Aufführung am 18.4.18 (Premiere am 15.4.)
Wo bleiben Dekadenz und Sinnlichkeit?
Im Zuge des Plans, an der Scala dem Verismo neuerlich ein adäquates Podium zu bieten, wurde non dieses Werk von Riccardo Zandonai präsentiert, obwohl es nicht eigentlich dem Verismo zuzuschreiben ist. Der 1883 in der Nähe von Rovereto (Trient) geborene Komponist hatte zwar mit „Conchita“ eine in diese Stilrichtung gehende Oper vorgelegt, die ihn bekannt machte, ließ aber im Weiteren dem Einfluss Richard Wagners größeren Spielraum.
Gabriele d’Annunzios für Eleonora Duse geschriebene Tragödie wurde Zandonai von seinem Verleger Ricordi vorgeschlagen. Offenbar fanden der eher introvertierte Komponist und der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Italien tonangebende Poet eine gute Gesprächsbasis, denn d’Annunzio stimmte der Vertonung seines Werks zu, und Tito Ricordi machte sich am Textbuch an die Arbeit. Es gelang ihm eine überzeugende Konzentrierung des Inhalts der während der Kriege zwischen Guelfen und Ghibellinen (also Anhängern des Papstes bzw. des Kaisers) im Mittelalter spielenden Handlung.
Francesca aus der Dynastie der Polenta in Ravenna und die Brüder Malatesta in Rimini hat es geschichtlich tatsächlich gegeben, und auch die Ermordung Francescas mit ihrem Geliebten und Schwager Paolo durch einen das Paar gemeinsam durchbohrenden Schwertstreich ihres Gatten Giovanni ist belegt. (Auf der Burg Gradara in der Provinz Pesaro-Urbino gibt es diesbezüglich einen schwunghaften Souvenirhandel für unbedarfte Touristen). Paolo, mit dem schmückenden Beinamen „il Bello“, war als Brautwerber für seinen Bruder („lo sciancato“=der Hüftlahme) zu den Polenta gekommen, wobei Francesca vorgespiegelt wurde, dass Paolo ihr Bräutigam sei. Natürlich nahm das Unheil seinen Lauf, und die beiden verliebten sich. Der dritte Bruder, Malatestino „dall’Occhio“, weil er im Kampf ein Auge verloren hatte, verriet die Liebenden an Giovanni, weil er sich von Francesca zurückgewiesen sah. Musikalisch fasziniert die Oper vor allem durch eine überaus raffinierte Instrumentation, in der neben Wagner auch der Einfluss der Impressionisten, vor allem Debussys, immer wieder hörbar wird.
Zum letzten Mal wurde „Francesca da Rimini“ an der Scala 1959 gegeben. Es sangen Magda Olivero und Mario Del Monaco, also zwei Künstler, die zu „Ikonen“ (wie man heute gerne sagt) wurden. Zuvor waren an dem Haus in der Titelrolle so große Namen wie Rosa Raisa, Gilda Dalla Rizza, Gina Cigna oder Maria Caniglia aufgetreten, als Paolo mehrfach Aureliano Pertile. Die Wiederaufnahme des Titels nach fast sechzig Jahren war bei der Besetzung der beiden Hauptrollen problematisch (ich hatte das Werk erst einmal gesehen, in Bologna mit Raina Kabaivanska und Sergej Larin, aber wer sich ein Bild machen will, was man aus den Rollen herausholen kann, der greife zur DVD mit Renata Scotto und Plácido Domingo). Francesca war Maria José Siri, der man vokal nichts vorwerfen kann, denn sie sang mit relativ ausladender Stimme sehr sicher, wobei zwei bis drei etwas grelle Spitzentöne nicht weiter störten, doch fehlte ihr jegliches Charisma, ebenso wie jedwede sinnliche, ja verführerische Aura. Da es keinerlei Personenregie gab (von der Inszenierung später), sang sie mehrfach mit gutmütigem Lächeln ins Publikum. Da es sich um ein klassisches Werk für eine große Primadonna handelt, war der Mangel an Persönlichkeit schmerzlich zu spüren.
