Mailand: „Roméo et Juliette“

Aufführung am 21.1.20 (Premiere am 15.1.)

Interessante Einspringerin

Diese Produktion von Bartlett Sher (Regie), Michael Yeargan (Bühne), Catherine Zuber (Kostüme) und Jennifer Tipton (Licht), für die New Yorker MET entstanden und 2008 in Salzburg mit Machaidze-Villazón gezeigt, war an der Scala auch 2011 zu sehen gewesen (mit Machaidze-Grigolo). In meiner seinerzeitigen Besprechung („Merker“ Nr. 266) hatte ich beklagt, dass der imposante Eindruck, den man in der Felsenreitschule erhalten hatte, sich auf der Bühne des Opernhauses ziemlich reduzierte, da das Einheitsbühnenbild einer das Haus der Capulets zeigenden Piazza eher beengend wirkte, was ich auch diesmal bestätigen kann. Manche Lösungen entsprechen damit auch nicht der Musik, die z.B. Romeos Flucht durch den Sprung aus dem Fenster nach der ersten (und letzten) Liebesnacht des Paars mit ihren absteigenden Phrasen genau anzeigt, während der junge Mann hier einfach davonstürzen muss. Prachtvoll von B. H. Barry einstudiert waren allerdings wieder die Fechtszenen. Die Verlegung der Handlung ins 18. Jahrhundert wirkt nicht unbedingt überzeugend, wobei glücklicherweise nur die „Honoratioren“ wie Vater Capulet, Comte Pâris oder der Duc de Verone für die besagte Epoche charakteristische Kostüme tragen, während das Protagonistenpaar, Mercutio und die anderen Jugendlichen eher zeitlos gewandet sind. Die Ausnahme sind Frère Laurent und die Amme, die in ihrer „Arbeitskleidung“ stecken.

Ein großartiger Motor für die Aufführung war der junge Lorenzo Viotti, der hier mehr als eine Talentprobe ablegte. Seine Lesart der sehnsuchtsvollen, oft geradezu wie ermattet klingenden Musik Gounods (die ihr m.E. fälschlicherweise wiederholt das Prädikat kitschig eingetragen hat) hatte eine ungeheure Sogkraft und wurde vom Orchester des Hauses mit hörbarer Überzeugung mitgetragen. Es wäre schön, den jungen Künstler, dem schon jetzt die Fußstapfen seines Vaters Marcello nicht zu groß sind, öfter hier hören zu können. Der wie immer von Bruno Casoni fabelhaft einstudierte Chor des Hauses kam seinen umfangreichen Aufgaben mit Kraft und Disziplin nach.

Von der Premierenbesetzung mussten bei dieser dritten Vorstellung zwei Künstlerinnen wegen Erkrankung absagen: Statt Diana Damrau war die junge Französin Vannina Santoni (Vater Korse, Mutter Russin)zu hören, die in ihrer Heimat schon sehr erfolgreich aufgetreten ist. Nach einem gut, aber nicht außergewöhnlich brillant absoluten „Je veux vivre“ wurde bald klar, dass die Künstlerin mehr im Lyrisch-dramatischen als in der Koloratur daheim ist.

Ihre „Air du poison“ war ausgezeichnet gesungen, und sie gefiel überhaupt mit Expressivität und großer darstellerischer Intensität, mit der sie die abrupte Entwicklung vom Mädchen zur Frau interpretierte. Die zweite Absage kam von Marina Viotti, die in der Rolle des Stéphano, der mit seinem Spottlied gegen die Capulets die eigentliche Tragödie erst auslöst, durch Annalisa Stroppa bestens vertreten wurde. Stroppa hat physique du rôle und einen schönen, gut geführten Mezzo. Als Roméo bot Vittorio Grigolo eine gesanglich ausgezeichnete Leistung, auch wenn das ersterbende, fast unhörbare Piano am Schluss des 2. Akts Erinnerungen an Crooner bewirkte (ich bediene mich da des Vergleichs eines Kollegen, der mir den Nagel auf den Kopf zu treffen scheint). Seine Gestik hingegen war auf eine Art und Weise überdreht, dass sie schon fast parodistisch wirkte. Als temperamentvoller Mercutio zeichnete sich Mattia Olivieri gesanglich wie szenisch aus. Sein Gegenspieler Tybalt war bei dem russischen Tenor Ruzil Gatin in guten Händen, doch zeigte seine Stimme gewisse slawische Härten, die ihn nicht ideal für das französische Repertoire machen. Für die Amme war Sara Mingardo eine (erfreuliche) Überbesetzung. Frédéric Caton steuerte seinen trockenen Bass als Capulet bei, Nicolas Testè gab einen Frère Laurent ohne das nötige stimmliche und moralische Gewicht. Jean-Vincent Blot (Duc de Verone), Edwin Fardini (Comte Pâris), Paolo Antonio Nevi (Benvolio) und Paul Grant (Grégorio) ergänzten. Bei den beiden Letztgenannten handelt es sich um Studenten der Accademia della Scala, die sich mit erfreulichem vokalen und szenischen Einsatz präsentierten.

Eva Pleus 25.1.20

Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala