Wien: „Teseo“, Georg Friedrich Händel

Premiere: 14. November 2018

Entdecken ist etwas Schönes. Was aber, wenn man erkennen muss, dass es nichts zu entdecken gab? Dass eine unbekannte Oper zu Recht unbekannt geblieben ist? Das Theater an der Wien hat zwar viel getan, um G.F. Händels „Teseo“ für die Bühne „aufzumischen“, aber es blieb trotzdem das, was man auf Wienerisch als „verhatschtes Werk“ bezeichnen könnte.

Zuerst zur Handlung, einem wahren Eintopf aus Figuren und Motiven der Mythologie. „Teseo“ ist Theseus, aber er tröstet nicht Ariadne, tötet nicht den Minotaurus und ist nicht mit Phädra schlecht verheiratet, also alles, wofür er bekannt ist. Vielmehr geht es um den Beginn seiner Geschichte – hier kommt er als junger Mann und erfolgreicher Feldherr an den Hof seines Vaters, des Königs Aigeus von Athen, wobei weder er noch sein Vater seine Identität kennen. Dazu gibt es – schon in der antiken Sage! – einen Spin-Off der Medea-Tragödie, die offenbar die Ermordung ihrer Kinder und sonstige Blutbäder in Korinth gut überstanden hat und nun am Hof des Egeo, wie er hier heißt, als „Zauberin“ eingeführt ist (so was kann man im Krieg gut brauchen, wenn die Dame nett ist). Egeo hat Medea die Ehe versprochen, aber eigentlich will er die junge, schöne Prinzessin Agilea heiraten – sehr zu deren Entsetzen, denn sie liebt Teseo und er sie. Egeo allerdings stellt sich vor, er könne Medea los werden, indem er sie mit Teseo verheiratet… Alles keine gute Idee, kurz gesagt wird Agilea doppelt begehrt und Medea doppelt zurück gewiesen, was sie zwar in einen wahren Tobsuchts-Rausch an Eifersucht versetzt, aber noch kein spannendes Libretto für einen Fünfakter ergibt.

Es war die dritte Oper, die der noch junge, erst 28jährige Händel für London schrieb, und das Unternehmen stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Er und sein Librettist Nicola Francesco Haym bearbeiteten eine französische Vorlage, Thésée (1675) von Philippe Quinault / Jean-Baptiste Lully, was einen französisch-italienischen Zwitter ergab. Der damalige Theaterdirektor des Haymarket-Theaters, Owen Swiney, fürchtete, das Publikum könnte sich langweilen, strich die Rezitative, eliminierte die Figur der Fedra (Diener in der Medea) und verlangte weitere Änderungen. Die Premiere war zwar dem Vernehmen nach doch ein Erfolg, aber Händel hatte nicht viel davon. Nicht nur, weil Swiney nach zwei Vorstellungen mit der Kasse abpaschte (das ist wie im Kino!), sondern weil die Opernwelt danach nicht mehr allzu viel von „Teseo“ gehört hat. Selbst als „Alte Musik“ vehement wieder entdeckt wurde, kam der „Teseo“ selten zum Vorschein.

René Jacobs ist nun angetreten, dem Werk ein gewaltiges Relaunch angedeihen zu lassen – er setzte die Rezitative wieder ein, so weit sie zu finden waren, ergänzte Chöre und Orchesterpassagen (teils aus anderen Werken), machte aus einer Arie ein Duett (das ist bei Händel bekanntlich selten): Es ist im Programmheft in aller Ausführlichkeit nachzulesen, wie der Dirigent als Bearbeiter verfahren ist. Nun dauern die fünf Akte im Theater an der Wien dreieinhalb Stunden. Ob „Teseo“ in dieser (sicherlich verbesserten) Form triumphal in das Repertoire der „Alten Musik“ eintreten wird, mag man bezweifeln. Denn den genialen Schwung anderer Händel-Werk hat der „Teseo“, sieht man einmal von der Figur der Medea ab, nicht…

Das Regie-Duo Moshe Leiser & Patrice Caurier ließ Christian Fenouillat eine Zimmerdekoration bauen, die glücklicherweise nicht so öde ist wie üblicherweise bei Guth oder Loy. Das ist schon ein Barockpalast (wenn die Herrschaften darin auch mehr oder minder in Gewändern der fünfziger Jahre herummarschieren: Kostüme Agostino Cavalca), im ersten Akt noch als Lazarett benützt (es ist schließlich Krieg, und das muss heutzutage unbedingt mitinszeniert werden), dann, nach dem Sieg, schon in imperialer Pracht. Schräg im doppelten Sinn wird es dann ab dem 3. Akt, wenn Medea ihre Zauberkünste gegen die Rivalin entfesselt – da rutschen nicht nur die Stühle ganz drollig herum, da werden später auch Riesenhände hereingeschoben, die Vorhänge heben sich dramatisch. Alles, damit man auch Bilder hat, die surreal und damit „modern“ wirken… Bedenkt man, wie vergleichsweise kurz dieser Effekt bleibt, möchte man die kaufmännische Abteilung des Hauses nicht fragen, was er gekostet hat.

