Teatro Massimo am 21.2.13
Knapp drei Wochen nach dem Auftakt mit „Rheingold“ folgte der erste „Ring“-Abend, in dem es Regisseur Graham Vick und seinem Team gelang, eine ungeheuer dichte Atmosphäre zu schaffen. Die Ausstattung von Hundings Hütte bestand aus einem Tisch mit drei Stühlen, einem Fauteuil und einem Hochzeitsphoto Hunding/Sieglinde an der Wand, hinter dem sich eine Öffnung befand, in der eine Flasche Met aufbewahrt wurde, mit dem Sieglinde den Gehetzten labte. Neben der Hütte die Esche und zu ihren Füßen ein leicht glimmendes Feuer.
Im 2. Akt sah man einen ziemlich heruntergekommenen Wohnwagen, in dem sich Wotan offenbar sein persönliches Reich errichtet hatte, in das nur Brünnhilde zugelassen war. Als das fliehende Geschwisterpaar hereinstürmte, fielen Felsbrocken von oben, und der Wohnwagen gelangte mittels Drehbühne in den Hintergrund. Im ersten Teil des 3. Akts war im Hintergrund eine Tapete mit Mohnblumen zu sehen (ähnlich der Lösung mit den Sonnenblumen für „Rheingold“). Ab der großen Szene Brünnhilde-Wotan war die Bühne bis zur neuerlich sichtbaren Feuermauer vollkommen leer.
In diesem Rahmen spielte sich ein Psychodrama ersten Ranges ab: Hunding war ein tätowierter Kraftlackel, der seine Frau als persönlichen Besitz betrachtet („Dies Haus und dies Weib sind Hundings Eigen“!). Der Russe Alexei Tanovitski war stimmlich ungeschlacht, was aber zur Rolle und deren extrem brutaler Auslegung passte und durch hervorragende Textbehandlung ausgeglichen wurde. Sieglinde im kurzen Kleidchen ist durchaus bereit, dem Gatten um den Bart zu gehen, um Siegmund vor ihm zu schützen. Die Litauerin Ausrine Stundyte sang mit strahlendem, in der Höhe prachtvoll aufgehendem Sopran, der allerdings in den tiefer gelegenen Phrasen deutlich an Substanz verlor.
Darstellerisch war sie von beeindruckender Intensität und setzte mit „Rette mich, Kühne! Rette mein Kind“ auch stimmlich einen besonderen Glanzpunkt. Für den Siegmund war der Neuseeländer Simon O’Neill vorgesehen, der aber eine Woche vor der Premiere mit einigen Orchestermusikern zusammenkrachte und wütend das Weite suchte. Als Ersatz kam der aus Cornwall gebürtige John Treleaven, der sicherlich sein Bestes gab, aber stimmlich angeschlagen klang und das „Wälsungenblut“ gerade noch irgendwie herausstieß, nachdem er die Wälserufe passabel bewältigt hatte. Und dass er wesentlich älter aussah als sein Göttervater steigerte die Glaubwürdigkeit der Figur kaum, obwohl er sich schauspielerisch sehr engagiert zeigte.
Mit der Amerikanerin Lise Lindstrom betrat ein schlankes Energiebündel in jugendlichem Outfit die Bühne. Nur eine Pferdemähne an der Rückseite ihrer Lederjacke wies sie als „anders“ aus. Aus dem Wohnwagen stürmend, ließ sie gleich ein prachtvolles „Hojotoho“ hören. Auch bei ihr ist die tiefere Lage nicht besonders ausgeprägt, aber sie „hatte“ auch die tieferen Stellen. Nun Auftritt Göttervater und Gattin: Göttlich war da gar nichts mehr, sondern es handelte sich um typische „Szenen einer Ehe“, wo der Mann wenig Lust hat, den Vorhaltungen seiner Frau zuzuhören: So putzte Franz Hawlata in Freizeitkluft mit aufreizender Umständlichkeit sein Gewehr, während Anna Maria Chiuri im Schottenfaltenrock, mit Haferlschuhen und Kopftuch an Königin Elizabeth II. erinnerte, wenn sie privat auf Balmoral Castle Urlaub macht. Dennoch fehlte dieser Fricka weder stimmlicher noch szenischer Nachdruck.
Hawlata tat sich seltsamerweise (und zum Glück) mit dem „Walküren“-Wotan leichter als mit dem jungen Gott des Vorabends. Es waren zwar immer noch genug hässliche Töne zu hören, aber die Intensität der Interpretation machte sehr viel wett. Das gilt vor allem für die große Szene Wotan-Brünnhilde im 3. Akt, bei der einem vor Aufregung der Mund trocken wurde. Man litt mit den beiden, die einander doch so vertraut waren, und als Wotan seine Lieblingstochter schließlich in einem schwarzen Leichensack aus Plastik verwahrte, war die emotionale Spannung so unerträglich geworden, dass man sich gar nicht mehr fragte, wie der Feuerzauber auf der leeren Bühne wohl realisiert würde, aber auch diese Lösung war genial: Nach dem Auftritt des rot gewandeten Loge folgten die anderen Mimen in ebensolchen Kostümen und bildeten, auf roten Stühlen sitzend, einen Kreis um Brünnhilde – einfach umwerfend!
Es gab auch einige Szenen, die mir weniger behagten: So sah man während des Vorspiels zum 1. Akt, das doch Siegmunds verzweifelte Flucht illustriert, die Vorgeschichte von Sieglindes Raub durch Hunding und die betrunkene Hochzeitsgesellschaft. Das empfand ich als ebenso unnötig wie die Massenvergewaltigung zu Beginn des 2. Akts, offenbar als Erläuterung dafür gedacht, dass der erwähnte Wohnwagen in einer wenig idyllischen Gegend stand. Die recht anständig singenden Walküren (Brigitte Wohlfarth, Julia Borchert, Nina Palacios, Annette Jahns, Nancy Weißbach, Kremena Dilcheva, Eva Vogel und Manuela Bress) erwiesen sich als Dominae, die die ihnen anvertrauten Helden quälten und zur Roheit anstachelten. Und ob alle Zuschauer verstanden haben, dass ein Darsteller Grane, das Pferd, mimte, das während der Todverkündigung wiederholt von Brünnhilde gestreichelt wurde? Nett war dieser Einfall allemal. Im Ganzen aber ein großer Theaterwurf!
Das Orchester des Hauses gab sich unter der Leitung von Pietari Inkinen sehr viel Mühe, und ein paar Unsauberkeiten seien ihm nachgesehen. Das Dirigat des jungen Finnen gewann nach und nach an Größe und endete mit einem delikat musizierten Feuerzauber.
Freundliche Zustimmung zu dieser Premiere seitens eines – wie so oft in Palermo – nicht wirklich mitgehenden Publikums.
Eva Pleus 22.2.13
Produktionsbilder: Teatro Massimo
P.S.
Vor der Vorstellung und in den Pausen konnte man in der wunderschönen Sala Pompeiana die Ausstellung „Wagner a Palermo“ besichtigen, die Bühnenbilder der bisherigen Wagnerinszenierungen am Teatro Massimo zeigte. Prunkstück der Schau war aber das Harmonium, das Wagner im berühmten Palermitaner ‚Hotel delle Palme’ bei der Instrumentierung des 3. Akts seines „Parsifal“ benutzt hatte und das dem Opernhaus vom Hotel geschenkt worden war.