Parma: „Un Ballo in Maschera“

Aufführung am 15.10.21 (Premiere am 24.9.)

Wie es einem Festival ansteht, hat die einmonatige, Verdi gewidmete Veranstaltung eine besondere Wahl für obiges Werk getroffen: Die bekannte Musik blieb unangetastet, aber gesungen wurde der Text des ursprünglichen Librettos, das der päpstlichen Zensur zum Opfer fiel, weshalb die Handlung bekanntlich nach Boston verlegt werden musste, da ein Königsmord auf offener Bühne weder den Behörden, noch vermutlich auch dem Publikum zugemutet werden konnte. Hier ging es also nicht darum, die Handlung textgleich, nur mit anderen Namen der handelnden Figuren – wie schon oft geschehen – ins ursprünglich vorgesehene Schweden zurückzuverlegen, sondern aufzuzeigen, woran sich die Zensoren gestoßen hatten. Da gibt es viel zu schmunzeln, wenn Amelia beispielsweise wie ein „candido Cherubino“ leuchtete und die Zensoren die Nennung eines Engels verwerflich fanden. Es gibt nicht wenige solcher Stellen, und man leidet mit dem armen Librettisten Antonio Soma mit, der sich neue, manchmal skurril wirkende Verse ausdenken musste und dafür auch viel Häme einzustecken hatte. Dennoch bleibt die Entscheidung für den Originaltext insofern fragwürdig, als die Unterschiede nicht sofort ins Auge/Ohr springen und sich erst beim Lesen wirklich offenbaren. Interessant war es allemal…

Viel stärker machte mich der Regieansatz des im Sommer leider an Covid verstorbenen Regisseurs Graham Vick stutzig. Seiner Ansicht nach ist Gustavo ein König, „der alles hat und sich nur mehr verbotenen Freuden hingeben will“, in diesem Fall also der Eroberung der Gemahlin seines Verteidigers und besten Freundes Anckastrom (im Libretto aus Gründen der für italienische Zungen leichter auszusprechenden Begriffe als „Conte“ bezeichnet wie auch Gustavo als „Sire“). Hier muss ich absolut Einspruch erheben, denn Verdis schönstes Liebesduett erzählt uns von wahrer Liebe von beiden Seiten.Überhaupt ist Gustavo/Riccardo der nobelste von Verdis Tenorhelden, der sich nach dem kurzen Rausch der gegenseitigen Liebeserklärung mit Amelia zum Verzicht auf die Geliebte entschließt.

Ich sehe mich daher gezwungen, die von Jacopo Spirei nach Vicks Konzept erarbeitete Fassung abzulehnen, denn zu sehen ist ein höfisches Lotterleben, das seinen Höhepunkt im abschließenden Maskenball findet, an dem nur Freaks und andere wilde Gesellen teilnehmen. Ich konnte noch die wahnwitzigen Zuckungen von Krüppeln und Drogenabhängigen im Bild der Ulrica tolerieren, nicht aber ein Finale, in dem Gustavo und Amelia während ihres letzten Tanzes weit voneinander entfernt sind und die so wunderbar ersterbende Bühnenmusik nicht genutzt wird. Auch ist ein illustriertes Vorspiel heutzutage Pflicht: Diesmal sehen wir Gustavos Begräbnis mit den Trauernden unter schwarzen Schirmen (das gab es übrigens auch schon vor Jahren bei der von Laurent Pelly inszenierten „Traviata“). Jede Menge gegendertes Volk schon im ersten Bild, Oscar in karierten Hosen mutiert im Ulricabild zu einer Art Stummfilmvamp in Flitter und Glitter. Richard Hudson, neben den Kostümen auch für das Bühnenbild verantwortlich, setzte für letzteres vor allem auf Stühle, die eigentlich nur im Galgenbild in ihrer Anhäufung eine gewisse Wirkung erzielten.

Am Pult stand Roberto Abbado, der das Werk zum ersten Mal dirigierte und sich für die ursprüngliche Textfassung stark gemacht hatte. Das Ergebnis war eine im positiven Sinn traditionelle Interpretation, bei der die Filarmonica Toscanini seiner schwungvollen Zeichengebung mit Überzeugung zu folgen schien. Der von Martino Faggiani einstudierte Chor des Hauses brillierte auch aus einer Entfernung von 40 Metern in einem Rund hoch über der Bühne. Diese Lösung musste während der Erarbeitung der Regie gefunden werden, als die Covid-Regeln ein Auftreten des Chors auf der Bühne noch verboten (die Männer hätten als Frauen und umgekehrt auftreten sollen).

Die einzige authentische Verdistimme dieser Produktion war im Besitz von Amartuvshin Enkhbat. Der Mongole wies neuerlich nach, dass er nicht nur wunderbares Material hat, sondern auch mit seiner Phrasierung Expressivität zu vermitteln vermag. Dass er „Eri tu“ auf einem Sessel sitzend singen musste, während im Hintergrund Amelia mit dem gemeinsamen Sohn „König“ spielte, war eine Zumutung, die der Künstler durch seine stimmlich großartige Leistung überwand. Piero Pretti war ein sehr solider Gustavo, mit nicht ausreichend Raffinement für „E‘ scherzo od è follia“, der aber insgesamt überzeugte, auch weil er sich immer wieder um schöne Piani bemühte. Maria Teresa Leva erwies sich mit lyrischem Sopran erneut als zu leicht für dramatische Verdirollen, und wie in Macerata als Aida gelang ihr das lyrische „Morrò“ viel besser als das dramatische „Orrido campo“. Die Regie war ihr nicht behilflich, als sie bei Anckastroms Auftritt nach dem Liebesduett sich mit Trippelschritten einem Vorhang näherte und sich in diesen einwickelte. Da ließ Feydeau grüßen. Die Stimme von Giuliana Gianfaldoni (Oscar) klang in der Mittellage eher farblos und allzu leicht, aber die Höhen gelangen gut und überstrahlten die Ensembles. Anna Maria Chiuri hatte nicht nur nicht die Tiefe für Ulrica, sondern ihr Organ zerfiel, bei stumpfer Mittellage, in vier verschiedene Stimmen. Als Cristiano machte Fabio Previati seine Sache gut, Fabrizio Beggi und Carlo Cigni waren einprägsame Verschwörer Ribbung und Dehorn (begleitet allerdings von Visagen, die nicht einer Gruppe von Verschwörern, sondern der kriminellen Unterwelt entsprungen schienen. Cristiano Olivieri (hier kein Richter, sondern gar Justizminister) und Federico Veltri (Diener des Grafen, nicht Amelias) waren die zuverlässigen Comprimari.

Fazit: Ein interessantes Unternehmen, stimmlich nicht immer ganz überzeugend umgesetzt, aber im Gesamteindruck der Mühe wert.

Eva Pleus 21.10.21

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma