Mailand: „Die Fledermaus“

Aufführung am 19.1.18 (Premiere)

Walzertanz in Kitzbühel

Seit ihrer Wiener Uraufführung 1874 war die bedeutendste aller Operetten noch nie an der Scala gegeben worden, weshalb es ein Herzensanliegen von Intendant Alexander Pereira war, diesem Zustand abzuhelfen. Nun war es endlich soweit, und die Produktion ging mit starker österreichischer Beteiligung über die Bühne.

Als Regisseur zeichnete Cornelius Obonya mit Gattin Carolin Pienkos als Co-Regisseurin. Um eine heutige dekadente Gesellschaft zu zeigen, wurde die Handlung kurzerhand nach Kitzbühel verlegt, wobei dieser Name in Italien wohl in erster Linie passionierten Skifahrern ein Begriff ist, denn der italienische Jetset trifft sich im Winter in Madonna di Campiglio. Diese Verlegung gab der Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Scheele im 1. Akt die Gelegenheit zur Präsentation eines Villeninnenraums mit riesigen Panoramafenstern und -türen, durch die man die schneebedeckten Berge bewundern konnte, aber auch einen Christbaum (auf dem Alfred zur Beobachtung Stellung beziehen sollte) und einen Schneemann. Weniger originell der Ballsaal im 2. Akt mit den üblichen zwei Treppen. Den darüber schwebenden Sternenhimmel hätte man lieber nicht gesehen, denn die Öffnung nach oben machte den Sängern ihre Aufgabe nicht gerade leichter. Dieser Himmel begleitete uns auch in den 3. Akt, wo man durch eine Drehtür in das „fidele Gefängnis“ gelangte. Die Kostüme waren besonders für Rosalinde und Adele sehr schick (letztere trug im 1. Akt ein Dirndl).

Mit der Verlegung der Handlung ging auch eine teilweise Änderung der Interessen einiger Figuren einher: Eisenstein wurde vom Rentier zum Banker (und musste wegen einer Steuergeschichte nicht 5 bzw. 8 Tage, sondern 5/8 Wochen ins Gefängnis), Falke vom Notar zum Unternehmer, Ida zum Glamourgirl und vor allem Orlofsky zur Oligarchin Orlofskaja. Da die Partie bekanntlich als Hosenrolle für einen Mezzo angelegt ist, ist diese Änderung nicht ganz verständlich, umso mehr, als Blasiertheit und Langeweile nicht besonders unterstrichen wurden.

Hinsichtlich der von Obonya und Pienkos auf der Grundlage einer Fassung von Gerhard Bronner geschriebenen Dialoge hatte man sich für eine Mischung von deutschem und italienischem Text entschieden. So wurden die Passagen, welche grundlegend für die Handlung waren, in italienischer Sprache geboten, kleinere Witzeleien und – natürlich – die Gesangsnummern auf Deutsch, weshalb Sänger engagiert worden waren, die mühelos von der einen in die andere Sprache zu wechseln vermochten.Wie ich Pausengesprächen entnehmen konnte, wäre dem einheimischen Publikum eine rein italienische Dialogfassung lieber gewesen.

Neben ein paar netten Einfällen (Rosalinde kommt vom Shopping, Falke ist ein früherer Verehrer von ihr und bringt für den Ball ein Abendkleid als Geschenk mit) verlief die Regie in angestammten Bahnen; manchmal gab es allerdings auch ein Zuviel wie die (vor der Projektion eines Bergmassivs, Video: Alexander Scherpink) vertanzte Ouvertüre und vor allem den Einsatz von Akrobaten zu Beginn und während des Balls oder auch die drei Tänzer die den zweiten Teil von Rosalindes Csárdás begleiten mussten. Außerdem begleitete Frosch im 1. Akt Gefängnisdirektor, pardon „Leiter der Justizanstalt“ Frank und warf bei Aktschluss eine kostbare Statue um, die ihren Kopf verlor. Cui bono?

Obwohl Eisenstein oft mit einem Bariton mit guter Höhe besetzt wird (Waechter ist mir auch in dieser Rolle unvergesslich), hatte man sich hier für einen Tenor entschieden. Der junge Salzburger Peter Sonn brachte mehr Buben- als weltmännischen Charme mit, spielte aber nett und sang ganz vorzüglich. Seine Rosalinde Eva Mei war ein sehr pikantes, verführerisches Persönchen und sang auch den schwierigen Csárdás ausgezeichnet. Leider verstand man, vor allem im 1. Akt, wenig von ihrem Dialog, weil ihre Sprechstimme zu leise war. Falke war in Gestalt von Markus Werba eine Charmebombe, die auch zynisch zu sein verstand.

„Brüderlein und Schwesterlein“ stimmte er besonders schön an. Daniela Fally gelang mit ihrer Adele ein Kabinettstück von „g’schnappigem“ Dienstmädchen, wobei sie ihre Koloraturen wie nebenbei, aber sehr effektvoll sang. Wie schon erwähnt, blieb die Orlofskaja in der Gestalt von Elena Maximova ein recht blasser Charakter, obwohl die Künstlerin zufriedenstellend sang. Giorgio Berrugi als Alfred(o) durfte schon im 1. Akt Nummern seines Repertoires andeuten. Die Qualität seines Tenors entsprach nicht ganz seinem schwungvollen Spiel. Michael Kraus war ein eleganter Frank, der als Chevalier Chagrin genussvoll blödelte. Als Blind und Ida ergänzten Kresimir Spicer bzw. Anna Doris Capitelli (letztere in Ausbildung an der Accademia della Scala). Die Leistung des (diesmal nicht sehr wortdeutlichen Chor s unter Bruno Casoni) soll ebenso wenig vergessen werden wie die wunderbar mitreißende Choreographie von Heinz Spoerli für die Polka „Vergnügungszug“. Cornelius Meister, der den erkrankten Zubin Mehta ersetzte, erwies sich als idealer Dirigent für diese prächtige Musik; heizte er bei den Polkas und Galopps dem Orchester ordentlich ein, so wusste er den Walzern die ihnen zustehenden winzigen Ritardandi ebenso zu schenken wie den lyrischen Stellen das entsprechende Sentiment (nicht Sentimentalität!).

