Klagenfurt: „Tosca“

Vorstellung am 16.5.2012

Da gab es so manche Probleme vor der letzten Premiere von Intendant Josef E.Köpplinger, der ab Herbst die Leitung des Münchner Gärtnerplatztheaters übernimmt : Zuerst stürzte bei den Proben ein Kulissenteil auf zwei Bühnentechniker und die Sopranistin Annemarie Kremer, die sich in Spitalsbehandlung begeben musste und weder die Premiere noch spätere Vorstellungen singen konnte – siehe dazu:

http://www.krone.at/Oesterreich/Kulisse_stuerzt_bei_Opern-Probe_auf_Buehne_3_Verletzte-Polizei_ermittelt-Story-319062

Und dann brach der Sänger des Scarpia – Francesco Landolfi – bei der Generalprobe mit Kreislaufversagen zusammen.

Ich besuchte die sechste Aufführung – da gab es keine Pannen vor dem ausverkauften Haus.

So wie zuletzt in Graz bei „Maria Stuarda“ (siehe den Bericht vom 30.3.2012) lagen „Regie, Licht, Bühne und Kostüme“ in einer Hand – in der Hand des Italieners Stefano Poda. Auch bei dieser Inszenierung gelingen ihm wunderbare, düstere und nebeldurchwehte Bilder – auch hier wendet er das Mittel der drastischen Verlangsamung des Geschehens an. Er schafft eine geradezu irreale Atmosphäre mit vielen Statisten, deren Funktion sich nicht immer erschließt. Selbst die – von Puccini „molto lontano“ gewünschte – Schäferstimme im letzten Akt wird zu einer seherinnenhaften Frauenfigur im Zentrum der Bühne. Stefano Poda ist die bildhafte, statische Wirkung wichtig. Diese erzielt er – aber das ist unzweifelhaft ein ungeeignetes Mittel, um das umzusetzen, was im Programmheft zurecht wie folgt beschrieben ist: „Tosca ist ein brillanter Reißer und Puccini wußte, was ein Reißer vor allem braucht: Tempo.“ Und gerade dieses Tempo und dieses Reißerhafte fehlten an diesem Abend völlig.

Poda sieht die Figuren nur als einen Bestandteil des Gesamtbildes. Wichtiger als die einzelne Figur ist ihm das optische Gesamarrangement. Das bedeutet, daß den drei Hauptfiguren jede Individualität fehlt, manchmal findet man zwischen den Statisten gar nicht gleich den Protagonisten – es gibt keine knisternde Spannung. Und wo Poda detaillierte Personenführung einsetzt, so ist dies wenig überzeugend – dazu nur drei Beispiele: Warum macht der Mesner bei seinem Angelus-Gebet Liegestützübungen, warum nimmt Tosca am Ende des 2.Akts zunächst ein Messer vom Tisch, um dann Scarpia mit einem Revolver zu erschießen und warum hält im 3.Akt der Schließer Cavaradossi zunächst Schreibpapier hin, um es ihm dann zu entreißen? Alles unnötige Kleinigkeiten!

Das Konzept von Poda könnte – unter Umständen! – dann aufgehen, wenn musikalische Weltklasse am Werk ist und man von deren stimmlicher Interpretation gefesselt würde. Dies ist allerdings in Klagenfurt nicht der Fall: Man erlebt ordentliche, aber nicht außerordentliche Stimmen:

Die junge Ukrainerin Viktoriia Chenska als Tosca ist eine große schlanke Bühnenerscheinung mit manch schöner Pianophrase, aber auch manch tremolierender Forteschärfe, für den 35-jährigen Italiener Francesco Landolfi kommt der Scarpia wohl zu früh. Man hatte den Eindruck, daß er sich im Tedeum des 1.Akts allzu sehr verausgabt hatte, sodaß ihm im entscheidenden 2.Akt die notwendigen Kraftreserven fehlten. Am überzeugendsten war der US-Tenor uruguayischer Abstammung Gaston Rivero mit kraftvollen Attacken, aber auch schönen lyrischen Momenten.

Aber in Podas Regiekonzept konnte niemand der drei ein eigenes Profil entwickeln – sie blieben gleichsam als bloße Bildelemente im mystischen Halbdunkel stecken – schade! Auch den Nebenrollen fehlte die so wichtige stimmliche Prägnanz und scharfe Artikulation.

Und leider konnte auch das Orchester unter dem Klagenfurter Chefdirigenten Peter Marschik nicht überzeugen. So manche Ungenauigkeit (z.B. Celesta – Tosca im 1. Akt) und wenig Klangraffinement fielen auf, manches erinnerte – Verzeihung! – gelegentlich an an italienischen Kaffeehaus-Sound – erst im letzten Akt gelang manches wirklich sehr schön – etwa das Klarinetten-Solo.

Das Publikum quittierte die Aufführung mit freundlichem und kurzem Applaus.

Opernkritiken leben – auch – von Vergleichen. Es wäre natürlich inadäquat, eine Klagenfurter Stadttheater-Aufführung mit größeren Häusern zu vergleichen – aber mit dem Klagenfurter Opernniveau dieser Spielzeit ist ein Vergleich wohl zulässig.

Und da bleibt nur die abschließende Feststellung, daß diese Tosca weder in ihrer szenischen Umsetzung noch musikalisch an die beiden letzten Klagenfurter Premieren (Der fliegende Holländer, Evangelimann) heranreicht. An die großartige, etwa 10 Jahr zurückliegende Tosca-Inszenierung des früheren Klagenfurter Intendanten Dietmar Pflegerl darf man auch nicht denken….

Hermann Becke

Bilder: Helge Bauer