aufzufassen. Feuerbach lässt grüßen. Puck stammt aus dem Tanzensemble und stellt eine Mischform aus Wolf und Hund dar.

Die Gedanken, die Stromgren sich über das Stück gemacht hat, sind durchaus berechtigt. Auch technisch ist ihm nicht das Geringste anzulasten. Er versteht sein Handwerk. Sänger und Schauspieler vermag er solide zu führen und die zwischenmenschlichen Beziehungen mit einer guten Prise Ironie und einem gehörigen Schuss an humorvollem Witz aufzuladen. Noch ausgeprägter sind seine Fähigkeiten indes auf dem choreographischen Sektor. Hier wartet er mit einem beeindruckenden Gemisch aus Ausdruckstanz, traditionellem Pas de deux und einigen tänzerischen Sporteinlagen auf, die man fast schon als akrobatisch bezeichnen könnte. Die vielfältigen Tänze und Pantomimen hatten einen starken assoziativen Charakter. In diese Richtung gingen auch von Sopran-, Tenor- und Basssolisten verkörperte Allegorien von diversen Gefühlszuständen und Jahreszeiten. So weit, so gut.

Klaus Köhler (Oberon), Alin-Ionut Deleanu (Lysiander). Lilith Häßle (Hermia)

Dass die Produktion insgesamt dennoch nicht sonderlich zu überzeugen vermochte, verdankte sich dem allzu biederen, traditionellen Ansatzpunkt des Regieteams. Von einer Modernisierung wurde gänzlich Abstand genommen. Die Handlung spielt nach wie vor in Griechenland, in dem die Protagonisten in von Bregie van Balen geschaffenen antiken Tuniken erscheinen und ihre Händeleien in einem altgriechischen Ambiente mit reflektierendem Boden, ionischer Säule und einigen Säulenfragmenten austragen. Stephan Ostensens derart altmodisch ausgestatteter Bühneraum erfuhr darüber hinaus eine von Stefan Bauer vorgenommene ästhetisch ansprechende Beleuchtung. Wenn es nur das gewesen wäre. Dazu kam aber noch, dass Stromgren die Errungenschaften des modernen Musiktheaters anscheinend überhaupt nicht zu schätzen weiß. Er hat zu Purcells Werk überhaupt nichts zu sagen und beschränkt sich darauf, die Handlung belanglos und ohne sonderlichen Tiefgang, wenn auch frisch und munter, nachzuerzählen. Das ist nicht gerade originell. Zudem hält der Regisseur die Protagonisten bei den gesprochenen Texten zu einem überholten, heute nicht mehr gefragten pathetischen Deklamieren an, vom dem sich heutige ernstzunehmende Schauspielschulen längst und zu Recht zugunsten eines psychologischen Realismus entfernt haben. Diese Art, auf der Bühne zu sprechen, wirkte ziemlich altbacken. An diesem Nachmittag wurde Unterhaltung ganz groß geschrieben, der intellektuelle Faktor dagegen gänzlich ausgespart, was schade ist. Insgesamt haben wir es bei dieser Produktion mit einem spartenübergreifenden Abrutschen in die Konventionalität zu tun, das wenig aufregend war und dem in den vergangenen Jahren gepflegten ausgesprochen modernen szenischen Kurs des Staatstheaters Mainz eine rigorose Absage erteilte. Es bleibt zu hoffen, dass diese wenig geglückte „Fairy Queen“ eine Eintagsfliege bildet und die folgenden Mainzer Opern-Inszenierungen wieder etwas zeitgenössischer ausfallen werden.

Tanzensemble

Eine hervorragende Leistung erbrachten Andreas Spering und das Philharmonische Staatsorchester Mainz, die sich den Duktus von Purcells Partitur trefflich zu eigen gemacht hatten und auf Originalinstrumenten recht schmiegsam und farbenreich zu Gehör brachten. Die herrlichen Streicher-Kantilenen erklangen in gleichem Maße intensiv und gefühlvoll wie die Ausbrüche von Pauken und Trompeten fulminant. Dabei verlor der Dirigent die profunde Basslinie der tiefen Streicher nie aus dem Auge. Der von ihm und den Musikern erzeugte Klangteppich war dabei kein original barocker, sondern diesem musikalischen Stil lediglich angenähert. Hervorzuheben ist weiter die prägnante Rhythmik, die Spering trefflich herausgearbeitet hat, sowie die gute Diktion der Orchesterstimmen.

Trefflich aufeinander eingespielt war das gemischte Ensemble, das von zwei hochrangigen Sängerinnen angeführt wurde. Alexandra Samoulidou sang mit phantastisch fokussiertem, in jeder Lage sauber ansprechendem und sehr emotional geführtem Stimmmaterial den Sopran. Sie stellt eine ganz große Hoffnung in ihrem Fach dar. Mit der Helena hatte sich die schon oft bewährte Vida Mikneviciute stark von ihren sonstigen Rollen entfernt, überzeugte aber auch hier mit wunderbar italienisch geschultem, kräftigem und ausdrucksstarkem Prachtsopran, den sie ausgesprochen nuanciert einzusetzen wusste. Ihre sehr gefühlvoll gesungene Arie im zweiten Teil war der Höhepunkt des Nachmittags. Einen mächtigen, robusten Bass brachte Georg Lickleder in die Partie des allegorischen Bassisten ein. Reichlich dünn und überhaupt nicht im Körper intonierte Michael Pegher den Tenor. Mit nicht gerade ansprechendem, dünnem und unnatürlich klingendem Countertenor gab Alin-Ionut Deleanu den Lysiander.

Michael Pegher (Tenor), Mattia De Salve (Puck), Ruben Albelda Giner (Indischer Knabe), Andrea Quirbach (Titania)

Auf der Schauspielerseite überzeugte Klaus Köhler in der Doppelrolle des dunklen Oberon und des seitens der Regie etwas komisch angelegten Theseus. Neben ihm bewährte sich Andrea Quirbach als resolute Titania und Hippolyta. Bestens besetzt war auch Clemens Dönicke, der in der Partie des Zettel einiges zu leiden hatte und den Egeus einfach köstlich als herrlich verdeppten Einfaltspinsel gab. Ansprechend spielte Lilith Häßle die Hermia. David Schellenberg legte den Demetrius reichlich stolz und selbstsicher an. Ein Extralob gebührt dem Tanzensemble mit Mattia De Salves grandiosem Puck an der Spitze. In die kleine Partie des indischen Knaben war Ruben Albelda Giner geschlüpft. Auf der Haben-Seite der Aufführung bewegte sich ferner der von Sebastian Hernandez-Laverny trefflich einstudierte Chor.

Ludwig Steinbach, 8. 10. 2014
Die Bilder stammen von Andreas J. Etter