Premiere: 15.3.2015
Beeindruckende Sozialstudie mit tragischem Ende
Es war ein sowohl szenisch als auch geistig-innovativ und ästhetisch schöner Abend, die Premiere von Dvoraks nicht allzu oft gespielter Oper „Rusalka“ am Theater Pforzheim. Bettina Lell setzte bei ihrer gelungenen Inszenierung nicht auf vordergründige Nixen-Romantik, sondern legte den Fokus gekonnt auf den Charakter des Stücks als tragisches Märchen, wobei die hübschen visuellen Impressionen lediglich als Chiffre für eine moderne Welt dienen, die gleichermaßen an unüberbrückbaren Gegensätzen leidet.
Wenn sich der Vorhang hebt, wird Rusalka im schwarzen Kleid und mit langem Nixenschweif auf einer Schaukel sitzend sichtbar. Von den sie umgebenden, von Beate Zoff mit weißen Flitterkleidern ausgestatteten Waldelfen nimmt sie keine Notiz. Sie ist der Nixenwelt bereits entrückt – oder vielleicht doch nicht? Denn der ebenfalls von Frau Zoff auf die Bühne des Pforzheimer Theaters gebrachte neutrale Gedankenraum mit einigen Türen, kleinen Fenstern und einem zur Gerümpelkammer umfunktionierten Schrank als Heimat der Jahrmarktszauberin Jezibaba, in den die Natur noch mit durch auf den Hintergrund geworfenen Baumprojektionen hereinspielt, vereinigt in sich sowohl Wasser- als auch Menschenwelt.
Banu Böke (Rusalka), Reto Rosin (Prinz)
Es sind zwei grundsätzlich verschiedene Welten, die hier aufeinanderprallen und einen letztlich aussichtslosen Strauss miteinander ausfechten. Und gerade die Gegensätze sind es, denen Frau Lells Interesse in erster Linie gilt. Diese beleuchtet sie mit Hilfe von starken, imposanten Bildern von allen Seiten, wobei sie manchmal auch Anleihen bei anderen Autoren bzw. Komponisten nimmt. So gemahnen die drei Waldelfen ein wenig an Wagners Rheintöchter, wenn sie mit dem in einer dreckigen Badewanne hereingefahrenen, mit Blick auf Fouques „Undine“ doppelköpfig vorgeführten und sie lüstern begehrenden Wassermann ihre Spielchen treiben. In besagter Wanne nehmen im weiteren Verlauf des Stückes auch noch andere Personen Platz, auch der Prinz, der gleich Rusalka im schwarzen Outfit erscheint. Durch die gleiche Farbe ihrer Kostüme ist beider tragisches Scheitern bereits vorprogrammiert.
Banu Böke (Rusalka), Marie-Kristin Schäfer (Fremde Fürstin), Reto Rosin (Prinz)
Keiner der beiden Liebenden kommt mit der Welt des anderen zurecht. Die mit der jeweiligen Heimat der geliebten Person verbundene Faszination hält nur solange an, wie man sie nicht durch die Brille von deren Gesellschaft betrachtet. Die anziehende Wirkung der anderen Kultur ist mit der Angst vor dieser verbunden. Was stärker ist, hängt vom Augenblick ab. Das von der Regisseurin aufgezeigte Problem ist ganz soziologischer Natur und beruht auf nicht kompatiblen Kulturen, ohne dass es dabei auf irgendwelche Intrigen eines einzelnen Individuums ankäme, wie beispielsweise der elegant gekleideten fremden Fürstin. Man kann eben aus seiner Haut nicht heraus, die beiden Welten lassen sich auf Dauer nicht unter einen Hut bringen. Und daran muss die Liebe von Rusalka und dem Prinzen schließlich scheitern. Unter Frau Lells bewährten Händen, die die Sänger wie immer perfekt zu führen wusste, mutiert das Märchen zu einer beeindruckenden Sozialstudie mit tragischem Ende. Im zweiten Akt, in dem im Gegensatz zu anderen Deutungen des Werkes die große Festgesellschaft von der Regie szenisch ausgespart wird – die Stimmen ertönen aus dem Off -, werden zudem Anklänge an ein Kammerspiel Strindberg’ scher Prägung spürbar. Den Spagat zwischen schönen Bildern und kluger Durchdringung der Handlung ist Bettina Lell wieder einmal trefflich gelungen.