Wenn sich nicht Damen raufend am Boden wälzen und ein paar Höllenhunde (natürlich von Medea los geschickt, man hat dem Personal schaurige Hundeköpfe übergestülpt) an Teseo nagen, tut sich nicht übertrieben viel. Händel ist nun einmal Arie auf Arie, die sind nicht einfach, also steht man und singt sie. Wer da als Regisseur mehr tut, schadet oft mehr als er nützt.

Ein gewaltiger Knalleffekt ist dann das Ende, wobei man nicht über die wacklige Psychologie der Geschichte reden will: Da hat Medea nach ihrer wütenden „Zauberszene“ dann plötzlich doch beschlossen, dem jungen Paar nicht im Weg zu stehen. Und schon ist im letzten Akt alles ganz anders, da will sie dann Teseo vergiften. Als das nicht passiert, weil der König seinen Sohn erkennt, rauscht sie wütend davon, und man könnte schon hoffen, es ginge zügig zum Hochzeits-Happyend. Aber nein, da ist Medea wieder da und betätigt sich als Selbstmordattentäterin. Man war zwar der irrigen Meinung, das Gefäß, das sie in der Hand trägt, enthielte Gift, aber offenbar ist es doch eine Handgranate, die sie sich in den Bauch schiebt – und Wuff! Aber so genau muss man daran nicht herummäkeln…

Bleiben wir bei Medea, bei Gaëlle Arquez (die man als Glucks „Armide“ an der Wiener Staatsoper gehört hat). Sie ist Zentrum und Motor des Abends, in zwei bestrickenden 50er Jahre Abendkleidern (das zweite, rote, noch toller als das erste blaue), eine schwarzhaarige Schönheit, die mit Kraft durch ihre hochemotionale Rolle braust und alles um sich herum niedermäht. Sie bringt ihren etwas harten, aber dennoch leuchtenden Mezzo völlig mit der Figur zur Deckung. Wenn sie nicht gewesen wäre… Aber sie herrscht dann vom zweiten bis zum letzten Akt.

Wie öde es ohne sie war, zeigte der erste Akt, dessen Opfer Mari Eriksmoen war, weil sie ihn fast allein tragen musste. Nicht nur, dass man diese hübsche Person so reizlos hergerichtet hat (erst ganz am Ende darf sie ein bisschen „Prinzessin“ sein), sie hat auch die langweiligste Musik des Abends zu singen.

Aber auch Titelheld Teseo wurde vom Komponisten nicht mit wirklich mitreißenden Arien beglückt. Abgesehen davon, dass Lena Belkina einen hübschen Buben abgibt, ist ihre Stimme zu hell und zu klein, um wirklich aufhorchen zu lassen.

König Egeo ist keine sehr große Rolle, aber er hat ein paar starke Stücke, die Countertenor Christophe Dumaux (der absichtlich eine schwächliche Persönlichkeit spielen muss) voll nützt. Der zweite Counter des Abends, Benno Schachtner als Arcane, war zusammen mit seiner Liebsten, Robin Johannsen als Clizia, völlig auf der Nebenrollen-Schiene. Und die Rolle der Fedra (Soula Parassidis) ist so klein, dass man wirklich versteht, dass Owen Swiney sie gestrichen hat… Dafür legten sich die 16 Damen und Herren (je 8) des Arnold Schoenberg Chors (Leitung: Erwin Ortner) in gewohnter Weise ins Zeug, offenbar dankbar für alles, was man ihnen da in die Oper hineingezaubert hat.

Der dafür Verantwortliche, René Jacobs, stand mit der totalen Fachmann-Kompetenz am Pult der Akademie für Alte Musik Berlin, und wo Händel glänzte, glänzte der Abend auch – sonst weniger, und das war auch immer wieder der Fall.

„Teseo“ bietet nicht genug große Musik für einen mitreißenden Opernabend, der übrigens schon am Premierenabend mäßiges Interesse fand – auf der rechten Seite der Galerie-Stehplätze standen einsame vier (!) Interessenten. Das Publikum klatschte den ganzen Abend hindurch nicht ein einziges Mal in die Vorstellung herein, war aber nachher sehr freundlich. Der Applaus für Medea allerdings erreichte die Stärke eines mittleren Orkans. Zu Recht. An diesem Abend hätte die Oper „Medea“ heißen müssen.

Bilder von Herwig Prammer

Renate Wagner 15.11.2018