Antônio Carlos Gomes
Aufführung am 22.2.19 (Premiere)
Für Raritätensammler
Die Saison des Opernhauses der sardischen Hauptstadt wurde auch heuer mit einer Rarität eröffnet, die diesmal ganz besonders ausgefallen ist, wurde doch das 1889 im Kaiserlichen Theater von Rio de Janeiro uraufgeführte Werk in Europa bisher erst zweimal gegeben, nämlich 1978 in London konzertant und 2011 szenisch im deutschen Stadttheater Gießen. Sein Komponist ist Antônio Carlos Gomes, am 11.7.1836 in Campinas im brasilianischen Staat São Paulo geboren und am 16.9.1896 in Belém gestorben.
Nach dem Erfolg seiner 1861 in Rio uraufgeführten ersten Oper „Noite do Castelo“ wurde der junge Mann von seinem Förderer Dom Pedro II. nach Europa geschickt, um sich dort stilistisch zu vervollkommnen. Nachdem zunächst Deutschland in Erwägung gezogen worden war, fiel die Wahl schließlich auf Italien, wo Gomes zum Kreis der „Scapigliati“ stieß, zu dem u.a. Boito, Faccio, Ponchielli, Marchetti zählten. Um sich finanziell durchzubringen, arbeitete er allerdings auch an zwei erfolgreichen Revuen in Mailänder Dialekt mit! Mit der seiner südamerikanischen Heimat gewidmeten Oper „Il Guarany“ erzielte Gomes 1870 an der Scala einen durchschlagenden Erfolg, der das Werk u.a. nach Rom, Florenz, Genua, Bologna, aber auch nach London führte. Selbst Giuseppe Verdi sparte nicht mit Worten der Bewunderung.
Gomes dürfte kein einfacher Charakter gewesen sein, wovon es Zeugnisse von Antonio Ghislanzoni, dem Librettisten der „Aida“, der auch das Textbuch für die „Fosca“ des Brasilianers verfasste, gibt und Beschreibungen seines ungestümen Benehmens während musikalischer Proben. Er setzte wiederholt zur Komposition weiterer Opern an, die aber nur Skizzen blieben. Erst „Fosca“ brachte ihm in überarbeiteter Form in Mailand 1878 wieder einen gewissen Erfolg und „Salvator Rosa“ (Genua, 1874) gar einen weiteren Triumph. Gomes ließ sich im lombardischen Maggianico eine Prachtvilla errichten, die er aber nach sieben Jahren wegen drückender Schulden wieder verkaufen musste. Auch sein Privatleben deprimierte ihn, weil zwei seiner vier Kinder in zartem Alter starben und er sich nach langen Querelen von seiner Frau, der Pianistin Adelina Peri, scheiden ließ.
Da er sich auch mit Ghislanzoni zerstritten hatte, beauftragte er Rodolfo Paravicini mit der italienischen Ausarbeitung des Librettos von „Lo schiavo“, das von Alfredo d’Escragnolle Taunay schon auf portugiesisch geschrieben worden war. Die ursprüngliche Geschichte spielte im frühen 19. Jahrhundert und behandelte die Frage der Sklaverei, wobei an Schwarze gedacht war. Paravicini wollte dies einem bürgerlichen Publikum nicht zumuten und verlegte die Handlung ins 16. Jahrhundert, wodurch sich die schwarzen Sklaven in Indios verwandelten und viele anderen Dinge geändert wurden. Dazu kamen gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Verlegern Ricordi und Lucca (bei welch letzterem Gomes im Sold stand). Die für 1888 vorgesehene Uraufführung in Bologna wurde abgesagt und fand mit größtem Erfolg 1889 in Rio statt.
Man kann nicht eben behaupten, dass das Libretto ein ausgewogenes ist, denn der Titelheld, der Sklave Iberè (Bariton), hat ihm 1. Akt relativ wenig, im 2. fast nichts zu tun, während er im 3. und 4. in ständigem Einsatz ist. Dafür ist Americo (Tenor) im 3. Akt abwesend und hat im 4. nur eine Szene. Es geht um die Liebe der beiden Männer zu der Sklavin Ilàra (Zwischenfachsopran), die von Americos Vater Rodrigo (Bass) mit Iberè zwangsverheiratet wird, weil der adelsstolze Mann die Liebe seines Sohnes zu einer Sklavin verhindern will. Americo, der den Sklaven die Freiheit geschenkt hatte, wofür ihm Iberè ewige Treue schwor, glaubt sich durch diese Eheschließung verraten und erfährt erst am Schluss, dass der frühere Sklave seine Ehefrau, obwohl auch er sie liebt, nur wie eine Schwester behandelt hat. Er lässt die Liebenden schließlich fliehen und tötet sich selbst, bevor ihn seine Stammesgenossen angesichts des „Verrats“ zugunsten eines Portugiesen lynchen. Im 2. Akt gibt es eine weitere, recht umfangreiche Frauenrolle, die in Americo verliebte Gräfin Boissy (Koloratursopran), die zwar gegen die Sklaverei auftritt, aber hysterisch reagiert, als sie von der Liebe ihres Angebeteten zu Ilàra erfährt.