Cornelius Burger (Wassermann), Reto Rosin (Prinz), Marie-Kristin Schäfer (Fremde Fürstin), Banu Böke (Rusalka)
Gesungen wurde in einer von Bettina Bartz und Werner Hintze erstellten deutschen Textfassung. Der Verzicht auf die tschechische Originalsprache erwies sich indes aus stilistischer Hinsicht als wenig glücklich. Auf insgesamt hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Zuvorderst überzeugte Banu Böke in der Titelpartie. Ihre Rusalka zeichnete sich durch einen warm grundierten, ein schönes appoggiare la voce aufweisenden Sopran aus. Sehr ansprechend waren zudem die hohe Emotionalität ihres Vortrags und die herrliche Linienführung. Ihr von blühenden Kantilenen und hoher Ausdruckskraft dominiertes Lied an den Mond war der Höhepunkt der Aufführung. Eine im Großen und Ganzen ansprechende Leistung erbrachte Reto Rosin in der Rolle des Prinzen, dem er sowohl darstellerisch als auch vokal große Impulsivität verlieh. Er sang über weite Strecken mit kräftigem, solide fokussiertem Tenor. Indes neigte er dazu, an manchen exponierten hohen Stellen vom Körper wegzugehen, woraus eine halsige Tongebung resultierte. Hier stieß er deutlich am seine stimmlichen Grenzen. Vielleicht sollte er diese Partie nicht allzu oft singen. Eine phantastische fremde Fürstin war Marie-Kristin Schäfer. Die junge Mezzosopranistin legte in diese schwierige Sopran-Rolle, der sie voll und ganz entsprach, ein Höchstmaß an Dramatik und Fulminanz und bewältigte deren hohe Tessitura mit Bravour. Trotz des guten Gelingens sollte sie mit Sopran-Partien aber etwas vorsichtig sein und die fremde Fürstin lediglich als gelungenen Ausflug in das höhere Fach begreifen. Sich dauernd auf dieses einzulassen, wäre vielleicht keine gute Idee. Nicht minder beeindruckend präsentierte sich Anna Agathonos, die die Jezibaba mit einem tiefgründigen, profunden und bestens sitzenden Mezzosopran ausstattete. Eine Fehlbesetzung für den Wassermann stellte Cornelius Burger dar, der dem Vater Rusalkas mit seinem ausgesprochen flachen, halsigen und nicht gerade klangvollen Bass rein stimmlich überhaupt keine Konturen abgewinnen konnte. Nicht sehr tiefgründig und lediglich mittelmäßig sang Einspringer Albrecht von Stackelberg den Heger und den Jäger. In „Frau Luna“ letzte Saison war er besser. Dem mit vorbildlicher tiefer Stütze und recht sonor intonierenden Küchenjungen von Anna Hybiner war es ein Leichtes, ihn vokal zu übertrumpfen. Solide waren die drei Waldelfen von Yasmin Özkan, Cleo Schröer und Denise Sehyan. Der von Salome Tendies einstudierte Chor wurde an diesem Abend wohl vom Band eingespielt.
Banu Böke (Rusalka)
Zu Recht hoch in der Gunst des Publikums stand Martin Hannus, der zusammen mit der gut gelaunten Badischen Philharmonie Pforzheim die Besucher in einen regelrechten Klangrausch zu versetzen wusste. Alle Feinheiten, die Dvoraks vielschichtige Partitur enthält, wurden von ihm differenziert und nuancenreich herausgearbeitet und in einem prägnanten, energiegeladenen symphonischen Duktus, der sich obendrein durch eine Vielzahl von Farben auszeichnete, zu Gehör gebracht. Bravo!
Fazit: Trotz der deutschen Diktion und einiger schwächerer sängerischer Leistungen ein Abend, der den Besuch dieser relativ selten gespielten Oper durchaus als lohnend erscheinen ließ.
Ludwig Steinbach, 19.3.2015
Die Bilder stammen von Sabine Haymann