Besuchte Aufführung: 30.4.2016, Premiere: 31.10.2015
Moderne Seifenoper
Einen neuen Programmschwerpunkt sollen am Theater Pforzheim in den folgenden Jahren herausragende Werke der Vorklassik bilden. Den Anfang machte nun Monteverdis „Die Krönung der Poppea“. Im Jahre 1642 uraufgeführt, gilt die letzte Oper des Komponisten als „Musterbeispiel der frühen venezianischen Oper“. Während es bis dahin in Opern stets um mythologische Stoffe ging, treten hier erstmals Gestalten der Historie auf, was damals ein absolutes Novum war und sicher stark zur großen Beliebtheit des Stückes beitrug. Nur in der Rahmenhandlung sind drei allegorische Gottheiten zu sehen: Fortuna, Virtù und Amor.
Anna-Maria Kalesidis (Poppea), Johannes Strauß (Nero)
Daneben spiegelt die „Krönung der Poppea“ auch ein wenig Kritik Monteverdis insbesondere an den Verhältnissen in Mantua des frühen 17. Jahrhundert wider. Wenn der Komponist der Figur des Nero die Züge des Duca Vincenzo I Gonzaga verpasste, war das für die damalige Zeit schon sehr mutig – noch dazu, weil seine Intentionen vom Publikum durchaus verstanden wurden. Opern waren damals eine Domäne des Adels, der sie durchweg in seinen prunkvollen Schlössern aufführen ließ. Vorstellungen in extra zu diesem Zweck gebauten bürgerlichen Theatern waren dagegen undenkbar. Auch in dieser Hinsicht stellte die „Poppea“ eine rühmliche Ausnahme dar: Sie wurde während des Karnevals in Venedig ganz ohne Mitwirkung der Adelsclique aus der Taufe gehoben und war sogleich ein großer Erfolg bei dem bürgerlichen Publikum.
Ottone, Franziska Tiedtke (Drusilla)
Die Geschichte ist ja auch wirklich sehr unterhaltsamer Natur. Hier haben wir es mit einem Werk zu tun, das gleichzeitig Politthriller als auch Seifenoper ist, was die Geschichte ganz nah an unsere Gegenwart rückt. Dieses Aspektes ist sich auch Regisseur Alexander May sehr wohl bewusst. Ihm und seinem für Bühnenbild und Kostüme verantwortlichen Ausstatter David Gonter ist an einem herkömmlichen barocken Ambiente nichts gelegen. Vielmehr verlegen sie das etwas plakativ anmutende Geschehen kurzerhand in die Gegenwart und setzen es mit Fernsehserien wie „Dallas“ oder „Denver-Clan“ auf eine Stufe. Dieses Vorgehen ist durchaus gerechtfertigt, denn die Sex-and-crime-Story um den verrückten römischen Kaiser Nero und die von ihm zur Kaiserin erhobene Poppea weisen zahlreiche Parallelen zu diesen Soap-Operas auf.
Anna-Maria Kalesidis (Poppea), Johannes Strauß (Nero)
Es ist die Doppelbödigkeit von mythologischer und realistischer Ebene (vgl. Programmheft), die den Regisseur besonderes interessiert. Sein Ziel ist es, in diesem Spannungsfeld ganz normale Menschen von heute auf die Bühne zu bringen, wobei ihn die historischen Gestalten weniger interessieren. Es ist das Menschlich-Allzumenschliche in Form von Liebe, Eifersucht und Intrigen, das er zuvörderst im Auge hat. Er siedelt das Ganze in einer revuehaften Glitzerwelt der Sterne und Sternchen an und wartet mit einer munteren, ausgeprägten Personenregie auf. Das gleichermaßen dramatische wie heitere Geschehen hat er kurzweilig und unterhaltsam auf die Bühne gebracht, wobei Lust und Begierde das essentielle Moment bilden und Moral und Ethik keine sonderliche Rolle mehr spielen. Der diese Elemente versinnbildlichende alte Philosoph Seneca wird von seinem ehemaligen Schüler Nero zum Selbstmord gezwungen.
