Aufführung (Premiere) am 2.3.18
Busoni vs. Puccini
Die Saisoneröffnung in der sardischen Hauptstadt brachte ein ungewöhnliches Zweigespann zu Gehör, denn (fast) gemeinsam haben diese „Turandot“-Variante von Ferruccio Busoni (1866-1924) und der Mittelteil von Giacomo Puccinis „Trittico“ nur das Uraufführungsdatum (11. Mai 1917 in Zürich bzw. 14. Dezember 1918 in New York).
Busoni wurde als Kind eines Musikerehepaares im toskanischen Empoli geboren, jedoch bereits als Einjähriger zu seinem deutschsprachigen Großvater Josef Weiß nach Triest gebracht. Schon 1875 wurde er Schüler des Wiener Konservatoriums und setzte seine Studien 1879 bis 1881 in Graz fort. Als anerkannter Klaviervirtuose lernte er Mahler, Grieg, Sibelius, Delius kennen und ließ sich schließlich mit seiner schwedischen Gattin in Berlin nieder, um sich neben seinen Konzerten zunehmend der Komposition zu widmen.
Busoni war durch seinen Lebenslauf trotz der italienischen Geburtsstadt geistig nördlich der Alpen verankert, verfiel aber durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs mit dessen Gegenüberstellung von Deutschen und Italienern in eine schwere Depression. Die Übersiedlung in die neutrale Schweiz und die Uraufführung seiner „Turandot“ gaben ihm neuen Auftrieb. Der Komponist hatte bereits 1905 seine „Turandot“-Suite herausgebracht, die zunächst zu einer Schauspielmusik für eine Inszenierung des Stoffes durch Max Reinhardt und dann zur Basis seines 80-minütigen Werks wurde. Absolut gegen Veristen und Naturalisten eingestellt, wählte Busoni mit dem Griff nach dem Märchen von Carlo Gozzi bewusst ein ohne Realismus auskommendes Material, wie es schon von Gozzi selbst gegen seinen venezianischen Landsmann Carlo Goldoni und dessen realistisches Theater erdacht worden war. Zudem gab es in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Rückkehr zur Commedia dell’arte und ihren Figuren und in der Musik überhaupt eine Hinwendung zum 18. Jahrhundert.
So zimmerte Busoni sich sein deutschsprachiges Libretto selbst und machte aus den chinesischen Ministern die Figuren Truffaldino, Pantalone und Tartaglia. (Seltsam ist übrigens, dass in dem im Programmheft abgedruckten italienischsprachigen Libretto keinerlei Hinweis auf die Übersetzung in diese Sprache zu finden ist, so sie nicht von Busoni selbst stammt). Der Komponist selbst meinte, die bedeutendsten Momente der Handlung müssten gesprochen werden, was auf seine Verbundenheit mit dem Singspiel und speziell der „Zauberflöte“ verweist. So wechseln Nummern im Stil eines ‚Türkischen Marsches‘ mit magischen Momenten à la Zauberoper ab, bei denen aber auch distanzierende Ironie eine Rolle spielt.
Es handelt sich um ein hübsches kleines Werk, das man eher mit dem „Arlecchino“ des selben Komponisten hätte koppeln sollen, denn allzu sehr steht es im Schatten von Puccinis gleichnamiger Oper. Und nicht nur das: Es brauchte gar kein chinesisches Ambiente, um die qualitativen Welten aufzuzeigen, die zwischen den beiden toskanischen Komponisten liegen, denn wenn auch „Suor Angelica“ das am wenigsten gegebene Stück des „Trittico“ ist, kann das musikalische Niveau dieser Werke in keinem Fall verglichen werden (obwohl auch Busoni sehr raffiniert instrumentierte).
