Die Herbstsaison des Mailänder Opernhauses beginnt mit einem Rossini-Paket, denn auf die „Italienerin in Algier“ werden „Barbier von Sevilla“ und „Türke in Italien“ folgen. Die „Italiana“ war in der berühmten, im 50. Jahr ihres Bestehens längst historisch gewordenen und weltweit gezeigten, Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle zu sehen, aufgefrischt von Ponnelles seinerzeitigem Assistenten Grischa Asagaroff. Dieser erklärte in der Pressekonferenz, dass die Produktion in Wien zwar im selben Bühnenbild wie an der Scala stattfand, aber in Regiedetails anders war. Diese seien nun von ihm, Asagaroff, nach Mailand übernommen worden. Persönlich konnte ich keine Änderungen zur letzten Wiederaufnahme 2011 feststellen – sollte es sie gegeben haben, waren sie jedenfalls bestens in das immer wieder hinreißende Gesamtbild des Kostüm- und Bühnenentwurfs des viel zu früh verstorbenen Ponnelle integriert.
In der Titelrolle gab die Französin Gaëlle Arquez ihr Scaladebüt. Ihre nicht sehr tragfähige Mittellage ist angenehm timbriert, doch lassen ihre Spitzentöne Festigkeit und vor allem die tiefere Lage (immerhin ist Isabella ein contralto) Konsistenz vermissen. Die hinsichtlich der Koloratur technisch sichere Sängerin sieht sehr gut aus, spielte auch nett, doch fehlte es in den Szenen mit ihren männlichen Kollegen an Charisma. Es war wohl auch nicht leicht, gegen einen Ausbund an Spielfreudigkeit wie es Carlo Lepore als Mustafà war, zu bestehen. Dazu kam ein umfangreiches, wohltönendes Stimmmaterial, das über die Grenzen eines Bassbuffos erfreulich hinausging. Roberto De Candia, nach 15 Jahren an die Scala zurückgekehrt, war ein stimmschöner, wortdeutlicher Taddeo, der weniger die komische Figur des unerwidert Liebenden herauskehrte als eine berührend melancholische Seite zeigte. Ein ausgezeichneter Lindoro war Maxim Mironov, der zeigte, wie relativ kleine Stimmen bei richtiger Projektion durchaus ein großes Haus füllen können.
Zudem war er ein eleganter, schneidiger Liebhaber. Das Quartett der Herren wurde vom vielversprechenden Giulio Mastrototaro als Haly ergänzt, der die von einem Mitarbeiter Rossinis geschriebene Arie „Le femmine d’Italia“ zum Anlass nahm, mit seinem weich klingenden Bassbariton zu brillieren. Da Enkeleda Kamani (Elvira) und Svetlina Stoyanova (Zulma), auch auf Grund des beschränkten Umfangs ihrer Rollen, keine besonderen Glanzlichter setzen konnten, erwies sich die Herrenriege als der interessantere Teil der Besetzung.
Leider litt der Abend unter der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone, der das Orchester des Hauses zu großer Lautstärke anstachelte und den veränderten akustischen Bedingungen bei nur 930 zugelassenen Plätzen (die auch nicht alle besetzt waren) in keiner Weise Rechnung trug. Auch entsprachen die Tempi nicht Ponnelles ausgefeilter Bewegungsregie. Der Chor unter seinem neuen Leiter Alberto Malazzi sang gut, und die Begleitung am Fortepiano durch James Vaughan war phantasievoll.
Herzlicher Beifall, der sich für Mironov und Lepore hörbar steigerte und mit berechtigten Buhrufen für Dantone durchsetzt war.
Eva Pleus 17.9.21
Bilder: Brescia e Amisano