Wien: „Belshazzar“, Georg Friedrich Händel (Erste Besprechung)

Schon in der Werkeinführung hörte man zuerst von – Wasser. Dass es für die Milliarden Menschen auf dieser Erde nicht genug sauberes Trinkwasser gibt. Was sicherlich stimmt – aber was hat das mit dem Oratorium „Belshazzar“ von Georg Friedrich Händel aus dem Jahre 1745 zu tun? Nun, wenn man aus dem Babylonier-König Belshazzar statt eines Gotteslästerers einen verbrecherischen Ausbeuter macht, der das Wasser nicht zum Wohl seines Volkes verteilt, sondern zur persönlichen Bereicherung benützt?

Wenn man die Geschichte dermaßen hier und heute verortet wie die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole, dann stehen auch eine Menge anderer Veränderungen an. Da verwandelt sich der Perserkönig Cyrus in eine Klimaaktivistin im Guerilla-Gewand, der Prophet Daniel wird zur Biotechnologin, und wir befinden uns überhaupt in einer gänzlich digitalisierten Welt. Dass nichts, was im Text des Händel-Werkes vorgegeben ist, das Geringste mit dem zu tun hat, was auf der Bühne steht, ist man inzwischen gewöhnt.

© Werner Kmetitsch

So hat Fabien Teigné eine Bühne geschaffen, wo sich im Vordergrund meist der Chor aufhält, während die dahinter erhöhte Spielfläche so gut wie immer in zwei Teilen erscheint – vertikal. Unten für die „Echtmenschen“, denen meistens ein Kameramann vor der Nase herumtanzt, oben die Videowand, auf der man im Detail sieht, was unten geschieht. Das hat schon jüngst in der Staatsopern-„Salome“ genervt, und man fragt sich, ob man den Rest seines Lebens damit zurecht kommen muss, dass die Wirklichkeit nur zählt, wenn man sie auf einem Bildschirm serviert bekommt. Alle die wie paralysiert auf ihr Smartphone starren – auch während der Vorstellung – finden das wahrscheinlich ganz normal…

Wir sind also im 21. Jahrhundert, am besten bei Fox-News oder einem anderen amerikanischen Nachrichten-Sender, so reichlich wird man mit Inserts und schriftlichen Informationen versorgt. Was tut Belshazzar am liebsten? Er macht Party, wenn er – er bräuchte gar nicht die Wasser-Geschichte um ein Bösewicht zu sein – nicht gerade die Juden, die er versklavt hat, quält. Da gibt es erschreckende Szenen körperlicher Gewalt (Water-Boarding) und von sexuellen Übergriffen auf die armen Juden und Jüdinnen, die man übrigens daran erkennt, dass sie anstelle eines Sterns eine rote Lampe am Hals tragen…

Die übliche Glitzerparty, wo der Hausherr seinen „Song“ (es ist eine Händelarie) mit Mikro in der Hand präsentiert, ist das, was man aus der Bibel als „Gastmahl des Belshazzar“ (oder eigentlich Belsazar, wie man ihn üblicherweise nennt) kennt – als er seine Gotteslästerung nicht lassen kann, erscheint das berühmte „Meine Tekel“ an der Wand, bis heute ein Begriff, von dem viele vielleicht gar nicht gewusst haben, wo er herkommt (auch Oratorien bilden). Prophet Daniel hat die Gelegenheit benützt, dem König seinen Untergang zu prophezeien, und tatsächlich geht es in dem Werk bei Händel (und der Bibel-Vorlage) einzig um Gott – wer ihn ehrt, siegt, wer ihn verachtet und lästert, geht unter.

Davon handelt die Geschichte nun nicht mehr, eher findet man sich zwischendurch bei einer Demo, wo „Wasser für alle“ gefordert wird oder in einem Labor, man an Pflanzen experimentiert. Schließlich ist Daniel (bzw. Daniela) ja diesmal Biologin und die Freundin von Belshazzars Mutter. Der Babylonier König selbst wird hier nicht getötet, sondern, so erfährt man aus seinem Insert,  vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gestellt werden. Und Frau Klima-Partisanin Cyrus, die zuerst die Stadt erobern wollte, indem sie ihr das Wasser abgräbt (!!!), erweist sich am Ende als so edel, dass man ihr ein geradezu heiligmäßig verklärendes Schlussbild widmet…  Ach ja, und die Juden befreit sie auch. Das steht sogar bei Händel.

© Werner Kmetitsch

Von Anfang an schien das Publikum besonders entzückt davon, dass an diesem Abend eine Frau am Pult stand – tatsächlich hat man für diese Produktion das Ensemble L’Arpeggiata mit seiner Gründerin, der Multi-Musikerin und Dirigentin Christina Pluhar engagiert, hörbar Spezialisten für diese Musik, ohne den extremen „hölzernen“ Klang, den anderer „Original“-Ensembles hören lassen, und musikalisch der beste Teil des Abends. Denn ein Sängerfest wurde es leider nicht – und gerade bei Händel hätte man da wirklich nichts dagegen.

Immerhin beeindruckte der Titelheld, der englische Tenor Robert Murray, wenn auch möglicherweise fast mehr durch seine wirklich starke Darstellung des absolut zügellosen Zynikers. Die wichtigste Frauenrolle des Abends gehört seiner Mutter, wobei die aus Trinidad stammende Jeanine De Bique so schön und hoheitsvoll ist wie Grace Bumbry in ihren besten Tagen, aber gesanglich mit ihrer dünnen, schrillen Stimme keine Sekunde lang Vergnügen bereitete. Vivica Genaux ist in jeder Hinsicht, denkt man an die Rollenvorgabe, eine Schmalspur-Figur, wobei Eva Zaïcik als Daniel überhaupt nur in der Szene auffällt, wo sie das „Meine Tekel“ erläutert, im Übrigen ist sie kaum präsent. Ein Schicksal, das auch der in den lebhaften Aktionen untergehende Michael Nagl trotz seines schönen Basses teilt, ob als Juden, ob als Babylonier erweist der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) seine unerschütterliche gesangliche und darstellerische  Qualität bei allem, was man ihm als Aufgabe stellt.

Am Ende, als das Leading Team erschien, ertönte ein Buh-Orkan, den man gar nicht erwartet hatte. Offensichtlich gibt es doch Musikfreunde, die Händel nicht mit Klimaproblematik verbinden wollen…

Renate Wagner 21. Februar 2023


Belshazzar

Georg Friedrich Händel

MusikTheater an der Wien

im MuseumsQuartier

Halle F

Besuchte Premiere:  20. Februar 2023 

Regie: Marie-Eve Signeyrole

Dirigat: Christina Pluhar

Ensemble L’Arpeggiata