Wurde „Turandot“ in Sardinien erstmals gegeben, so war „Suor Angelica“ in Cagliari bisher in zwei Produktionen zu hören gewesen, und zwar 1974 und 1989 (aber nicht im Teatro Lirico, das erst 1993 eröffnet wurde). Für beide Werke war der französisch-italienische Regisseur Denis Krief verantwortlich, der auch für Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung zeichnete. Die grundsätzlich gleiche Szenerie in ihren futuristischen Zügen wurde durch die Lichtregie der jeweiligen Handlung angepasst und war für ein Märchenreich ebenso geeignet wie für die klaustrophobe Atmosphäre eines Klosters. Waren der Kaiser und seine Minister typengerecht gewandet, so zeigten sich Turandot, Kalaf und Adelma, Sklavin und Freundin der Prinzessin, in zeitloser Normalkleidung. Zu den Nonnengewändern bei Puccini gesellte sich die Zia Principessa in strengem Kostüm mit Hut, Handschuhen und Handtasche, womit sie auf die Fünfzigerjahre verwies.
An der Spitze des Orchestra e Coro del Teatro Lirico (Choreinstudierung: Donato Sivo) stand mit Donato Renzetti ein mit der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts vertrauter Dirigent, der den ironisch-orientalischen Klängen bei Busoni soviel Glanz verlieh wie den tragischen bei Puccini.
Mich hat verwundert, dass Busoni trotz seiner Abneigung gegen den Verismo sowohl von Turandot, als auch von Kalaf starke Ausbrüche in anspruchsvoll hoher Tessitura verlangte. Die Titelrolle wurde von Teresa Romano mit großer Höhenkraft, aber auch schönem, weichem Stimmmaterial gesungen. Die Sängerin, die ihre exzeptionellen Gaben bis vor Kurzem nicht immer adäquat eingesetzt hat, hat mit diesem Debüt (und der wenige Wochen zuvor in Turin gesungenen Puccini-Version) hoffentlich auf den richtigen Weg zurückgefunden. Der Waliser Timothy Richards ist Besitzer eines eher geraden Tenors, den er aber mit effektvoller Höhe einsetzte. Gabriele Sagona (Bass) war ein erheiternd enervierter Altoum, wie Kriefs Personenregie in beiden Opern überhaupt sehr gut funktionierte. Der georgische Bariton Gocha Abuladze sang einen verlässlichen Barak (der Kalaf erst auf die Anziehungskraft Turandots hinweist). Vittoria Lai gab mit angenehmem Sopran die Klage der Königinmutter von Samarkand wegen ihres hingerichteten Sohnes. Die Commedia dell’Arte wurde von Filippo Adami (Truffaldino/Tenor), Daniele Terenzi (Pantalone/Bariton) und Carlo Checchi (Tartaglia/Bariton) würdig vertreten. Ein Pauschallob den aus dem Chor rekrutierten 8 Doctores, die die Antworten auf die Rätsel zu begutachten haben. Die Albanerin Enkelejda Shkoza war Adelma, die in dieser Fassung Kalafs Namen kennt und ihn an Turandot verrät, um im Gegenzug keine Sklavin mehr zu sein. Das Happyend versäumt die Figur, weil sie sich auf die Suche nach einem Liebhaber begibt.
Shkoza war in Puccinis Werk eine prachtvoll in Alttiefen orgelnde Zia Principessa, die die Moral ihrer bigotten Familie über Angelicas Leiden stellt. Diese wurde von der Argentinierin Virginia Tola verkörpert, die diese anspruchsvolle Rolle zum ersten Mal sang. Sie interpretierte die Figur mit größter Intensität, auch wenn nicht verschwiegen sei, dass sie stimmlich in den dramatischen Höhen an Grenzen geriet. Nicht immer auf einheitlichem Niveau waren die verschiedenen Nonnen; als positiv sei die Suor Genovieffa von Daniela Cappiello erwähnt.
Es gab freundlichen Beifall bei Busoni und stärkere Zustimmung bei Puccini.
Eva Pleus 10.3.18
Bilder: Priamo Tolu / Teatro Lirico