Manches dramaturgische Detail lässt an „Perlenfischer“ oder „Gioconda“ denken. Unterstrichen wird dieser Eindruck auch von der Musik, die wiederholt an Ponchielli erinnert, ohne den dramatischen Fluss von dessen Kompositionen zu erreichen. Immer wieder gibt es hübsche Phrasen, bei denen man sich die Ausarbeitung einer gewichtigeren Melodie erwartet, die aber regelmäßig im Sand verlaufen. Ein gutes Beispiel ist auch das Vorspiel zum 4. Akt, das die Morgendämmerung im Urwald beschreibt. An die elf Jahre später uraufgeführte „Tosca“ mit der Beschreibung des Anbruchs eines römischen Morgens darf man da nicht denken… Es handelt sich insgesamt um eine interessante Begegnung, die allerdings verständlich macht, warum das Werk schlussendlich nur in Brasilien sozusagen als Nationaloper festen Fuß fassen konnte.
Die Regie von Davide Garattini Raimondi trug der Tatsache, dass die Oper dem europäischen Publikum unbekannt ist, Rechnung und beließ die Handlung in der der Vorlage entsprechenden Zeit. Sehr wichtig war ihm merklich das Bühnenbild von Tiziano Santi, dessen Lianen mit Hilfe der großartigen Lichtregie von Alessandro Verazzi immer wieder verschiedene Farben annahmen. Atmosphärisch stark auch der 2. Akt auf der Terrasse der Villa der Gräfin mit französisch zugeschnittenen Sträuchern. Auch die Kostüme von Domenico Franchi waren passend, historisierend für die Europäer, einfach und mit angedeutetem Kopfschmuck für die Indios. Die Choreographin Luigia Frattaroli hatte nicht allzu viel zu tun, war doch das auf die grand opéra verweisende Ballett im 2. Akt gestrichen, was ich bei einem so selten zu hörenden Werk schade finde.
Orchester und Chor des Hauses waren mit großem Einsatz bei der Sache. Die von Donato Sivo einstudierten Choristen klangen homogen, und die Orchestermusiker folgten aufmerksam der Leitung durch den Brasilianer John Neschling. Dieser achtete auf die Sänger und sorgte für einen sicheren Ablauf. Vielleicht hätte etwas mehr Temperament nicht geschadet, doch ist es schwierig bei erst- und einmaligem Hören ein verbindliches Urteil abzugeben.
Die Titelrolle wurde mit angenehm timbriertem Bariton von Andrea Borghini gesungen. An der Projizierung der Stimme muss der junge Sänger noch arbeiten, aber seine – auch szenische – Leistung war durchaus befriedigend. Massimiliano Pisapia hatte als Americo die einzige bekanntere Arie der Oper „Quando nascesti tu“ zu singen, die von Größen wie Caruso, Lauri-Volpi oder Gigli eingespielt worden ist. Der Tenor hat immer noch einen klangvollen squillo, während in der Mittellage jeder Ton eine andere Farbe annimmt. Im Ganzen war aber auch er zufriedenstellend, was man von Svetlana Vassileva als Ilàra leider nicht sagen kann. Die untere Mittellage ist geradezu unhörbar, der Rest klingt ausgefranst, die Höhen werden geschrien. Schade. Ausgezeichnet sang Elisa Balbo die Gräfin Boissy – ihre Interpretation der schwierigen Koloraturen und ihr Auftreten ließen sie einen persönlichen Erfolg erringen. Sehr interessant klang der Rodrigo von Dongho Kim, der auch einen bedrohlichen Indio Goitacà interpretierte. Dem Sklaventreiber Gianfèra verlieh der Bariton Daniele Terenzi nachdrückliches Gewicht.
Der Applaus des Premierenpublikums fiel sehr herzlich aus.
Eva Pleus 25.2.19
Bilder: Priamo Tolu