Der für Paolo vorgesehene Roberto Aronica sagte ab, und man holte den argentinischen Tenor Marcelo Puente, der in letzter Zeit zu einigem internationalen Erfolg gekommen ist. Diesen konnte er hier aber nicht wiederholen, denn was er dringend bräuchte, wäre ein Studium der Stimmtechnik. Die Stimme sitzt ganz tief im Hals und klingt, mit Ausnahme einiger guter Spitzentöne, über weite Strecken glanzlos. Auch er litt unter der fehlenden Personenregie und stand nur dekorativ herum. Wesentlich besser zogen sich die Bösewichte aus der Affäre: Gabriele Viviani als Giovanni war der rauhe Heerführer und Soldat, grausam getroffen vom Verrat durch Gattin und Bruder. Sein gut geführter Bariton charakterisierte die Figur genau, ohne ins Poltern zu verfallen, wie es in dieser Rolle häufig geschieht. Ausgezeichnet auch Luciano Ganci als Malatestino, zum Glück einmal kein Charaktertenor, sondern bestes Zwischenfach, mit überzeugender Bösartigkeit interpretiert. Der Bariton Elia Fabbian gab einen gut gesungenen Gaukler im 1. Akt, wo Alisa Kolosova als schönstimmige Samaritana, Schwester Francescas, gefiel. Ostasio, Francescas Bruder, der zusammen mit Ser Toldo (der gebührend schneidend klingende Tenor Matteo Desole) die Intrige um die Eheschließung spinnt, wurde überzeugend von dem amerikanischen Bassbariton Ashley David Prewett gegeben. Die Gespielinnen Francescas wurden von Sara Rossini (von der Accademia della Scala), Valentina Boi, Diana Haller und Alessia Nadin verkörpert. Für die Sklavin Smaragdi war der Mezzo der attraktiven Idunnu Münch zu schmal.
Hinreißend fiel hingegen das Dirigat von Fabio Luisi aus, der mit dem hochkonzentrierten Scala-Orchester alle Dramatik hören ließ, die sich auf der Bühne nicht einstellen wollte, und der schillernden Instrumentation jederzeit zu ihrem Recht verhalf. Auch der von Bruno Casoni einstudierte Chor brillierte in den Kampfszenen des 2. Aktes.
In seinen Bemerkungen zur Regie erläutert David Pountney, dass d’Annunzio in die Frauen und den Krieg verliebt war, weshalb er sich von Leslie Travers ein Bühnenbild bauen ließ, das beiden Seiten der Medaille Platz geben sollte. Zu sehen war im 1. Akt ein Zylinder, der sich öffnete, um verschiedenen Figuren Durchlass zu bieten. Im 2. verwandelte er sich in einen imposanten Turm der Belagerten (ein starker Eindruck, trotz der als Phallussymbole ausgefahrenen Kanonenrohre). Im 3. und 4. Akt symbolisiert ein großes aufgeschlagenes Buch die Lektüre der Sage von Lanzelot und Ginevra, welche die Liebenden zum Eingeständnis ihrer Gefühle bringt. Im Hintergrund ist etwas zu sehen, das mich an ein Bügelbrett denken ließ, aber das Programmheft klärte mich auf, dass es sich um ein Modell des Einsitzers handelte, in welchem d’Annunzio in das Geschehen des 1. Weltkriegs einzugreifen versucht hatte. (Die Oper wurde im Februar 1914 in Turin uraufgeführt). Außerdem dominierte eine große Frauenbüste im Stil Canovas, die sich ab dem 2. Akt von Pfeilen beschossen zeigte. Auch dieser teilweise durchaus imposanten Szenerie fehlte die bereits weiter oben monierte Atmosphäre der Sinnlichkeit und Dekadenz. Die Kostüme von Marie-Jeanne Lecca waren für Siri nicht immer glücklich geschnitten, bei den Männern gab es überzeugend kriegerische Kleidung. Wie erwähnt fehlte eine Personenregie. Pountneys Einfälle waren so kärglich wie kläglich. Z.B. wurde der Gaukler im 1. Akt erschossen, während er sich laut Textbuch nur entfernt. Dazu kam eine Pistole zur Verwendung, während im 2. Akt richtigerweise Armbrustschützen ihren Dienst taten. Francescas Gespielinnen im 3. Akt waren plötzlich in uniformierte Funkerinnen verwandelt. Die Ermordung der Liebenden erfolgt sozusagen symbolisch mit einem Schwert, das über ihnen hängt und nicht herabstürzt (Damokles lässt grüßen). Also wenig für einen Regisseur, der ja einen Namen hat.
Wie die Intendanz das Haus zu füllen gedenkt, ist mir schleierhaft. Viele Plätze waren bei dieser erst zweiten (!) Vorstellung frei, angesetzt sind deren neun! Das Publikum reagierte an sich zurückhaltend, sparte aber nicht mit Buhs für Puente und, im Gegensatz dazu, mit viel Applaus für den Dirigenten Luisi.
Eva Pleus 25.4.18
Bilder: Brescia e Armisano / Teatro alla Scala