Aleksandar Stefanoski (Seneca), Danielle Rohr (Ottavia)
Zum Gelingen des Abends trugen auch die gelungenen Charakterzeichnungen ihren Teil bei, die durch die herrlichen Kostüme trefflich unterstützt wurden. In der Tat gehen Regie und Gewandung hier eine wunderbare Symbiose ein, die dem Auge viel zu bieten hat. So erscheint die ausgelassen auf einem riesigen Bett herumhüpfende Poppea als Marilyn-Monroe-Verschnitt, die allerdings erst mal höchstpersönlich die Windmaschine anwerfen muss, um ihr Kleid sexy zum Flattern zu bringen. Sie ist eine höchst erotische Erscheinung, die sich zu Beginn, nach der Liebesnacht mit Nero, ausgesprochen freizügig präsentiert. Ein ausgemachtes Original stellt die aufgedonnerte Ex-Gemahlin Neros Ottavia dar. Das Schoßhündchen, das sie ständig mit sich führt, ist einfach süß anzusehen. Nero wird von May entgegen der Konvention ganz und gar nicht skurril gezeichnet – man denke da nur an den grandiosen Peter Ustinov im Film „Quo Vadis“ -, sondern erscheint als hübscher, nicht unsympathisch wirkender junger Mann. Sein Lehrer Seneca wird als echter Guru vorgeführt, der sich vor den Augen seiner drei beherzt widersprechenden Schüler bereitwillig die Kehle durchschneidet. Köstlich ist dem Regisseur auch die Figur der Drusilla gelungen, der er neben der humanen auch eine köstliche komödiantische Note zuordnet. Auch Poppeas Amme Arnalta geht in diese Richtung. Sie kann als Prototyp einer komischen Alten gelten. Allgemein ist zu sagen, dass Humor in Mays gelungener Inszenierung ganz groß geschrieben wird. Tragik und Komik gehen hier Hand in Hand. Ein Höhepunkt der Aufführung war, als der Regisseur den Dirigenten einmal einschlafen ließ und dieser von Arnalta erst geweckt werden musste, bevor es weiterging.
Franziska Tiedtke (Drusilla)
Eine Fassung letzter Hand gibt es von der „Krönung der Poppea“ nicht. Die Theater haben die Wahl, ob sie der venezianischen oder neopolitanischen Handschrift folgen. In Pforzheim hat GMD Markus Huber eine eigene Orchesterfassung erstellt, die sehr kammermusikalisch anmutet. Der von der versiert und konzentriert aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim erzeugte Klangteppich hat mit originaler barocker Aufführungspraxis nichts mehr gemein und geht mehr in die romantische Richtung. Im hochgefahrenen Orchestergraben sitzen vornehmlich Streicher, die durch einige Holzbläser ergänzt werden. Hier wurde spannungsreich und mit schönen Bögen musiziert, sodass man Hubers Auffassung von der Musik als sehr gelungen bezeichnen kann.
Anna-Maria Kalesidis (Poppea)
Gesungen wurde größtenteils in einer von Reinhold Rüdiger und Karl Robert Marz erstellten deutschen Fassung, was sich in stilistischer Hinsicht als recht problematisch erwies. Erst ganz zum Schluss bei „Pur ti miro“ wechselte die Sprache unvorhergesehen auf einmal ins Italienische. Hierbei wird es sich um eine Reverenz an das erste große Liebesduett der Operngeschichte gehandelt haben. Man hätte das ganze Werk in der Originalsprache belassen sollen. Von den Sängern ist an erster Stelle Anna-Maria Kalesidis zu nennen, die sich als ideale Poppea erwies. Sie hat sich das Konzept der Regie voll zu eigen gemacht und mit einem Höchstmaß an darstellerischer Kraft beherzt umgesetzt. Auch gesanglich konnte sie mit ihrem ausgeprägten, bestens fokussierten und höhensicheren Sopran voll überzeugen. Nicht im gleichen Maße für sich einzunehmen vermochte Johannes Strauß in der Rolle des Nero. Vom Schauspielerischen hat ist dem intensiv agierenden jungen Sänger nicht das Mindeste anzulasten. In dieser Hinsicht war er tadellos. Vom vokalen Standpunkt aus ließ seine Leistung indes zu wünschen übrig. Sein Tenor sitzt nicht im Körper und wird insgesamt recht flach geführt. Äußerlich den Spagat zwischen ernster und komischer Rolle gut ausbalancierend, gesanglich mit strahlendem, gut gestütztem Mezzosopran recht ansprechend gab Danielle Rohr die Ottavia. Solide, wenn auch nicht außergewöhnlich sang Albrecht von Stackelberg den Ottone. Übertroffen wurde er von der frisch und munter spielenden Franziska Tiedtke, die als Drusilla zudem noch mit einem trefflich fokussierten, in allen Lagen gut und farbenreich ansprechenden Sopran aufwartete. Aus der Arnalta machte die mit solider Gesangsstütze und tiefgründig intonierende Gabriela Zamfirescu ein echtes Kabinettstückchen. Einen volltönenden, sonoren Bass brachte Aleksandar Stefanoski für den Seneca mit. Eine flachstimmige Fortuna war Natasha Young. Besser gefiel die etwas mehr Stimmkraft aufweisende Virtù von Anna Hybiner, die auch als Pallas Athene zu erleben war. Insbesondere in dem wenig ausgeprägten oberen Stimmbereich nicht immer gut zu hören war der Knabensopran von Nicolas Gerlich s Amor. Lediglich durchschnittlich schnitten die kleinen Nebenrollen ab.
Fazit: Ein amüsanter Abend, der die Fahrt nach Pforzheim durchaus gelohnt hat.
Ludwig Steinbach, 1.5.2016
Die Bilder stammen von Sabine Haymann