Novara: „Stabat Mater“

Arengo del Broletto 25.10.20 (Premiere am 22.10.)

Letzte Vorstellung vor neuerlichem Lockdown

Zunächst gleich die Übersetzung des für die Wiedergabe des „Stabat Mater“ von Giovan Battista Draghi, besser bekannt unter dem Namen Pergolesi, gewählten Aufführungsorts. Es handelt sich um den Bürgerversammlungssaal des Rathauses, das an einem vierseitigen, prachtvollen, geschlossenen Hof mit Gebäuden aus dem 13. bis 18. Jahrhundert liegt. Die Wahl fiel auf diesen Saal, weil das Teatro Coccia während des Lockdowns Renovierungsarbeiten in Angriff genommen hat, die noch nicht beendigt sind.

Der mit Renaissancefresken geschmückte Saal bietet nicht nur durch seinen künstlerischen Wert ein ideales Ambiente, sondern auch durch eine perfekte Akustik, die man sich in einem für musikalische Darbietungen nicht gedachten Raum nicht erwarten würde, umso mehr als die der Schutzvorschriften wegen Covid auf 100 Personen reduzierte Zuschauerzahl vermutlich auch keinen „Polster“ für Instrumente und Sänger abgeben kann. Mit der Wahl des Saals hatten die Verantwortlichen somit das Glück des Tüchtigen.

Die Vorstellungen gab es ab 22.10 zweimal täglich, und als ich mich für den 25.10. entschied, konnte ich nicht wissen, dass ich am letzten Tag vor der neuerlichen Schließung der italienischen Opernhäuser, Theater und Kinos einer Aufführung beiwohnen würde.

Als kurze Einführung zu Pergolesis Meisterwerk war die Suite Nr.. 3 aus den Antiche arie e danze per liuto von Ottorino Respighi zu hören. Mit Einsetzen der Musik waren 6 Mimen zu sehen, die zunächst die zwei links und rechts an der Rampe stehenden Solistinnen in barocker Pracht einkleideten, sodass sie wie Statuen des Hochbarock aussahen. Diese Mimen wechselten auch immer wieder ihre eigenen Kostüme auf offener Bühne, um verschiedene Stationen des Leidenswegs Christi nachzustellen, wie wir sie von Barockmalern kennen. Regisseur Renato Bonajuto hatte sich dabei an Gemälden lombardischer Meister inspiriert, von denen einige auch in der Umgegend von Novara tätig waren; genannt seien zumindest Giulio Cesare Procaccini und Pier Francesco Mazzucchelli, bekannt geworden unter dem Namen Morazzone. Die Lichteffekte waren von atemberaubender Schönheit (Ivan Pastrovicchio) und zeigten mit höchster Präzision das Erstarren des jeweiligen tableau vivant zum Ende des betreffenden musikalischen Abschnitts (Szene und Kostüme: Daniele Coppola, Choreographie: Giuliano De Luca). Am Schluss wurde den Solistinnen ihre prunkvolle Kleidung wieder abgenommen und sie trauerten als einfache Frauen an Christi Grab.

Diesem starken visuellen Eindruck entsprach der musikalische. Die seit 1989 tätigen Virtuosi Italiani (mit Einspielungen von Kammermusik für Decca oder Naxos) bewiesen ihre Qualität unter der Leitung von Matteo Beltrami. Auf einem für ihn ungewohnten Gebiet zeigte der Musikdirektor des Teatro Coccia größte Stilsicherheit. Wunderbar die Leistung von Mariam Battistelli, die mit ihrem weichen, klar tönenden Sopran dem Schmerz der Mutter Ausdruck gab. Mit rundem, voll timbriertem Mezzo stand ihr Aurora Faggioli in keiner Weise nach.

Hatte bei dieser Nachmittagsvorstellung Tommaso Perissinotto von der Accademia des Teatro Coccia das eröffnende Stück von Respighi dirigiert, so durften am Abend fünf verschiedene Absolventen dieser vor ein paar Jahren von Beltrami gegründeten Accademia abwechselnd die verschiedenen Abschnitte von Pergolesis Werk dirigieren, während als Solistinnen Ksenia Bomarsi (Sopran) und Sofia Janelidze (Mezzo) auftraten. Bei Bomarsi war bei grundsätzlich guter Leistung leider ein rechtes Vibrato zu hören, während Janelidze mit vollem, warmem Mezzo überzeugte.

Eva Pleus 31.10.20

Bilder: Mario Finotti