Parma: „Don Carlo“

Premiere am 1.10.16

Durchwachsen

Dass Giuseppe Verdis grandioses Werk nicht leicht zu inszenieren ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden, aber dass ein erfahrener Regisseur wie Cesare Lievi so viele Banalitäten abliefern würde, damit war dann doch nicht zu rechnen. Dabei hatte ihm Maurizio Balò ein Bühnenbild gebaut, das nicht nur sehr schnelle Verwandlungen ermöglichte, womit die Anzahl der Pausen auf eine reduziert werden konnte (was in Italien bei langen Opern extrem selten ist), sondern mit seinen großen Platten aus weißem, schwarz geädertem Marmor die Kälte und Ausweglosigkeit am spanischen Hof bestens charakterisierte. Für die Gartenszene wurden zwei Pflanzenspaliere hinzugefügt, für das Autodafé ein großes Kreuz, das sich öffnete und aus dem Philipp nach seiner Krönung heraustrat, ein Gitter für die Kerkerszene mit Posas Tod. (Gespielt wurde die vieraktige Fassung in italienischer Sprache).

Nicht so geglückt waren die Kostüme desselben Künstlers, die nur für Filippo mit dem Oberteil einer Rüstung und einem auf den Schultern getragenen Mantel mit Pelzkragen die richtige Mischung aus Phantasie und einem Hauch historischer Authentizität fanden. Carlo mit Stiefeln und offenem weißen Hemd hätte ebenso Turiddu sein können, Posa mit seinen flachen schwarzen Schuhen und gerade fallendem braunen Umhang Beckmesser. Die Königin, Eboli und der weibliche Hofstaat trugen Trauerkleidung, dazu gesellten sich rot gewandete Bischöfe im Autodafé. Während dieser Zelebrierung der geistlichen Macht zogen blutbeschmierte Ketzer im Stil von Margarethe Wallmann Karren mit weiteren Ketzern. Hier gab es auch den einzigen originellen Einfall des Abends, nämlich einen Karren mit zur Verbrennung bestimmten Büchern.

Weitere Regieeinfälle waren bizarr bis komisch: Der Damenchor (wie erwähnt in Trauerkleidung) raffte zu Ebolis „Canzon saracena“ die Röcke und schwang das Bein, während der Gartenszene lugte ein neugieriges Mönchlein aus einer Tür, Eboli riss sich während „O don fatale“ eigenhändig ihr Auge aus, Filippo würgte (!) seine Gemahlin während der Auseinandersetzung um Carlos Porträt in ihrem Schmuckkästchen. Überhaupt war das spanische Hofzeremoniell völlig außer Kraft: Posa legt Eboli den Arm um die Schulter, um sie wegzuführen und umschlingt bei seinem Ruf nach Freiheit Filippos Füße! Im Autodafé fehlt es an Komparserie, sodass man nicht weiß, wen Filippo als „Stützen seines Thrones“ anruft.

Der musikalische Eindruck war insofern besser, als es wenigstens einige interessante Interpretationen gab, obwohl Daniel Oren am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini (trotz des klingenden Namens kein besonders qualitätsvoller Klangkörper) im Laufe des Abends auf immer größere Lautstärke setzte und damit eine Tschinbumm-Wirkung erzielte. Michele Pertusi, der erstmals den Filippo sang, gefiel mit seiner immer bruchlos geführten Stimme und einer prachtvoll gesungenen Arie. In seiner Interpretation hatte der menschliche, fühlende Teil des Herrschers die Oberhand, was wohl auch mit Farbe und Qualität seines Basses zu tun hat, der selten wirklich drohend zu klingen vermag. Ein gelungenes Debüt, wobei gerade diese Rolle im Laufe der Jahre sicherlich noch weitere Nuancen härterer Natur dazugewinnen wird. José Bros singt seit einiger Zeit das dramatischere Fach und interpretierte den Infanten mit metallischem Touch, sicheren Spitzentönen und den üblichen Tenorgesten, was aber dem Regisseur anzulasten ist, denn alle Sänger, mit Ausnahme von Pertusi, blieben darstellerisch im Klischee stecken.

So auch der Posa von Vladimir Stoyanov, der zwar nicht im Besitz besonders interessanter stimmlicher Mittel ist, diese aber gepflegt und mit dem Bemühen um Nuancen einsetzte. Marianne Cornetti war durch ihre Leibesfülle an auch nur ansatzweise überzeugendem Spiel gehindert und sang eine rustikal klingende Eboli mit mehr als einem forcierten Ton. Serena Farnocchia war als Persönlichkeit inexistent und plagte sich mit den tieferen Tönen der Elisabetta. Da sie sich völlig auf ihre vokalen und gesangstechnischen Probleme konzentrieren musste, blieb ihr keine Zeit für Interpretation. Schlimm war die Leistung von Ievgen Orlov als Großinquisitor, der auf „Röhre“ machte, ohne eine solche zu haben und musikalisch mit dem Orchester nicht zurecht kam. (Einer der seltsamsten Regieeinfälle war es auch, dass er sein Kreuz wie einen Blindenstock benutzen musste). Simon Lim orgelte überzeugend Karl V., und sehr gut waren die Chorsolisten, denen die flandrischen Deputierten anvertraut waren. In Ordnung Tebaldo (Lavinia Bini)

Stimme vom Himmel (Marina Bucciarelli) und Lerma/Herold (Gregory Bonfatti). Der von Martino Faggiani einstudierte Coro del Teatro Regio klang kompakt, wie eigentlich immer in Parma.

Viel Erfolg und Applaus für die Produktion, mit der das einen Monat dauernde Festival Verdi eröffnet wurde: Das ist ihr grundsätzlich zu gönnen, denn Parma versucht mit großem Einsatz, dieses sein Festival neu zu positionieren.

Eva Pleus 9.10.16

Bilder: Roberto Ricci