Mozarts vielleicht bedeutendste, seine letzte Sinfonie zu Beginn eines Konzertprogramms, sozusagen als Ohrenöffner zu bringen, erschien ungewöhnlich. Im Gegensatz zur vorletzten, eher hintergründigen g-Moll Sinfonie herrscht Jupiter in strahlendem C-Dur. Ob der üblichen Tonartencharakteristik hier eine Bedeutung zukommt? C-Dur hat Mozart sehr häufig gewählt. Zeichnet sich die Sinfonie durch Unschuld, Einfalt, Naivität, Kindlichkeit aus? Die prächtige Fülle schon des 1. Satzes legt das nicht nahe. Der muntere, spielerische Umgang mit dem thematischen Material scheint eher Unbefangenheit zu spiegeln und Kraft. Bei nicht zu schnellen Tempi und offener, unbekümmerter Dynamik entwickelte sich nach klarem, hellem, durchsichtigem Orchesterklang der 1. Satz und ließ bald fast schon Beethovens Sinfonik erahnen. Auffällig blieb immer wieder die auffällige agogische Verzögerung des 1. Themas nach den charakteristischen Orchesterschlägen. Wunderbar tastete sich das gesanglich elegisch hintergründige Thema des Andantes cantabile (2. Satz) sonor in den tiefen Streichern voran. Emotionale Instabilität brachten synkopische Begleitfiguren, Wechsel nach Moll und zuletzt ersterbende Repetitionen der Naturtrompeten. Das flotte Menuett des 3. Satzes war kein höfischer Unterhaltungstanz mehr, bezauberte mit feinen Oboen- und Fagottsoli und entwickelte schon konzertante Dichte. Warum er nach dieser keine weitere Sinfonie geschrieben hat, ist unklar. Nach insgesamt 41 Sinfonien war es wohl genug. Im Sommer 1788 sind die drei letzten Sinfonien innerhalb weniger Wochen entstanden. Der letzte Satz Mischung aus italienischer Operneleganz, barockem Konstruktivismus (Fugen!), und kammermusikalischer Sensibilität bot dem Ohr oft bemerkenswert kräftige Orchesterfülle, wenn das reiche thematische Material souverän und spielerisch bis zur überraschenden Generalpause vor einer letzten Fuge am Ende brillant aber nie zu schnell durcheinandergewirbelt wurde. Mit kräftigem Applaus bereitete sich das Publikum auf den 2. Teil des Konzerts nach der Pause vor.
Wer nicht genug Muße aufbringt, um das monumentale Weltendrama vom „Ring“ in Bayreuth zu erleben, der muß sich mit Kürzungen zufriedengeben. Schon Loriots konzertanter „Ring an einem Abend“ mit Solistenensemble dauert statt rund 16 Stunden Gesamtspielzeit der vier Opern an vier Abenden nur drei Stunden. Wer noch weniger Zeit aufwenden will, muß sich mit der reinen Orchesterfassung von ca. 70 Minuten zufriedengeben. Immerhin wurde hier mit nahezu voller Orchesterbesetzung gespielt, wobei die von Wagner geforderte Originalbesetzung von 16/16/12/12/8 (1. und 2. Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabässe) nur in Bayreuth geboten wird (in Wuppertal 14/12/10/8/6). Offensichtlich bestimmen Zeit- und Geldmangel die Programme auch anderswo, von Solingen bis Regensburg, wo Lorin Maazels Kurzfassung jetzt ebenfalls aufgeführt wurde. Dabei mochte Richard seine Werke bekanntlich „nicht jedem hergelaufenen Stadttheater“ anvertrauen und eine rein orchestrale Kurzfassung des Riesenwerks war wohl überhaupt nicht im Sinne des Komponisten und Dichters, der ja bewußt jenseits von Konzert und konventioneller Oper ein Gesamtkunstwerk im Sinn hatte. Ohne Text und Handlung sind weder der revolutionäre Sinn des Musikdramas noch die Verwendung der Leitmotive als musikalische Vokabeln. Brüche im Potpourri, der Stücke störten gelegentlich. Natürlich bedeuten der fehlende Sänger, die fehlende Sängerin Verlust wichtiger musikalischer Thematik, auch kann die Tiefe des Werks zwischen menschlicher bzw. göttlicher Stimme und der instrumentalen, leitmotivisch dramatisch kommentierenden Musik nicht ausgelotet werden. Allein in der der Walküre gibt es mehr als 40 Leitmotive. Richard Wagner hat 1876 bei der Uraufführung den Sängern eingeschärft: „Deutlichkeit – Die großen Noten kommen von selbst; die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache“. Nur mit Text wird das Werk zu dem durchaus aktuellen Revolutionsstück, welches sich darum dreht, wohin es führt, wenn Geld, Betrug, Mord und Totschlag die Welt regieren. Da werden selbst die Götter machtlos und die Welt geht unter.
