Wien „Amahl und die nächtlichen Besucher“, Gian Carlo Menotti (Erste Besprechung)

Heutzutage darf ein Weihnachtsmärchen ja nicht mehr im Heiligen Land spielen, wo Gian Carlo Menotti seine Kurzoper (Spielzeit eine knappe Stunde) von „Amahl“ und den nächtlichen Besuchern ursprünglich angesiedelt hat – einst als Fernsehoper 1951 in New York uraufgeführt.

Musiktheater-an-der-Wien-Intendant Stefan Herheim, der das Stück als Kinder- und Weihnachtsmärchen angesetzt hat, verlegt es als Regisseur ins Heute – und in ein Krankenhaus, was natürlich ziemlich trostlos ist. Und wenn zu dem biblischen Amahl ja wohl auch die echten Heiligen Drei Könige kommen können – jetzt sind sie nur noch Phantasieprodukte eines kranken Kindes, das am Ende, wenn man es richtig versteht, auch noch stirbt…

(c) Monika und Karl Forster

Dass das Stück trotz des Sterbe-Ambientes funktioniert, hat wieder einmal mit Herheims Geschick zu tun. Das Krankenzimmer (Ausstattung: Sebastian Ellrich) öffnet sich in die Breite und in die Höhe, der Stern von Bethlehem beherrscht dann das Bild, und die drei Könige tanzen und singen sich als Komikerfiguren ins Geschehen hinein. Der Tenor Paul Schweinester als Kapar, der Bariton Nikolay Borchev als Melchior und  der Baß Wilhelm Schwinghammer als Balthasar (in der postkolonialen Interpretation sieht er wie ein schwarz gekleideter Pope aus) – die drei jungen Männer, alt gemacht, ziehen eine amüsante Riesenshow ab.

Tatsächlich wird mit Chor (dem wie immer vorzüglichen Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner) und Ballett (Choreografie; Beate Vollack) eine richtig hübsche Show aus dem Ganzen. Herheim hat um das Orchester – die Wiener Symphoniker muszieren launig unter Magnus Loddgard – noch einen Steg bauen lassen, der die lebhaften Spielmöglichkeiten des Ganzen erweitert.

Wenn dann viele (kranke?) Kinder (aus der Musikschule Liesing) als Englein verkleidet erst mit ihren Eltern tanzen, dann die Treppe zum Stern hoch steigen, ist dieser – wie man es nehmen kann – kitschige Effekt in der Kinderoper erlaubt, zumal Herheim, wenn Amahl mit den Königen zieht, doch stark den Eindruck erweckt, der Junge würde nun sterben und in ein besseres Jenseits einziehen…

Es ist ein ungenannter Sängerknabe, der diese Rolle interpretiert, für die Pressepremiere war es ein zarter, schmächtiger, asiatischer Junge mit Piepsstimmchen, der aber viel Temperament entwickelte, wenn er aus dem Krankenbett steigen durfte, um mit den drei Königen  zu konferieren. Die Mutter (Dshamilja Kaiser hat ihre Stimme meist, aber nicht immer unter Kontrolle)  ist als sorgende, zweifelnde Frau von heute mit einer Märchenwelt konfrontiert, so ganz überzeugend wird ihr Handlungsstrang nicht. Aber darüber singt und tanzt der Abend hinweg.

Für die Premiere saßen fast nur Erwachsene im MuseumsQuartier, die aber an der modernen Version der musikalisch angenehm plätschernden Bibel-Geschichte offensichtlich viel Gefallen fanden. Das MusikTheater an der Wien dürfte seinen Weihnachtshit sicher haben.

Renate Wagner, 16. Dezember 2022


Erste Besprechung

„Amahl und die nächtlichen Besucher“ von Gian Carlo Menotti

MusikTheater an der Wien im MuseumsQuatier

Besuchte Premiere: 15. Dezember 2022

Inszenierung: Stefan Herheim

Musikalische Leitung: Magnus Loddgard

Wiener Symphoniker

Zweite Besprechung