Zum Zweiten
als Leichenfledderer
Premiere am 11.02.2018
In seiner Einführung zur Premiere in Aachen meinte Christoph Lang, Dramaturg der Produktion, dass die neue Inszenierung mit den vorangegangenen Aufführungen dieser Mozartoper in den letzten Jahrzehnten nicht zu vergleichen sei. Der Regisseur Joan Anton Rechi wolle Mozarts Intentionen wieder Ernst nehmen, indem er dessen Bezeichnung des Don Giovanni als opera buffa Geltung verschaffe. Man durfte gespannt sein.
Rechi verlegt den Schauplatz der Handlung in eine Kunstgalerie, in deren Räumen (Bühne: Gabriel Insignares) eine Vernissage mit männlichen Aktbildern von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert sowie mit Männertorsi nach Art des „Torso vom Belvedere“ gezeigt werden. Unter die mit schrillen, bunten Kostümen (Merce Paloma) und mit schwarzen Gesichtsmasken gekleideten Vernissagebesucher mischen sich die Protagonisten der Handlung, allen voran Don Giovanni, der in bester Konkurrenz zu den anderen männlichen Konterfeis auf einer Treppe zur Galerie ein junges Mädchen vernascht, was sofort den Zorn Donna Annas, der heimlichen Geliebten Don Giovannis (so die nicht neue Interpretation des Regisseurs), hervorruft. Donna Anna spielt ihrem herbeieilenden Vater die ruchlos Verführte vor und provoziert dadurch den Streit zwischen Don Giovanni und dem Komtur. Don Giovanni bereitet dem mit einem Revolver Nachdruck verliehenen Protest des Komturs ein jähes Ende, indem er den Vater mit einem der Marmortorsis erschlägt.
Und nun nimmt das, was das Regieteam unter opera buffa versteht, seinen verhängnisvollen Verlauf. Die „Leiche“ des Komturs wird mit Maske und Federbusch herausgeputzt und wie eine Puppe an den verschiedenen Stellen der Ausstellungsräume platziert. Besonders Don Giovanni und Leporello sind dauernd damit beschäftigt, die Sitzposition der „Leiche“ zu retten und eine vorzeitige Demaskierung zu verhindern. Dabei lässt der Regisseur keine noch so flache, geschmacklose Slapstickszene aus, die bei den meisten Zuschauern auch immer wieder zu großem Gelächter, bei nicht wenigen Besuchern aber auch zu fassungslosem Kopfschütteln führt. Wenn sich im Schlusstableau des ersten Aktes Donna Elvira, Donna Anna und Don Ottavio als Festgäste verkleiden, dann steckt sich Donna Elvira Luftballons in ihr Mieder, um die nötigen Kurven zu erzielen. Wie lustig, dass einer der Luftballons mit einem lauten Knall platzt.
Schließlich macht sich Don Giovanni über seinen getöteten Widersacher her und plündert alle Wertgegenstände aus dessen Tasche. Es ist nicht zum Lachen, es ist nur noch zum Weinen! Ach ja, der Komtur ist gar nicht tot, sondern erlebt auf dem großen Fest zum Schluss seine wunderbare Auferstehung, wird dann aber von Don Giovanni in den Schwitzkasten genommen und stirbt an einem Herzinfarkt.
Nach der Pause wird es im zweiten Akt partiell besser und es gibt sogar eine Szene, die überzeugt und nachdenklich macht. In ihrer großen Schlussarie, die eigentlich der Tröstung Don Ottavios gelten soll, ruft Donna Anna per Handy Don Giovanni herbei, wodurch noch einmal deutlich wird, dass sie um ihre eigene Verführbarkeit nur zu gut weiß. Don Giovanni ist nicht der abgrundschwarze Bösewicht der Barockzeit, er ist ein einsamer, von Erlebnishunger getriebener Individualist, der in vielem das verkörpert, was auch die Frauenfiguren in dieser Oper umtreibt.
Wenn dann zum Schluss die nun tatsächliche Leiche des Komturs im Nachthemd zum Festmahl erscheint und Don Giovanni mit den Plastikbändern, mit denen die Polizei die Kunstobjekte vor den Besuchern abgesperrt hat, erwürgt, so wirkt dieser unreflektierte Realismus unfreiwillig komisch. Aber es geht ja – noch einmal sei es gesagt – um die Wiederbelebung der „opera buffa“!!
Die musikalische Seite der Aufführung konnte den Abend vielleicht nicht retten, versöhnte aber weitgehend mit der vom Publikum allerdings einhellig beklatschten Inszenierung. In der Titelpartie überzeugte Hrólfur Saemundsson schauspielerisch und sängerisch ungemein. Sein wunderbar geschmeidiger, dabei durchaus viriler Bassbariton wird nicht nur den dramatischen, sondern gerade auch den lyrischen Passagen der Partie (Duett mit Zerlina, Ständchen) voll gerecht. An Bassgewalt wird er sogar noch von Woong-jo Choi als Leporello übertroffen, der dem umtriebigen Diener auch durch sein agiles Spiel Charakter und Profil verleiht. Patricio Arroyo als gebeutelter Verlobter Donna Annas gestaltet seine Partie mit viel tenoraler Wärme, wenn auch mancher Spitzenton etwas vibratoarm daherkommt. Michael Terada als Masetto gibt ein erfrischend jugendliches Portrait der Figur. Ang Du, der durch die Inszenierung so sehr gebeutelte Vater Donna Annas, trumpfte in der Schlussszene mit schwarzem Bass eindrucksvoll auf.
Von den Damen konnte am meisten die Zerlina von Suzanne Jerosme einnehmen, die mit leuchtendem hellen Sopran zu gefallen wusste. Netta Or singt die anspruchsvolle Partie der Elvira gerade auch in den schwierigen Koloraturpassagen ohne Fehl und Tadel, auch wenn man sich vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein etwas weicheres Stimmbild wünschen würde. Katharina Hagopian als Donna Anna berührt vor allem immer dann, wenn sie ihren lyrischen Sopran dazu nutzen kann, leise und eher verinnerlicht die Zerrissenheit der Gegenspielerin Don Giovannis darzustellen.
Opernchor Aachen (Elena Pierini) und Sinfonieorchester Aachen unter Leitung von Justus Thorau waren bemühte Sachwalter der herrlichen Musik Mozarts. Einige Wackler und Abstimmungsprobleme zwischen Orchestergraben und Bühne waren sicherlich der Premierensituation geschuldet und können bei den weiteren Aufführungen leicht ausgemerzt werden.
Das Aachener Publikum feierte alle Beteiligten ausdauernd und lautstark. Im Gegensatz zum Rezensenten folgten sie der mehr als gewöhnungsbedürftigen Buffo-Lesart des Regieteams mit großer Zustimmung.
Norbert Pabelick 13.2.2018
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Weitere Aufführungen: 17.02./04.03./09.03