Also nach der Pause ging es los, wie es Richard Wagner im August 1853 im Hotelzimmer in La Spezia beim Mittagsschlaf nach Badewanne (?) geträumt hat: versinkend in stark fließendem Wasser, im musikalischen Klang des figuriert gebrochen, zunehmend wogenden Es-Dur Akkords wußte er bei schreckhaftem Erwachen, daß ihm das Orchestervorspiel des Rheingolds aufgegangen war, hat er jedenfalls geschrieben. Die akustische Rheinidylle wird von Alberich gestört, der unbekümmert auf dem Amboß hämmert, das in C-Dur strahlende Rheingold den im grünen Rhein badenden Nixen raubt, es sogleich an den Göttervater verliert, der damit für die auf Pump gebaute Götter-Zentrale Walhall zahlen muß. Musikalisch räkeln sich die um ihren Lohn kämpfenden Bauarbeiter, die Riesen Fasold und Fafner, im Orchestergetümmel. Die weitere komplizierte Handlung ist schwer nachvollziehbar. Sie wird bestimmt durch die Liebe von Siegmund und Sieglinde, die im Ehebruch Siegfried zeugen, wie Richard Wagner und Cosima, die oben auf dem St. Gotthard ihren eigenen Siegfried gezeugt haben. Natürlich beeindruckt das herrliche Blech mit prächtigen Wälsungen-, Sturm- und Gewittermotiven. Was Macht, Liebe, Entsagung, Liebeserlösung, Götternot, Zorn oder Schicksal musikalisch bedeuten, kann in einer kurzen konzertanten Version kaum verdeutlicht werden. Waldvögelein und Feuerzauber vermitteln auch konzertant immerhin Atmosphäre. Beim Kampf um Macht und Geld kommen die Bauunternehmer Fasolt und Fafner ums Leben und auch Wotan, der inzwischen durch den Wald wandernde Chef der Götter, hat das Nachsehen. Zuletzt wird Siegfried vom finsteren Hagen erstochen und Brünhilde wirft den Ring, Sinnbild von Kapital und Macht, zurück in den Rhein. Die Götterburg verbrennt, der Rhein steigt und steigt (hier noch ohne Starkregen). Der Schluß, leider ohne singende Brünhilde über dem Chaos, beeindruckte. Wechselnde Klangfarben, herrliche Kantilenen der Celli, mächtiges Blech teilweise aus der Ferne (mit nur ganz wenigen minimalen Unschärfen, tragische Doppelschläge der Pauken beim Abtransport von Siegrieds Leiche (Trauermarsch), arpeggierende Harfen gaben dem Riesenwerk Würze in Kürze. Musikalisch großartig, weckte dieses auf rund 70 Minuten eingedampfte sinfonische Desiderat (? Lückenbüßer?) die Erwartung auf eine zyklische Aufführung des gesamten Dramas hoffentlich im Barmer Opernhaus. Nach kurzer Ergriffenheit brach gewaltiger, rund 15 Minuten lang tobender Applaus los, wie man ihn selbst hier in dieser Intensität selten erlebt hat. Zuletzt wurden Georg Baumann(Bratsche) und Hartmut Müller(Tuba) nach jahrzehntelangem Orchesterdienst in den Ruhestand verabschiedet. Insgesamt machte dieser sehr würdige Schluß der Saison Lust auf die kommende.
Johannes Vesper, 21. Juni 2024
Dank an unsere Freunde von den Musenblättern
11. Sinfoniekonzert
Historische Stadthalle Wuppertal
Sonntag 16. Juni 2024
Wolfgang Amadeus Mozart: Jupiter-Symphonie
Richard Wagner: Der Nibelungen-Ring ohne Worte
Patrick Hahn: Dirigent
Sinfonieorchester Wuppertal