Nach den Erfolgen im Rahmen der Rossini-Trilogie, die die Wiedereröffnung der Scala nach der pandemiebedingten Schließung eingeläutet hat („Italiana“ in der klassischen Ponnelle-Inszenierung und „Barbier“ in der Neuproduktion unter Chailly/Muscato) war der „Türke“ (dessen Premiere die letzte Vorstellung vor der Schließung war) leider ein Schwachpunkt. Diese Oper des Meisters aus Pesaro ist sicher nicht leicht zu inszenieren, denn ihr Untertitel „dramma buffo“ deutet darauf hin, dass im Libretto des (damals noch am Anfang seiner Kariere stehenden) Felice Romani zwei Handlungselemente verschränkt werden.
Don Geronio, Pantoffelheld nach alter Buffotradition; hat in Donna Fiorilla nicht nur eine kokette Gattin, die gern flirtet, denn sie ist sogar bereit, mit dem Türken Selim in dessen Heimat zu fliehen, wäre da nicht Zaida, die vormalige Geliebte Selims, die diesen zurückerobert. Als Don Geronio nicht mehr ein und aus weiß, wird ihm vom Poeten Prosdocimo suggeriert, er möge seine Frau doch aus dem Haus werfen. (Der Poet ist eine Figur, die ein viel später aufgekommenes Element verkörpert, nämlich das einer zweiten Ebene: Prosdocimo sucht Inspiration für eine Komödie und greift wiederholt in das Schicksal der Personen ein, um die Handlung weiterzubringen). Donna Fiorilla bereut ihr Verhalten, aber ziemlich offensichtlich nur, um sich nicht des Vermögens ihres verliebten alten Gatten zu begeben.
Somit klingt der die liebevolle Zweisamkeit feiernde Schlusschor eher zynisch und wenig überzeugend.
Die Regie von Roberto Andò, der auch im Sprechtheater und Film erfolgreich ist, wurde nun von Emmanuelle Bastet betreut und erwies sich als ziemlich zähflüssige Sache, obwohl Bühnenbild und Licht von Gianni Carlucci in an ligurische Meeresdörfer gemahnenden Pastellfarben mediterranes Flair verströmten und die Kostüme von Nanà Cecchi für Fiorilla und ihre Freundinnen traumhaft schön waren. Der Gag, die Sänger nicht aus den Kulissen, sondern aus der Versenkung auftreten zu lassen, hatte sich bald abgenützt, und Andò schien sich zwischen Heiterkeit und Ernst nicht entscheiden zu können, sodass die meisten Szenen wenig bezeichnend für die eine oder andere Stilform waren.
Ein gerüttelt Maß an dieser flauen Atmosphäre lag auch an Diego Fasolis, der am Pult des Orchesters des Hauses breite Tempi wählte, zwar einige für heutige Ohren allzu ausufernde, nicht von Rossini stammende, Rezitative strich, aber dafür eine sonst oft gestrichene Tenorarie präsentierte. Im Ganzen waren gute drei Stunden Musik zu hören, und das bei einem Werk, das sich seit seiner Uraufführung 1814 an der Scala nicht der größten Gunst beim Publikum rühmen kann. Diese Aufführung dürfte nicht zu viel daran ändern. Präzise sang der Chor des Hauses unter seinem neuen Leiter Alberto Malazzi.
Kristallklar erklang der technisch besonders sattelfeste Sopran von Rosa Feola als Fiorilla. Ihre Rolle ist die bei weitem umfangreichste, und Rossini wollte die Oper ursprünglich nach ihr benennen. Die Figur ist eigentlich keine Sympathieträgerin, wofür die Interpretin in ihrer flatterhaft-schalkhaften Umsetzung natürlich nichts kann. Ziemlich lustlos wirkte Erwin Schrott in der Titelrolle (im Februar 2020 war es Alex Esposito), der sowohl gesanglich als szenisch nicht über ein gerade noch akzeptables Minimum hinausging. Mit Giulio Mastrototaro hingegen gibt es erfreulichen Buffonachwuchs, denn sein Don Geronio war mit weichem Bariton ausgezeichnet gesungen und gut gespielt. Hervorragend seine Interpretation einer Klage Geronios aus einer Loge im ersten Rang mit fabelhaftem sillabato. Stimmlich und szenisch beweglich der Prosdocimo von Alessio Arduini (im Vorjahr Mattia Olivieri), sehr unterhaltsam der Tenor Manuel Amati als Albazar, Freund der Zaida, der seine Arie mit grotesken Sprüngen schmückte.
Zaida selbst wurde von dem Mezzo Laura Verrecchia solide verkörpert, während sich Antonino Siragusa (bei der eigentlichen Premiere Edgardo Rocha) mit Don Narciso, Fiorillas offiziellem tenoralen Hausfreund, ziemlich zu plagen hatte.
Freundlicher Beifall eines leider noch immer mit vielen leeren Sitzen behafteten Hauses.
Eva Pleus 24.10.21
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala