Premiere: 12. Dezember 2018
Warum, fragt das Programmheft alle paar Seiten, wird „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber so selten gespielt, und wir fragen mit: Warum bitte wirklich? Es gibt Opern mit weit wackligeren (auch schlechteren und dümmeren) Libretti, die sich im Repertoire halten und möglicherweise nicht unaufhörlich die musikalische Pracht verströmen wie „Euryanthe“: Irgendwie haftet dem Stück ein schlechter Ruf an. Nun ja, die Aufführung im Theater an der Wien könnte da etwas ändern. Das heißt: nicht die Inszenierung. Aber der phantastische Eindruck, den das Werk als Ganzes hinterließ.
Kurz rekapituliert: Nach dem „Freischütz“ mit seinen gesprochenen Dialogen ging Weber einen gewaltigen Schritt weiter, als er mit „Euryanthe“ eine durchkomponierte „Große romantische Oper“ schuf, was für die deutsche Opernwelt neu war. Dass er mit Autorin Helmina von Chézy offenbar dauernd um das Libretto stritt, nahm Richard Wagner (man kann seinen Artikel im Programmheft nachlesen) als ein Argument dafür, dass man sich als Komponist seine Texte am besten selbst schreibt…
An sich spielt dieses Werk im Mittelalter, in Frankreich um 1110, mit Schloß, Burggarten, Felsenschlucht. Wäre ganz interessant, wenn es einem echt talentierten Bühnenbildner einmal gelänge, für dergleichen eine (stilisierte) Lösung zu finden – jedenfalls wäre die Handlung mit König, Rittern, Gruft und einer Schlange dann etwa im Fantasy-Stil glaubwürdig. Keine Frage, dass wir wieder ein Zimmer bekommen, wenn Regisseur Christof Loy am Werk ist, wie so oft im Theater an der Wien…
Auch diesmal hat ihm Johannes Leiacker ein Zimmer gebaut, in Weiß und dermaßen tief, dass man sich an die Bühnenbilder erinnert fühlte, in die der geniale Rudolf Noelte einst gern seine Inszenierungen gestellt hat. Der Raum, vor der Pause noch mit Klavier und Eisenbett bestückt, nach der Pause leer, bedeutet wie üblich nichts. Der Regisseur kann uns das Libretto im Interview noch so prächtig erklären, die Geschichte als solche findet auf der Bühne nicht statt. Die Damen wanken in Gewändern der Fünfziger Jahre herum (Kostüme: Judith Weihrauch), nur die „Bösewichtin“ bekommt ausnahmsweise ein langes Kleid (und der Chor muss im 3. Akt in Jägertrachten auftreten, hallo Homoki, nachdem er bisher so elegant war), und alles, wovon handlungsmäßig gesungen wird, bleibt wie heutzutage üblich leere Behauptung.
Nur dass sich diesmal das Wunder ereignete – es ist egal, es geht einem nichts ab. Webers Musik fegt mit solcher Gewalt durch den etwas mehr als dreistündigen Abend, die Sänger erfüllen ihre Figuren (auch wenn sie im luftleeren Raum agieren) mit solcher Kraft, dass man einfach nur zusieht und zuhört und völlig vergisst, sich über die übliche Nicht-Inszenierung zu ärgern.
