Novara: „La Traviata“

Aufführung am 3.5.19 (Premiere)

Mit wenigen Mitteln viel erreicht

Die letzte Produktion der diesjährigen Opernsaison stand zunächst aus verschiedenen Gründen nicht unter einem guten Stern. Der schlimmste, weil noch nicht gelöste, Faktor ist, dass sich die Politik in die Pläne des in den letzten Jahren aufgeblühten Hauses einzumischen begann und ein Streit zwischen der Stadtverwaltung und der Region Piemont ausbrach, von dem man nicht weiß, wann er beigelegt werden wird. Die böse Konsequenz ist, dass die Region die dem Theater zustehenden Gelder zurückhält. Was das für die Planung bedeutet, kann man sich gut vorstellen, aber es gab auch schon Auswirkungen auf die Neuproduktion. Davon später.

Dann fiel die für die Titelrolle vorgesehene Sängerin bei Probenbeginn aus, und es musste in relativ kurzer Zeit Ersatz gefunden werden. Bei der Generalprobe schließlich musste der Tenor nach dem 1. Akt wegen einer schweren Verkühlung das Handtuch werfen. Alle Beteiligten bewiesen dem Publikum im ausverkauften Haus aber, dass mit großem Einsatz und starkem Willen ein ausgezeichnetes Ergebnis errungen werden kann.

Das begann mit Matteo Beltrami am Pult des wie immer von Studierenden und Professoren des Konservatoriums von Novara unterstützten Orchestra del Teatro Coccia, das mit Hingabe die Anweisungen des Dirigenten umsetzte und in den beiden Vorspielen und den tragischen Momenten der Partitur zu überzeugender Sensibilität fand, aber auch die Momente der gesellschaftlichen Anlässe spritzig darbot. Violetta war die Ungarin Klára Kolonits, die trotz einer schon länger währenden Karriere eine erstaunliche stimmliche Frische an den Tag legte.

Die Koloraturen saßen ebenso wie sie schöne Legatobögen spann und ein inniges, zweistrophiges „Addio del passato“ bot. Für Ivan Ayon Rivas sprang Danilo Formaggia ein, der mit ausgezeichneter Technik vergessen ließ, dass sein Tenor nicht zu den schönsten gehört. Nur bei Alfredos Wutausbruch in Floras Salon kam sein lyrischer Tenor an Grenzen. Alessandro Luongo war ein gut phrasierender Germont (samt Cabaletta nach „Di provenza“) von gemessenem Auftreten, zu dem ein manchmal zu starker stimmlicher Nachdruck im Gegensatz stand. Als Flora ließ Carlotta Vichi einen angenehmen Mezzo hören, Marta Calcaterra war eine teilnahmsvolle Annina. Zuverlässig ergänzten Blagoj Nacoski (Gastone und Giuseppe), Roberto Gentili (Douphol und Commissionario), Claudio Mannino (Marchese) und Rocco Cavalluzzi (Dr. Grenvil). Der von Mauro Rolfi einstudierte Coro San Gregorio Magno bot eine gute Leistung und wies nach, wie sehr er sich von Jahr zu Jahr verbessert hat.

Regisseur Renato Bonajuto hatte die Handlung aus gutem Grund in die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts verlegt, weil damit an den Kostümen gespart werden konnte. Die durch die Einmischung der Politik (siehe oben) bewirkte finanzielle Not ging sogar so weit, dass manche Choristinnen eigene adaptierte Kleider trugen. Sehr geschickt war das Bühnenbild von Sergio Seghettini, dem wenige Versatzstücke genügten, um Atmosphäre zu schaffen. Typisch dafür der 2. Akt mit zwei Gartenstühlen und Tisch und durch Lichteffekte das Vorhandensein eines Swimmingpools dahinter suggerierend. Im letzten Bild ist überhaupt nur mehr Violetta in ihrem Bett zu sehen, der Rest ist Dunkelheit. Das passte zu Bonajutos Auslegung, welche die Unglückliche alle auftretenden Personen nur mehr im Delirium sehen lässt, die sich in düster-grauer Gewandung wie Marionetten bewegen. Weitere gelungene Regiedetails: Vor „E‘ strano“ versucht Douphol, Violetta auf die Schulter zu küssen, doch sie schickt ihn weg.

Während der Auseinandersetzung mit der Geliebten seines Sohnes zückt Germont auch ein Scheckheft, das von Violetta entrüstet zurückgewiesen wird. Da kein Ballett zur Verfügung stand, wurde der Chor klug in die für diese Musik geschaffene Szene einbezogen.

Wie gesagt, ein trotz aller Schwierigkeiten gelungener Abend, der vom vollen Haus mit begeistertem Applaus honoriert wurde.

Eva Pleus 8.5.19

Bilder: Mario Finotti