Cagliari: „La Wally“, Alfredo Catalani

Lieber Opernfreund-Freund,

Alfredo Catalanis Oper La Wally ist ein typisches Beispiels für das, was man heute wohl One-Hit-Wonder nennt: Die Arie Ebben ne andrò lontana hat in der Interpretation von Maria Callas Weltruhm erlangt, mit Filmen wie Diva und der Verwendung in zahllosen Werbespots hat sie Einzug in die Popkultur gehalten und als Techno-Version sagt sie selbst Menschen etwas, die ansonsten mit Oper so gar nichts am Hut haben. Umso schöner ist es, wenn sich dann und wann ein Opernhaus um die Oper drum herum bemüht – wie derzeit das Teatro Lirico in Cagliari. Hier habe ich mir gleich zwei Aufführungen der Produktion angesehen, die am vergangenen Donnerstag Premiere hatte – und die Qualität der Sängerbesetzungen könnte unterschiedlicher kaum sein.

© Laycon – Teatro Lirico di Cagliari

La Wally basiert auf dem hierzulande durch verschiedene Heimatfilmversionen berühmten Roman Die Geierwally von Wilhelmine von Hillern aus dem Jahr 1873. Doch im Gegensatz zu ihren Filmkolleginnen Heidemarie Hatheyer, Barbara Rütting oder Samy Orfgen hat die Opern-Wally keinen Geier dabei, sondern ihren vertrauten Freund Walter. Und am Schluss gibt es auch kein Happy End, weil sich herausstellt, dass Afra, auf die Wally eifersüchtig ist, die Schwester des von ihr angebeteten Josef ist (in der italienischen Opernfassung dann Giuseppe): Im operngerechten Finale reißt eine Lawine den reuig gewordenen Giuseppe in den Tod und die verzweifelt zurückgelassene Wally stürzt sich ihm hinterher in den Abgrund. Catalani hat dazu ein buntes Stilpotpourri ersonnen, in dem er die erste Hälfte des Abends von folkloristische Anklänge an Jodler und Ländler dominieren lässt, um sich in den beiden letzten Akten auch als ausgeklügelter Sinfoniker mit weiten Melodiebögen zu präsentieren, die auf das dramatische Finale zusteuern.

© Laycon – Teatro Lirico di Cagliari

Regisseur Massimo Pizzi Gasparon Contarini bedient sich moderner Mittel, um die Geschichte auf die Bühne zu bringen. Den Hintergrund bilden KI-gestützte Videoeinspielungen von Matteo Letizi, die eine sich ändernde Bergwelt zeigen, Stimmungen verstärken und eine unglaubliche Tiefe erzeugen. Auf der Bühne selbst ist das Weiß des Schnees, das alle umgibt die vorherrschende Farbe – wenn sich der Vorhang hebt, ist es so grell, dass man fast befürchtet, blind zu werden – und zeigt sich auch in sämtlichen Kulissen wie der kleinen Kapelle oder dem stilisierten Wald. Die hinreißenden, vorzugsweise hellen Kostüme, für die der Regisseur ebenso verantwortlich zeichnet, sind eher an die Entstehungszeit der 1892 uraufgeführten Oper angelehnt als an die folkloristisch geprägte Mode in der Romanvorlage. Eine zehnköpfige Ballettgruppe belebt in der gefälligen Choreografie von Letizia Giuliani nicht nur Catalanis ausgedehnte Vorspiele zum dritten und vierten Akt, sondern spiegelt den ganzen Abend hindurch Wallys Gefühlswelt, um am Ende die Lawine auf äußerst gelungene Weise zu ertanzen. Weniger geglückt ist dagegen der Bühnenaufbau im dritten Akt: Wallys eingeschobene Berghütte verdeckt die Videoprojektion im Hintergrund dermaßen, dass ein Großteil des Publikums sie gar nicht sehen kann. Das ist aber insofern nicht schlimm, weil das als Videospielversion gezeigte Attentat auf Giuseppe dann ebenso verborgen bleibt. Sie wirkt unfreiwillig komisch wirkt und provoziert sogar einzelne Lacher. Dies ist allerdings der einzige Fehlgriff in einer ansonsten beeindruckenden szenischen Umsetzung, in der Gasparini Wally im letzten Akt auf einem Felsen thronen lässt, was mich an die Loreley erinnert, eine noch weitaus seltener gespielte Oper von Alfredo Catalani.

