Aachen: „Tannhäuser“

Zum Zweiten

Besuchte Vorstellung am 13.03.16

Premiere am 07.02.16

Sternstunde des Wagnergesangs

Eigentlich war ich zum Privatvergnügen zu einer Aufführung an das Aachener Theater gefahren, ohne daß eine Kritik angestanden hätte, doch manchmal zeigt eine einfache Repertoirevorstellung, was an unseren Theatern möglich ist: Natürlich hatte ich mich auch für die Inszenierung von Mario Corradi interessiert, dmr in der letzten Saison am gleichen Haus eine sehr überzeugende "Luisa Miller" gelungen war, der jetzt mit "Tannhäuser" den ersten Wagner seiner Karriere auf den Weg brachte. Um es kurz zu machen, ein durchaus interessanter Ansatz, der die Ritter zu katholischen Geistlichen werden ließ, da im Zölibat ja immer noch der große Spagat zwischen geistigem Leben und Sexus besteht, auch sehr aktuell. Bühne und Kostüme von Italo Grassi bilden durchaus ansprechend einen klerikalen Raum, der Hörselberg mit einer Venus/Marilyn Monroe findet im Kopf des Priesters Tannhäuser statt, da klappt mancher Bezug, anderes bleibt eher vage. Im zweiten Akt wäre eine stärkere Veränderung des Bühnenbilds möglich wie nötig gewesen. Leider gelingt dem Regisseur bei Wagner nicht die lebendig leidenschaftliche Darstellung, die ihm mit Verdi gelungen war. Insgesamt jedoch eine ordentliche Szene, über die man diskutieren und nachdenken kann.

Das eigentliche Wunder findet in Aachen musikalisch statt; und ich muß gestehen, daß ich in den letzten Jahren keine solche Wagneraufführung gehört habe, die mich so sehr bewegt und mitgenommen hätte, obwohl deren durchaus gute in meiner Aufführungsliste zu finden sind. Wagner selbst hatte sich von seinen Interpreten einen italienischen Gesangsstil gewünscht, hier in Aachen wird es durch die Bank weg zur Wirklichkeit. Beginnen wir mit der Titelpartie, einer der gefürchtetsen Heldentenorpartien: Paul McNamara singt einen stimmschönen Tannhäuser ohne jeglichen Einbruch durch alle drei Akte, dabei kann man fast jedes Wort verstehen. Die "Erbarme Dich Mein"- Rufe im Finale des zweiten Aktes werden zum existenziellen, wie wohlklingenden Erlebnis, die absolut unter die Haut gehen. Die Romerzählung bleibt, ohne jede veristisch gestaltete Phrase, immer gesanglich auf Linie, so habe ich das noch nicht "live" gehört. Irina Popova hatte vor Jahren mit Verdis Desdemona einen unvergessenen Einstand am Aachener Haus geliefert und mit vielen Partiem die Zuhörer erfreut, mit der Elisabeth setzt sie einen erneuten Höhepunkt. Die Hallenarie singt sie mit jubelnd jugendlichem Impetus, leuchtende Höhen, gesunde Tiefen, feine Übergänge und innige Teilnahme lassen ihre Elisabeth zu einem Erlebnis werden. Das Duett mit Tannhäuser wird zu einem der vielen Glanzstücke an diesem Abend, das Gebet überzeugt mit starker Verinnerlichung. Hrolfur Saemundsson singt seinen Wolfram wie einen Gartenspaziergang, viele Farbschattierungen bringte er mittels einer abgestuften Dynamik zu Klingen, wann hört man je so eine wundervoll italienische "mesa di voce" bei Wagner ? Woong-jo Choi bricht leider aus diesem Triumpf heraus , weil er in seinen solistischen Momenten sehr selbstverliebt auf Dauerforte seines grandiosen Bassmaterials setzt, daß er anders könnte zeigt sich bei vokaler Zurücknahme in den Ensembles, da singt ein großes Talent noch weit unter seinen Möglichkeiten. Sanja Radisic verkörpert nicht nur optisch eine veritable Venus, sie bleibt mit ihrem lodernden, dramatischen Mezzosopran der schwierigen Partie auch sanglich nichts schuldig. Mit Pawel Lawreszuk (Biterolf), Benjamin Werth (Reinmar von Zweter), Laura Lietzmann (Hirte); und den tenoralen Gästen Johan Weigel (Walther von der Vogelweide) und Fritz Steinbacher (Heinrich der Schreiber) bleibt man auf ansprechender Augenhöhe.

Kazem Abdullah scheint Wagner sehr zu liegen , denn er dirigiert einen frischen, emotionalen Klang aus quasi erster Hand, das Sinfonieorchester Aachen zieht engagiert und ohne nachlassende Konzentration mit, besonders schön das Vorspiel zur Hallenarie, das federt und leuchtet. Kleiner Wunsch, die sehr direkte Akustik des Aachener Hauses bei den Forte-Stellen mehr zu berücksichtigen, würde die Leistung perfekt machen. Die Chöre und Extrachöre unter Elena Pierini ziehen auf dem Niveau mit, mit leichten Abstrichen bei den Tenören, aber wir sind in Aachen nicht in Berlin oder Bayreuth. Obwohl letztere sicherlich froh wären solch ein musikalisches, vor allem gesangliches Können zu erreichen. Eine Aufführung zum Mitschneiden und immer wiederhören, sicherlich das Beste was ich in den letzten Jahren an Wagneraufführungen gehört. Respekt und Komplimente an die ausführenden Künstler für diesen sensationellen Abend. Bitte unbedingt hinfahren, denn auch die Alternativbesetzungen für Tannhäuser und Elisabeth versprechen Außerordentliches.

Martin Freitag 21.3.16