Aufführung am 24.4.18 (Premiere am 3.4.)
Von cinephil bis phlegmatisch
Die letzte Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Juwel lag an der Scala auch schon wieder 24 Jahre zurück. Damals hatte es unter Riccardo Muti eine nicht unbedingt geglückte Produktion mit u.a. Ferruccio Furlanetto gegeben, die nur 2012 nochmals mit Sängern der Accademia gezeigt wurde.
Riccardo Chailly, dem neben dem Verismo die Pflege der klassischen italienischen Titel am Herzen liegt, hatte die neue Produktion zur Chefsache erklärt. Dabei legte er neuerlich großen Wert auf eine philologische Aufarbeitung des Materials und verwendete die „Revision“ von Piero Rattalino. (Dieser erklärt im Programmheft, dass es angesichts der Vielzahl verschiedener Ausgaben und nicht immer zu entziffernden Hinweise des Komponisten unmöglich ist, zu einer „kritischen Ausgabe“ zu gelangen). Abgesehen von der Wortklauberei geht es darum, dass in dieser Version das Orchester stärker besetzt ist, als wir es bei Donizetti im Ohr haben. Chailly nützte das für eine sehr schwungvolle Wiedergabe, in welcher in diesem „dramma buffo“ beide Komponenten zu ihrem Recht kamen. Das Orchester erklang in brillanten Farben, und den Namen des Musikers, der so kunstvoll das Trompetensolo als Einleitung zu Ernestos großer Arie blies, hätte man ruhig auf dem Programmzettel vermerken können.
Regisseur Davide Livermore, der auch ein großer Cinephiler ist, machte aus dem Stück eine Revue von Bildern aus der Glanzzeit des Neorealismus und der italienischen Komödie. Rom, wo die Oper ja spielt, rückte in den Mittelpunkt, und die visuellen Zitate reichten von „Ein Herz und eine Krone“ (die Vespa) über Cinecittà mit Komparsen für Historienschinken bis zu Ernestos Abschied in der Stazione Termini (Fellinis „Müßiggänger“) und noch viel mehr. Livermore ließ sich zwar von Video Design D-Wok und der Beleuchtung von Nicolas Bovey unterstützen, dennoch war die Ausstattung (von ihm selbst zusammen mit Giò Forma geschaffen) sehr aufwendig. Die Drehbühne war mehrfach in Bewegung, um uns die verschiedenen Seiten von Pasquales Haus zu zeigen, auch Laufbänder kamen zum Einsatz.
Die Szenerie war schon ab der Ouverture in Grau gehalten: Zu sehen war, dass es sich um den Tag des Begräbnisses von Pasquales Mutter handelte, und im Laufe des Vorspiels war zu erkennen, dass es sich um eine egoistische, herrschsüchtige Dame handelte, die jeden Versuch des Titelhelden, mit dem zarten Geschlecht in Kontakt zu treten, hintertrieb. Im Salon hing denn auch ein großes Porträt von ihr (auch hier ein Hinweis auf eine populäre italienische Schauspielerin der Nachkriegszeit). Norina hingegen betrieb ein Modegeschäft, in der (in den großartigen Kreationen von Gianluca Falaschi) eine Modeschau im Stil der Fünfzigerjahre stattfand. Originell anzusehen, aber ist Norina nicht mittellos? Als Besitzerin eines so eleganten Salons sollte sie keine Geldsorgen haben. Eigentlich ist ja auch die Vorgeschichte mit Pasquales Mutter ein Widerspruch, denn es handelt sich also nicht um einen alten Hagestolz, der plötzlich Frühlingsgefühle entwickelt, sondern um einen geknechteten Menschen, der ohne seine Schreckschraube von Mutter sicherlich eine Partnerin gefunden hätte. Und noch eine Bemerkung zum Regisseur: Livermore war dafür bekannt, dass er mit wenig Aufwand sehr schöne Arbeiten hervorbrachte. Seit er an der Scala arbeitet, darf’s ein bisserl mehr sein…
Die Sänger hatten es nicht leicht, da während ihrer Arien im Hintergrund immer etwas Ablenkendes los war. Zu bewundern vor allem Rosa Feola, die in einem über der Bühnenmitte schwebenden Auto singen musste. Sie zog sich aber sehr gut aus der Affäre und sang mit ihrem reinen klingenden lyrischen Sopran sehr gut, wie sie auch die tollen Kostüme mit Verve trug. Mattia Olivieri (Malatesta) erweist sich immer mehr als blendender Schauspieler und zog mit Nonchalance die Fäden der Handlung. Nach einem nicht eben brillanten „Bella siccome un angelo“ sang er dann sehr anständig. Der Amerikaner René Barbera, der 2011 Domingos „Operalia“ gewonnen hatte, ließ als Ernesto eine recht weiße, gerade Stimme hören, die aber technisch gut eingesetzt wird und vor allem in der Höhe kaum Grenzen kennt (er legte sich am Schluss der Cabaletta ein hohes Es ein!). Ambrogio Maestri im eleganten Frack war, in ausgezeichneter Maske, ein netter Pasquale, aber nicht mehr. Aus diversen Phrasen machte er recht wenig, wirkte weder besonders zornig, noch quicklebendig beim Gedanken an seine junge Frau. Die Figur machte keine Entwicklung durch und blieb einseitig phlegmatisch. Mit den tiefen Tönen dieser Basspartie kam er ganz gut zurecht. Köstlich war der vorgebliche Notar von Andrea Porta (aber auch da wurde die Aufmerksamkeit des Hörers abgelenkt, denn während des großen Ensembles im 2. Akt füllte er einen Sack mit dem Silberzeug des Hauses). Ausgezeichnet, auch schauspielerisch, wieder der Chor unter Bruno Casoni, der keine Domestiken, sondern Partygäste zu verkörpern hatte.
Eva Pleus 26.4.18
Bilder: Brescia e Amisano / Teatro alla Scala