Mainz: „The Fairy Queen“

Premiere am 02.10.2014

Fulminant in die neue Saison gestartet

Rundum gelungener Purcell: spritzige Komödie und Klassik-Parodie

1692 wurde Purcells The Fairy Queen, eine von seinen drei noch regelmäßigen masques oder semi-operas in London uraufgeführt. Das Werk beruht auf Shakespeares Sommernachtstraum, das gut 100 Jahre früher herauskam. In der Restaurationsperiode in England nach der puritanischen Zwischenspiel hatten Theater und Musik wieder an Zuspruch gewonnen. Shakespeares Komödie, die nicht zuletzt dadurch fast in Vergessenheit geraten war, dass die dort beschriebenen lockeren Sitten dem Cromwell-Regime gar nicht passten wurde nun plötzlich mit musikalischem Interesse wieder ausgegraben. Wer der Textautor der Oper war (Thomas Betterton oder John Dryden) ist nicht gesichert. Die Ur-Fassung für Purcells Werk ist gegenüber dem Shakespeare-Original schon stark gekürzt. Die nun in Mainzer vorgestellte Fassung ist noch weiter gekürzt worden und kommt auf eine reine Spielzeit von gut zwei Stunden. Die „Handwerker“-Szenen („Rüpel“ oder „Bergamasker“) sind gestrichen. Der deutschen Dialogfassung, die Jo Strømgren und Lars Gebhardt angefertigt haben, liegt die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel zugrunde.

Semi-operas stellen eine Mischform aus Schauspiel, Gesang, Musik-Einlagen, Pantomimen und Tanzmusik dar. Somit sind an einem Dreispartentheater Tanz, Oper, Orchester und Schauspiel eingebunden. Es war eine sehr gelungene Geste des neuen Mainzer Intendanten Markus Müller, bei der ersten Premiere des Staatstheaters alle seine Sparten vorzustellen und das gleich in einer so gelungenen Produktion.

in der Mitte: Alexandra Samouilidou ("Sopran"), Ballett (Elfen); hinten: Klaus Köhler (Oberon) mit Flitspritze

Inszenierung und Choreographie der Produktion hatte Jo Strømgren übernommen. Es gelang ihm, den Wirrwarr der Shakespeare-Komödie einigermaßen klar und verständlich auf die Bühne zu bringen, was a priori keine leichte Aufgabe ist. Allerdings wurde dazu auch kräftig gekürzt. Dennoch empfiehlt es sich, dass die Besucher sich vor der Vorstellung aus dem Programm über die auftretenden Figuren informieren, denn es wird nicht wie in klassischen Theaterstücken das Personal vorgestellt, sondern es ist einfach da. Erst kommen die Schauspieler; da folgt man ohnehin gut, dann kommt Instrumentalmusik, die einen gleich in ihren Purcell-Zauber zieht, dann kommen die wenigen Sänger: nur zwei Individuen, dazu drei, die wie Allegorien ihre Kommentare und Wünsche formulieren. Eine Gruppe von zwölf Tänzerinnen und Tänzern spielte teilweise ganz konkrete Rollen, wirkt in weiteren Szenen aber auch abstrakt zur Ballettmusik.

Shakespeare hat die Handlung seines Stücks in einen Wald bei Athen gelegt, wo neben den antiken Figuren auch solche aus der nordischen Mythologie auftreten (Oberon, Puck, Elfen). Eine ganz einfache Szenographie (Bühnenbild Stephan Østensen) bot den geeigneten, antikisierenden Rahmen für die Aufführung. Auf der spiegelglatten Bühne waren die entsprechenden Requisiten aufgestellt: antike Säulenstümpfe, eine umgestürzte ionische Säule und dazu je nach Szenenbild ein paar silbrige Büsche. Eine große als Bühnenprospekt aufgespannte Leinwand diente als Reflexionswand für verschiedene farbige Beleuchtungseffekte oder zeigte einfach einen blauen Himmeln mit Federwolken (sehr wirksam: Licht Stefan Bauer). Dazu kam die antiken Mustern nachgebildete Kleidung der Hauptdarsteller der Kostümbildnerin Bregje van Balen, die zudem das Ballett in verschiedene fantasievolle Kostüme gesteckt hatte; besonders attraktiv die als fauchende Kobolde auftretenden Elfen der Ballettgruppe. Puck ist ein hundeähnliches Fabeltier; der sowohl von Oberon als auch Titania begehrte „indische Junge“ eine hochgewachsene schlanke Fakir-Figur.

Vida Mikneviciute (Helena); Kikith Häßle (Hermia); Alin-Ionut Deleanu (Lysander); Ballett

Humor und Witz waren bestimmende Elemente der quirligen, spritzigen Regiearbeit. Die führte auch bis zum Ulk, blieb aber stets in genügendem Sicherheitsabstand zum Klamauk. Da die ganze Handwerker-Aufführung (Pyramus und Thisbe) gestrichen ist, haben sich Dramaturgie und Regie weiterer inszenatorischer Möglichkeiten des Stücks beraubt, die gerade gegen Ende des Stücks die Szene noch einmal ordentlich aufmischen könnte. Da kommt das Ende mit seiner klassischen Jubelszene fast unvermittelt, aber in einer sehr schönen Bühnenästhetik, in der alle Mitwirkenden sich noch einmal wie zu einem vorweggenommenen Schlussapplaus aufbauen dürfen.

