Mailand: „Das Rheingold“, Richard Wagner

© Brescia&Amisano

Nun also der Beginn eines neuerlichen Anlaufs zur Realisierung von Wagners Tetralogie an Italiens bedeutsamstem Opernhaus. Hier in der Saison 1925/25 erstmals komplett gegeben, musste die Scala bis 1950 warten, um sie zum ersten Mal in deutscher Sprache zu hören (unter Wilhelm Furtwängler). 1973 gedieh die Produktion nur bis „Siegfried“, weil sich Wolfgang Sawallisch weigerte, die von Regisseur Luca Ronconi „verbürgerlichten“ Gestalten weiterhin musikalisch zu begleiten. 1996 dirigierte Riccardo Muti „Rheingold“ konzertant (der Grund dafür ist mir entfallen). 2013-2016 begleitete Daniel Barenboim die Erarbeitung des Riesenwerks. Der (ungern) scheidende Intendant Dominique Meyer erhoffte sich von einer Neuproduktion unter der Gesamtleitung von Christian Thielemann ein besonderes Highlight. Bekanntlich sagte Thielemann alles ab, sodass je drei der sechs Vorstellungen zwischen Simone Young und dem an der Scala debütierenden Alexander Soddy aufgeteilt wurden.

Die für ihren hiesigen „Peter Grimes“ sehr gelobte Young schien diesmal die offizielle Kritik weniger zu überzeugen. Ich hatte auf die erste Vorstellung von Soddy gewartet, dem aus Wien ein ausgezeichneter Ruf vorausging, den er auch zu bestätigen wusste. Es gelang dem Engländer, das Orchester des Hauses ganz auf die Atmosphäre des Vorabends einzustimmen, beginnend mit den fast unhörbaren Akkorden, in Nibelheim große Spannung aufbauend und den Abend mit einem triumphalen Einzug der Götter in Walhall krönend.

© Brescia&Amisano

Er wurde auch an den dramatischen Stellen nie zu laut und deckte die Sänger niemals zu (was hingegen Young teilweise vorgeworfen wurde – eigentlich seltsam bei einer gemeinsam erarbeiteten Einstudierung; diese wurde möglich, weil Soddy in seinen Anfängen Youngs Assistent war). Er verfügte aber auch über ein ausgezeichnetes Ensemble ohne Schwachstelle, beginnend mit Michael Volle als einem stimmlich souveränen Wotan, der seine Pläne stur durchsetzen will, aber im Innersten weiß, dass er nicht recht handelt. Die vollstimmige Fricka der Okka von der Damerau vermochte ihn nur mit Mühe von Freias Bedeutung für das Überleben der Götter zu überzeugen. Diese wurde mit passend heller Stimme von Olga Bezsmertna interpretiert. Norbert Ernst war trotz teilweise nachlassender stimmlicher Kraft ein listiger, geschmeidiger Loge, wie er im Buch steht. Leider vermochten die imposanten Töne der Erda Christa Mayer Wotan nicht von seinen Plänen abzubringen. Als besonders kraftvoll und schoenstimmig erwies sich der Donner von André Schuen, assistiert vom leichtgewichtigen Froh des Siyabonga Maqungo. Großen Eindruck machte der zwar recht hell timbrierte, aber sehr durchschlagskräftige Ólafur Sigurdarson als zunächst tollpatschiger, dann hinterhältiger Alberich. Sein Bruder Mime fand in Wolfgang Ablinger-Sperrhacke perfekt greinende Verkoerperung. Balsamische Basstöne steuerte Jongmin Park als verliebter Fasolt bei, der den härteren Tönen des Fafner von Ain Anger unterliegen musste. Wunderbar harmonisch erklangen die Rheintöchter Andrea Carroll, Svetlina Stoyanova und Virginie Verrez. Besonders zu loben ist auch die große Textverständlichkeit aller Mitwirkenden.

© Brescia&Amisano

Das Regiekonzept von David McVicar wurde von der hiesigen Intelligenzija mit wenig Begeisterung, die bis zur Ablehnung reichte, aufgenommen. McVicar gehört zu den Regisseuren mit für das Publikum nachvollziehbaren Einfällen, die der Handlung keine zusätzliche Geschichte aufzwingen. So wurde in dem von ihm und Hannah Postlethwaite verantworteten Bühnenbildern die Erzählung als Märchen ohne pseudophilosophischen Überbau erzählt. Das titelgebende Gold wurde von einem Tänzer mit goldener Maske symbolisiert, die ihm von Alberich heruntergerissen wird. Die geschickt verschiebbare Szene war mit der schließlich nach Walhall führenden Treppe, die auch für die Auseinandersetzungen der Götter genutzt wurde, ebenso ueberzeugend wie die Tiefen von Nibelheim, in denen bei Alberichs Verwandlung in eine Kröte bereits ein auf Fafner verweisendes Drachenskelett zu sehen war, Die Kostüme von Emma Kingsbury charakterisierten die Damen bestens (Freia etwa in hellem, leichtem Gewand, Fricka in gutbürgerlicher Kleidung), während die männlichen Götter lange, respektgebietende Gewänder im Stil des Mittelalters trugen. Beeindruckend die Riesen auf Stelzen mit an primitive Darstellungen gemahnenden Masken.

Ein vielversprechender Beginn des Mammutwerks, der vom Publikum merklich goutiert wurde.

Eva Pleus, 28. November 2024


Das Rheingold
Richard Wagner
Scala di Milano

5. November 2024

Inszenierung: David McVicar
Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Orchestra del Teatro alla Scala