Bremerhaven: „Zar und Zimmermann“

Premiere am 25.04.2015

Der Bürgermeister macht Wahlkampf

Die Zeiten, in denen die Werke von Albert Lortzing fester Bestandteil in den deutschen Theatern waren, sind lange vorbei. Umso mehr kann man sich freuen, wenn das Stadttheater Bremerhaven einen Lortzing auf die Bühne bringt. Die Wahl fiel auf „Zar und Zimmermann“ und damit auf die wohl populärste Oper Lortzings. Natürlich wäre es reizvoll gewesen, vielleicht auch mal seinen „Hans Sachs“ oder seine „Regina“ auszugraben, aber mit Blick auf das Bremerhavener Publikum, das sich mit unbekannteren Werken etwas schwer tut, ist die Entscheidung legitim. Die ausverkaufte Premiere bestätigt das.

Im Land Bremen herrscht Wahlkampf. Wer das noch nicht bemerkt hat, sollte sich diesen „Zar und Zimmermann“ ansehen. Denn dort marschiert der aufgeblasene Bürgermeister van Bett bei seinem Auftritt beifallheischend durch das Publikum, wobei sein Adlatus Rosen und er selbst seine Visitenkarte verteilt. „Ehrlich gemeinsam weiterkommen!“ stand da als Politphrase drauf. Das war einer der vergnüglichen Einfälle, die der britische Regisseur Walter Sutcliffe seiner Inszenierung mit auf den Weg gab. Und auch den Schauplatz (eigentlich eine Schiffswerft in der holländischen Stadt Saardam) rückte er an die Seestadt heran – genauer in ein Container-Terminal. Das war durchaus stimmig und passte zum Werk: Die bunten, riesigen Container rund um die Spielfläche boten einen attraktiven Rahmen (Bühnenbild und Kostüme von Okarina Peter und Timo Dentler). Hier verbringen die Arbeiter mit ihren Schutzhelmen die Mittagspause und werden von der Witwe Browe (Hannah von Peinen), die hier zur Kantinenwirtin mutiert ist, versorgt. Nur der Zar schleppt Kisten und ist ordentlich am arbeiten.

Das Bühnenbild hatte aber auch Nachteile. Weil es nicht nach hinten geöffnet werden konnte, musste für den Abschied des Zaren eine Notlösung herhalten: Der Zar schwingt wie Tarzan an einem Seil herein, verabschiedet sich und entschwindet nach oben, während der erfolglose englische Gesandte das Mobiliar zertrümmert. Das war wenig überzeugend. Trotzdem geriet die Inszenierung trotz einiger Einwände im Detail insgesamt sehr unterhaltsam. Denn Sutcliffe hatte im ersten Teil ein glückliches Händchen für komödiantische Aktionen. Er überzeugte mit weitgehend ausgefeilter Personenführung und mit guter Charakterisierung. Das fing mit dem Bürgermeister van Bett an. Mit Oliver Weidinger hatte er auch einen Sänger an der Hand, der alle Register seines komödiantischen Talents zog, der gesanglich mit markantem Bass auftrumpfte und als Figur keineswegs nur der Trottel vom Dienst war. Gerade das machte den Reiz der Politiker-Parodie aus. Der Gag mit dem mobilen Klo, in dem irgendwann auch der Bürgermeister verschwindet und durch lautes Ächzen alle an seinem Tun teilhaben lässt, war hingegen grenzwertig.

Im zweiten Akt findet eine Hochzeit statt, aber es ist eher eine Art Betriebsfest, bei dem eine Discokugel vom Bühnenhimmel kommt und der Marquis von Chateauneuf zu einem (zum Glück stummen) Mikrofon greift und seine Arie „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“ wie eine Schlagereinlage singt. Ebenso macht es später der Zar bei seinem „Sonst spielt’ ich mit Zepter, mit Krone und Stern“ – ein Einfall, der durch Wiederholung nicht besser wird. Gut gelöst war hingegen das Sextett, bei dem die Gruppen nicht jede in einer Ecke verhandeln, sondern immer wieder durch die Menge wuseln. Das brachte Bewegung und verstärkte das Verwirrspiel.

Die Regie offenbarte dann aber doch zunehmend einige Schwächen. Die endlose (und lautstarke) Polonaise gehörte ebenso dazu wie die nicht überzeugend ausgefallene Prügelei, in der der Regisseur Parallelen zu den „Meistersingern“ sehen will. Die Razzia durch die Bundespolizei (mit einem lahmen Gustav Klitsch als Oberinspektor) hatte wenig Witz. Und der Holzschuhtanz, bei dem nur ein Video aus dem Container-Terminal gezeigt wurde, hätte liebloser nicht behandelt werden können. Eine der beliebtesten Nummern der Oper ging so fast völlig unter. Daher gab es am Ende doch auch einige Buhrufe für die Regie. Dennoch: Die positiven Aspekte der Inszenierung überwiegen.

Solisten, Dirigent und Orchester wurden hingegen einhellig gefeiert. Die Tatsache, dass Lortzings Oper hier fast völlig ohne Striche gegeben wurde, konnte man genießen, denn Ido Arad am Pult der Bremerhavener Philharmoniker leistete Hervorragendes. Das zeigte sich schon in der lebendig und präzise musizierten Ouvertüre. Das Orchester befindet sich momentan in sehr guter Verfassung und trug das hohe Niveau durch die gesamte Aufführung. Lob auch für den von Jens Olaf Buhrow einstudierten Chor.

Filippo Bettoschi war zwar kein Zar aus „Samt und Seide“, aber einer mit kantigem Profil und markantem, strömend geführtem Bariton. Die Figur bekam bei ihm Gewicht und viel Ausstrahlung. Auch die Marie, die Nichte des Bürgermeisters, fand in Regine Sturm eine attraktive Interpretin, die mit klarem, über das Soubrettenfach hinausweisendem Sopran ihrem Peter Iwanow gehörig einheizte und auch sonst als blonder, „heißer Feger“ in feuerrotem Kleid den Männern schon den Kopf verdrehen konnte. Besonders dem Marquis von Chateauneuf, der mit Tobias Haaks luxuriös besetzt war und der mit schmelzreichem Tenor sang. Kleine Anfangsschwierigkeiten waren schnell überwunden. Thomas Burger war der in Marie verliebte Peter Iwanow, den er mit besonderer Spielfreude und beweglichem Tenor sympathisch darstellte. Gesanglich mit seiner fülligen Bassstimme wieder einmal aus dem Ensemble herausragend war Leo Yeun-Ku Chu als englischer Gesandter. Der russische Gesandte, der seine Informationen immer als SMS erhielt, war Mathias Tönges von der Bremer Musikhochschule.

Wolfgang Denker, 27.04.2015

Fotos von Heiko Sandelmann