Im Vergleich zu dem, was heute vielenthalben auf den Schauspielbühnen zu sehen ist, setzte Strømgren die Schauspieler recht dezent ein. Kein Geschrei, keine Farbbeutel, sondern sehr manierliches, bestens verständliches Sprechen und szenenwirksames Interagieren durch eine gekonnte Personenregie. Das ging auch bis hin zu klassischem Posieren und Deklamieren, allerdings ironisierend und parodierend – dem Sujet angemessen. Für den in der Schauspielkunst nicht so versierten Opernfreund blieben hier keine Wünsche offen. Klaus Köhler und Andrea Quirbach verkörperten die beiden Paare Theseus/Hippolyta sowie Oberon und Titania überzeugend differenziert ohne jegliche Stereotypen und drückten sogar stimmlich die Unterschiede zwischen diesen beiden Paaren aus. In den beiden Rollen Egeus und Zettel war Clemens Dönicke besetzt, der dem Egeus die typischen, etwas trotteligen Züge verlieh und sich leider als Zettel heftige Misshandlungen seitens Titania gefallen lassen musste, die sich entsprechend Pucks Interventionen diesem zum Geliebten und Leibeigenen machen durfte. Sehr selbstüberzeugt als Demetrius trat David Schellenberg auf, aber sein hohler Pathos wich bald irdischer Eifersucht. Lilith Häßle gab eine klassisch auftretende Hermia. Die Textpassagen wurden auf Deutsch gesprochen.

Klaus Köhler (Oberon); Clemens Dönicke (Zettel); hinten: Mattia De Salve (Puck)

Im Gesang ging es librettogetreu auf Englisch mit deutscher Übertitelung über. Dem als Lysander überzeugenden Alin-Ionut Deleanu waren sowohl Gesangs- als auch Sprechpassagen zugeordnet. Mit seinem weich ansprechenden warmen Counter ohne großes Volumen bewältigte er klangschön die Gesangslinien, und – erstaunlich genug – ging mit seiner Stimme bei harten Sprecheinsätzen im baritonalen Naturregister nicht gerade sanft um. Die Helena wurde von Vida Mikneviciute gesungen; ihre Stimme ist für Barockgesang nicht ausgebildet; aus ihrem an sich schönen Sopran-Fundament entwickelte sie keine klaren Gesangslinien und blieb in ihrem Lamento unter den Möglichkeiten der Partitur. Das Publikum spendete ihr dennoch Szenenbeifall. Daneben gab es die im Programm als Sopran, Tenor und Bass bezeichneten Sänger, denen verschiedene Rollen von Allegorien und Gottheiten zugeteilt waren. Alexandra Samouilidou intonierte mit weich ansprechendem und geschmeidigem Sopran; Michael Pegher sang die Tenor-Rolle mit baritonalem Timbre und schlanker Stimmgebung sauber aus. Georg Lickleders runder, voluminös ausladender Bass entsprach seiner mächtigen Figur.

Klaus Köhler (Oberon); Alin-Ionut Deleanu (Lysander); Lilith Häßle (Hermia)

Ein Ensemble aus dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz unter der Leitung des ausgewiesenen Barockspezialisten Andreas Spering ließ mit Original-Instrumenten ergänzt vom ersten Moment an einen seidigen Purcell-Klang ertönen. Allerdings war dieser „erste Moment“ nicht genau definiert, denn wie zu Purcells Zeiten üblich hatte Spering bei noch beleuchtetem Saal schon den Taktstock gehoben, als sich noch nicht alle gesetzt hatten, die Zuspätkommer sich durch die Reihen zwängten und die Mainzer sich noch in angeregter Unterhaltung befanden. Dafür war es umso besser, was er dem Orchester entlockte: süffige Streicherklänge; die in Kleinintervallen fallenden Basslinien für die traurigen Passagen oder auch die markanten von den tiefen Streichern vorgetragenen Ostinati, über welche der Gesang gesetzt war: Markenzeichen von Purcells Musik. Bis hinein mit den für Pauken und Trompeten bestückten Triumpf-Passagen war das immer tadellos präzise und konzentriert musiziert.

Ballett

Auch die Tänzer bewiesen hohes Niveau. Manierierter Barocktanz wurde nicht gezeigt, aber ein breites Spektrum von Ausdruckstanz über gelungene Gruppen-Choreografien und perfekte turnerische Einlagen bis ein an den klassischen Tanz angelehntes Pas de deux. Herrlich die Elfen als fauchende Kobolde und die gelungenen Tierpantomimen. Den meisten Beifall von allen aber bekam der italienische Tänzer Mattia De Salve als Puck, stumme Rolle als hundeähnliches wildes Tier in Szene gesetzt; mit muskulös gestähltem Körper spielte De Salve den Puck, scheuchte das Bühnenpersonal mit erschröcklichem Auftreten, arbeitete aber hündisch treu seinem Herrn Oberon zu, dem er eine übergroße Flitspritze hinterhertrug, mit welchem Oberon die Gefühle der Protagonisten manipuliert.

Das Publikum im vollen Haus spendete begeisterten Beifall für den gelungenen ersten Abend unter der neuen Intendanz: so kann es weiter gehen. Mit der Fairy Queen geht es erst einmal weiter mit Vorstellungen am 5., 10., 12., 19. und 29. Oktober. Danach gibt es noch weitere Termine. Gesamturteil: unbedingt hingehen!

Manfred Langer, 03.10.14
Fotos: Andreas J. Etter