Denn da sind die Sänger – fünf, und zweifellos hat Richard Wagner später, als er den „Lohengrin“ (1850) schuf, an Webers „Euryanthe“ Maß genommen (von der durchkomponierten Struktur und mancher musikalischen Phrase ganz zu schweigen): ein lyrisch-dramatischer Sopran, ein lyrischer Tenor mit etwas Heldenverpflichtung, ein hochdramatischer Mezzo, ein hochdramatischer Bariton, ein tiefer Baß – wer die Rollen in „Euryanthe“ singen kann, kann auch die im „Lohengrin“. Nur dass es Weber zwar nicht den Sängern, aber den Zuhörern leichter macht als Wagner – es gibt zwar prachtvoll verhaltene Stellen, aber wenn die Chöre loslegen, wenn das Orchester schwelgt, da ist man in jener Tonalität, die „deutsche Romantik“ heißt und schon etwas sehr, sehr Schönes ist…
Jacquelyn Wagner wirkt so deutsch, nicht nur ihres Nachnamens wegen, ist aber eine perfekt Deutsch singende amerikanische Sopranistin mit schöner Stimme und starker Ausdruckskraft. Darstellerisch ist sie das Bild der edlen Frau, der reinen Seelen, um die herum sich die bösartigsten Intrigen ballen. (Wobei man für ihren Schlußauftritt dann allzu dumm agiert – eben ist sie noch schäbig bekleidet im Wald gestorben, und schon tritt sie, doch nicht tot, im wunderschönen weißen Abendkleid auf den Geliebten zu: Das muss ein Wald mit Superwandschrank gewesen sein. Aber man wollte sich ja über die Inszenierung, die wieder nur angibt und nichts bringt, nicht ärgern.)
So perfekt Jacquelyn Wagner die Titelrolle verkörpert – auch Ortrud kann Elsa aushebeln, wenn sie danach ist, und Theresa Kronthaler als Eglantine wiederholt den Effekt der Medea-Figur in der vorigen Premiere „Teseo“: Sie stiehlt die Show. Nicht nur, dass alles an ihr entschlossene Verbissenheit ausstrahlt (nicht jeder Sänger ist ein so überzeugender Schauspieler), sie kann lügen und schmeicheln, sie kann toben und wüten, und sie tut es auch mit einem zwar hellen, aber biegsamen, durchschlagskräftigen Mezzo: Das wirkt, das knallt geradezu ins Publikum.
Da ist der Tenorheld Adolar schon deshalb ärmer, weil er fast den ganzen Abend (er wacht erst am Ende zu „Action“ auf, dann gibt es angedeutete Rauferei mit dem Gegner) in Depressionen versinkt. Das ist traurig, da kann man als Regisseur über seelische Abgründe sinnieren, aber tatsächlich bietet das darstellerisch wenig. Norman Reinhardt singt die gar nicht so umfangreiche Rolle mit schönem Tenor, so leblos wie vorgesehen, und bleibt logischerweise blaß.
Was man von dem Bariton Andrew Foster-Williams wirklich nicht sagen kann. Er fällt ins Auge, nicht nur, wenn er eine gefühlte Viertelstunde splitterfasernackt (!!!) auf der Bühne herumirrt und singt – eine wahre Zumutung der Regie, bewundernswert von dem Sänger, sich darauf einzulassen. Bloß warum? Dass es dem bösen Lysiart nicht gelingt, Euryanthe zu verführen, hätte sich auch mit Kleidung herausgestellt? Foster-Williams hat eine Telramund-Stimme (den er, neben anderen dramatischen Wagner-Rollen, auch singt) und geniert sich nicht den Brunnenvergifter-Bösewicht auszuspielen. Interessanter als Melancholie ist das allemale…
Dazu gibt es noch einen König, wobei Stefan Cerny zwar aussieht, wie ein bebrillter CEO im Maßanzug, aber immer durch die Gewalt seines schwarzen Basses fasziniert. Eva Maria Neubauer ist als Königin nicht mehr als eine Statistin, die im Grunde eher unnötig herumwandert. Da war der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) um einiges lebhafter und nötiger.
Der ultimative Sieger des Abends stand am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien: Constantin Trinks hat Weber drei Stunden lang durch das Theater an der Wien brausen lassen, ohne zu vergessen, wie kunstvoll das Orchester (mit Soli einzelner Instrumente) geführt ist, wie der Klang von bombastisch bis zu filigranter Lyrik differenziert, wie die Stimmungen der Geschichte voll und ganz in der Musik angelegt sind.
Ihm und den Solisten galt der Jubel. Für das Leading Team gesellten sich ein paar verdiente Buh-Rufe dazu. Sie haben den Triumph des Abends nicht beeinträchtigt.
Bilder (c) Monika Rittershaus
Renate Wagner 13.12.2018