Aachen: „Die verkaufte Braut“

Zum Ersten

Premiere am 05.06.2016

Braves Mädel

Liebe Opernfreund-Freund,

Bedřich Smetanas „verkaufte Braut“ ist kein einfaches Werk. Vom Komponisten selbst wird sie als „komische Oper“ bezeichnet, obwohl die Geschichte an sich aus heutiger Perspektive gar nicht komisch ist. Schließlich geht es in dem 1866 uraufgeführten Werk streng genommen um eine angebahnte Ehe, um das Arrangement, das Eltern ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Kinder zusammen mit Hochzeitsanbahnern treffen, und um die damit verbundenen seelischen Nöte der Protagonisten. Da liegt in der heutigen Zeit vielleicht der Vergleich zu Kulturkreisen, in denen Zwangsverheiratung an der Tagesordnung liegt, nahe. Wer allerdings eine sozialkritische Deutung des ursprünglich in Böhmen angesiedelten Stoffes erwartet, wird in Aachen enttäuscht.

Krušina und seine Frau Ludmilla wollen ihre Tochter Marie mit Vašek, dem stotternden und geistig ein wenig minderbemittelten Sohn vom Großbauern Mícha und seiner zweiten Frau Háta verheiraten. Doch Marie verweigert sich, weil sie Jeník liebt, der Míchas Sohn aus erster Ehe ist, was aber niemand weiß. Auf Drängen des listigen Heiratsvermittlers Kezal willigt Jeník ein, seine Braut für 300 Gulden zu verkaufen, allerdings nur unter der Bedingung, dass Marie nur einen Sohn von Mícha heiraten darf. Als dies bekannt wird, ist die Dorfgemeinschaft empört, auch Marie ist dermaßen gekränkt, dass sie sogar in eine Ehe mit Vašek einwilligt. Doch Jeník lüftet noch rechtzeitig seine Identität, alles wendet sich zum Guten und Marie heiratet vertragsgemäß Míchas Sohn – Jénik.

Die junge Regisseurin Béatrice Lachaussée hat sich dazu entschieden, die Geschichte als das zu erzählen, als das sie vom Komponisten und seinem Librettisten Karel Sabina konzipiert ist – als komische Oper, allenfalls mit einem kleinen erhobenen Zeigefingerchen versehen. Dies tut sie vor an einen Bretterverschlag erinnernder Kulisse, die Dominique Wiesbauer ihr gebaut hat. Die beschränkt den Raum zusätzlich und zeigt auf der Bühne die Enge, in der sich das Individuum im 18. Jahrhundert bewegen muss. Die Spalten zwischen den Latten ermöglichen herrliche Licht- und Schattenspiele, so dass sich die ausgefeilte Beleuchtung von Dirk Sarach-Craig stimmungsvoll entfalten kann. Auf Tschechien weist lediglich ein Plakat hin, das an der Bretterwand hängt, verortet ist das Ganze eher nationslos im Land der konservativen Spießigkeit. Die hinreißenden Kostüme von Nele Ellegiers zeigen vom 50er-Jahre Kostüm über Witwe-Bolte-Outfits und alpenländische Tracht alles, was man hierzulande mit Kleinbürgertum in Verbindung bringt. Die kunstvoll ondulierten Frisuren der Damen erinnern an mit Haarspray betonierten Kopfschmuck der Sängerinnen aus dem Musikantenstadl und machen zusammen mit allgegenwärtigen Geranien das spießige Idyll komplett. Die Zirkustruppe im letzten Akt ist da schon rein optisch skurriler Gegenpart. Wie in einem Panoptikum vereinen sich hier hyperaktiver Zirkusdirektor, mit Beinschiene versehene Tänzerin und Indianer im Conchita-Wurst-Look zu einem spaßigen Trio. Die Französin spickt ihre Lesart mit allerhand kurzweiligen Gags, ohne allzu platt zu wirken. Sie hat zwar noch nicht gelernt, dass auch Nicht-Aktion durchaus ein Stilmittel sein kann, das man einmal auskosten darf, um so vielleicht ein wenig mehr Innigkeit in die intimen Momente des Werkes zu legen. Doch die Produktion ist ein gelungener Spaß, der dennoch auch Platz für die Tragik in der Situation Maries oder der Figur des Vašek lässt. So ist ein, wenn nicht überragender, dann doch unterhaltsamer Opernabend gelungen, der in der zweiten Hälfte noch einmal deutlich an Fahrt aufnimmt.

Das ist unter anderem auch dem engagierten Dirigat von Justus Thorau zu verdanken, dem 1. Kapellmeister am Aachener Haus. Der junge Dirigent schlägt mitunter rasende Tempi an und ringt der stellenweise doch recht eintönig mit Lokalkolorit durchzogenen Partitur durch geschickte Wechsel zusätzliche Farben ab. In der Titelrolle brilliert Camille Schnoor , die ab der kommenden Spielzeit am Gärtnerplatztheater zu erleben sein wird. Ihr feiner Sopran verfügt über genug Kraft, um ihr neben einer berührenden Arie im letzten Akt auch die durchaus streitbare junge Frau abzunehmen. Dazu spielt sie hervorragend. In dieser Hinsicht wird sie nur von Keith Bernard Stonum übertroffen, dem vielleicht heimlichen Star des Abends. Der junge Amerikaner, Mitglied des internationalen Opernstudios Köln, haucht dem bedauernswerten Vašek mit dermaßen großem Fingerspitzengefühl Leben ein, dass die Figur glücklicherweise eher anrührt als der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Seine ansteckende Spielfreude, sein Gespür für komödiantisches Timing und nicht zuletzt sein klarer, heller Tenor machen ihn absoluten sehens- und hörenswert. Ein wahrhaft großes Talent! Sein Halbbruder Jeník wird von einem darstellerisch sehr präsenten Chris Lysack mit sattem Timbre und eindrucksvoller Höhe ausgestattet. Woong-jo Choi wertet den Kezal, der hier weniger gewitztes Schlitzohr als berechnender Geschäftsmann ist, mit imposantem Bass auf. John Zuckerman , Suzanne Jerosme und Stefan Hagedorn sind ein schreiend komisches Zirkusgespann, als Elternpaare komplettieren Irina Popova und Jorge Escobar sowie Sanja Radi ši ć und Pawel Lawreszuk mehr als solide. Der Chor hat viel zu tun in diesem Werk, in dieser Inszenierung sogar viel zu tanzen.

Elena Pierini hat ihn hörbar sorgfältig auf seine Aufgabe vorbereitet und auch dafür gesorgt, dass auch in den Massenszenen eine hervorragende Textverständlichkeit gegeben ist – wird doch auf Deutsch gesungen (und zusätzlich mit Übertiteln unterstützt). Namenlos aber nicht unerwähnt bleiben muss leider die bezaubernde Statistin, die der Zirkustruppe durch pantomimenhaften Tanz zusätzlichen Reiz verleiht.

Das voll besetzte Opernhaus hat hörbar Spaß an der Produktion, applaudiert frenetisch und begeistert und spart nicht mit Bravorufen, die vor allem immer dann nicht enden wollen, wenn Camille Schnoor oder Keith Bernard Stonum sich zeigen.

Mein Fazit: Wer eine „Braut“ in verkopfter Regietheater-Lesart will, wird in Aachen enttäuscht. Wer das Werk als das sehen will, was es meiner Ansicht nach ist – einen Bauernschwank auf der Opernbühne, wird hier voll auf seine Kosten kommen und das Haus mit einem breiten Lächeln verlassen.

Ihr Jochen Rüth aus Köln / 6.06.2016

Die Fotos stammen von Wil van Iersel.