© Laycon – Teatro Lirico di Cagliari

Drei der Hauptpartien sind doppelt besetzt, doch hier von A- und B-Cast zu sprechen, wäre falsch. Denn – das kann ich bereits vorwegnehmen – die drei Interpretationen des zweiten Abends überzeugen mich deutlich mehr als die der Premiere. Oksana Dykas Sopran zeigt in der Höhe eine unschöne Schärfe, die so gar nicht zur Wally passt, auch wenn sie im letzten Akt wie aus dem nichts wundervolle Piani aus dem Hut zaubert. Ihre Darstellung bleibt dazu insgesamt recht blutleer, so dass mich diese Wally so gar nicht packen mag. Ihre Kollegin Rachele Stanisci hingegen ist eine wundervolle Sängerdarstellerin, die in der Rolle der Wally vom ersten Moment an aufgeht, Dynamik und Farbe den ganzen Abend über variantenreich einsetzt und so ein gelungenes Rollenportrait einer emanzipierten Frau präsentiert, die am Ende desillusioniert den Freitod sucht. Darstellerisch ebenfalls präsent ist der argentinische Tenor Marcelo Álvarez, der Giuseppe Hagenbach des ersten Abends, gefällt mir durch tenoralen Glanz und szenische Präsenz. Im vierten Akt aber kämpft er sich regelrecht durch seine Schlussarie und erreicht mit hörbar letzter Kraft den Finalton, auch wenn Dirigent Lü Jia wohl aus Gründen der Schonung die eine oder andere Zeile erst gar nicht singen lässt. Konstantine Kipiani hat derlei Probleme nicht, wirft sich voller Verve in die so anspruchsvolle wie anstrengende Tenorpartie und hält das Versprechen der kraftvoll präsentierten ersten Töne bis zum Schluss. Davide Cecconi bringt für seine Interpretation des Vincenzo Gellner einen ausdrucksstarken voluminösen Bariton mit. Enrico Di Geronimo kommt stimmlich eher samtig weich daher und dennoch fehlt es dem aus den Abruzzen stammenden jungen Bariton nicht an der nötigen Kraft, so dass mir seine Version des unglücklich Verliebten eine Spur besser gefällt. 

© Laycon – Teatro Lirico di Cagliari

Der glockenklare Sopran von Elena Schirru, die – wie bei einer solchen Rarität beinahe üblich – wie alle auf der Bühne ihr Rollendebüt gibt, zeigt nicht nur eine wunderbare Beweglichkeit, sondern verfügt für eine Koloratura über eine ausgesprochen voluminöse Mittellage und passt deshalb perfekt zur Hosenrolle des Walter. Als Pedone kann mich Andrea Tabili mit ausdrucksstarkem Bass überzeugen, Sonia Maria Fortunato als Afra und David Cervera als despotischer Vater Stromminger komplettieren das spielfreudige Ensemble. Die Damen und Herren des Chores haben viel zu tun in dieser Oper und Giovanni Andreoli hat sie präzise auf ihre umfangreiche Aufgabe vorbereitet, so dass sie die gesangliche Seite des Abends vervollkommnen können. Und auch am Pult bleibt bei Lü Jia kaum ein Wunsch offen. Der aus China stammende Dirigent lässt dem Bodenständig-folkloristischen in der Partitur ebenso viel Raum wie den fast expressionistisch-spätromantischen Passagen, schlägt variantenreiche Tempi an und präsentiert so eine dynamisch ausgewogene Wally aus einem Guss.

Ihr
Jochen Rüth

27. April 2025


La Wally
Oper von Alfredo Catalani

Teatro Lirico di Cagliari

Premiere: 24. April 2025
besuchte Vorstellungen: 24. und 26. April 2025

Regie: Massimo Pizzi Gasparon Contarini
Musikalische Leitung: Lü Jia
Orchestra del Teatro Lirico

weitere Vorstellungen: 27., 29. und 30. April sowie 2., 3. und 4. Mai 2025