Ein Totalausfall war leider der italienische Komiker Paolo Rossi als Frosch, der mit Ausnahme von zwei kleinen Seitenhieben nichts Aktuelles brachte und die klassischen Pointen („Jetzt is der so blind, dass ma’n ned amoi siecht“, „Für an Stotterer ham’S aber a flüssige Aussprach’“) vollkommen verschenkte und zum Teil auch schwer verständlich war. So brauchte der 3. Akt Zeit, bis er wieder in die Gänge kam.

Ob sich das Publikum davon beeinflussen ließ? Jedenfalls waren nach der obligaten Bühnenparade gerade zwei Vorhänge die magere Beifallsausbeute.

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Dieser Produktion war eine Art Neujahrskonzert (12.1.) vorausgegangen, das gleichfalls Zubin Mehta hätte dirigieren sollen. Als Ersatz wurde der Österreicher Manfred Honeck geholt, dem es im Laufe des Abends sehr gut gelang, aus der zunächst etwas verkrampft wirkenden Filarmonica della Scala einen beschwingt musizierenden Klangkörper zu machen. Dabei gerieten, nach einer gut gesteigerten Einleitung mit der Ouverture zum „Zigeunerbaron“, vor allem die Polkas („Tritsch-Tratsch“, „Eljen a Magyar!“, „Furioso“, „Auf der Jagd“, „Im Krapfenwaldl“, „Unter Donner und Blitz“ sowie der Csárdás aus „Ritter Pásmán“ und Josef Strauß‘ „Die Libelle“ mitreißend, während den Walzern („Wein, Weib und Gesang“ und „Frühlingsstimmen“) ein wenig das berühmte Rubato fehlte.

Weniger glücklich waren die gesanglichen Beiträge: Tomislav Muzek verhaute den Schlusston von Barinkays Auftrittsarie aus dem „Zigeunerbaron“ total und sang sowohl „Dein ist mein ganzes Herz“ aus dem „Land des Lächelns“, als auch im Duett „Wer uns getraut“ mit Schmalz statt mit Schmelz. Mandy Fredrich war hier seine Partnerin, nachdem sie Saffis Zigeunerlied ziemlich verwaschen dargeboten hatte und mit „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ aus „Giuditta“ mit pseudo-lasziver Haltung unfreiwillig komisch war. Zu den beiden gesellte sich im Terzett „Ein Greis ist mir“ als Czipra Judit Kutasi mit angenehm sattem Alt.

Das zunächst zögerliche Publikum (eine junge Dame erklärte mir, sie sei von ihrem Vater an seiner Statt geschickt worden, da ihn ein solches Programm nicht interessiere) taute spätestens im zweiten Teil auf, als vom Orchester kräftig geblödelt wurde. Und als der „Radetzkymarsch“ zum Mitklatschen ertönte, waren alle Zweifel über die klassische Wiener Unterhaltungsmusik beseitigt.

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Den Reigen der Soloabende in der Saison 2017/18 eröffnete Michele Pertusi am 15.1. Er begann mit Mozarts Konzertarie Per questa bella mano KV 612 in der Bearbeitung für Klavier, womit er sich die Latte gleich sehr hoch gelegt hatte, denn das schwierige Stück ist wahrlich nicht zum Einsingen bzw. Aufwärmen geeignet. Auf dessen brillante Interpretation folgten drei schwermütige Lieder von Vincenzo Bellini, deren Melancholie mit der bruchlos geführten Bassstimme Pertusis sehr schön zur Geltung kam. Aus Verdis Jugendwerk Sei romanze hatte der Künstler vier ausgewählt und konnte hier die dramatische Disposition des Komponisten beispielsweise in Non t’accostare all’urna wunderbar zeigen. Nach der Pause hörten wir zunächst eine eher belanglose Serenata von Pietro Mascagni, gefolgt von zwei Arie in stile antico von Stefano Donaudy (der trotz seines französisch klingenden Namens aus Palermo stammte). Mit Luigi Denza (u.a. „Occhi di fata“) und Francesco Paolo Tostis Quattro canzoni d’Amaranta (z.B. In van preghi, in van aneli“) war man endgültig im (zu) oft belächelten und doch so eindrucksvollen Repertoire der italienischen Salonmusik angelangt. Das ganze stilistisch immer wieder unterschiedliche Programm wurde am Flügel von Raffaele Cortesi im besten Einvernehmen mit dem Sänger begleitet.

Dem mit tosendem Beifall dankenden Publikum schenkte Michele Pertusi fünf Zugaben: Die erste Arie des Roger aus „Jérusalem“, die Arie des Banco aus „Macbeth“, die zweite Arie des Titelhelden aus „Maometto II.“ (hier zeigte sich, dass der Sänger nichts von seiner Rossinitechnik verloren hat), ein „Omaggio alle donne“ von Tosti auf einen Text von d’Annunzio und schließlich Mephistos „Serenade“ aus Gounods „Faust“.

Eva Pleus 23.1.18

Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala