Premiere in Wien: 17. Jänner 2019
Das, was man in Henry Purcells Epoche unter „Semi-Opera“ verstand, war wohl als Gesamtkunstwerk gedacht: Schauspiel und Musik auf dem Theater vereinigt, Tanz, Bühneneffekte, Ausstattungszauber, Humor und Magie, alles drin – man kommt nicht um Nikolaus Harnoncourts Ausspruch herum, der den „King Arthur“ 2004 in einer Flimm-Regie bei den Salzburger Festspielen realisiert und das Werk dabei als „erstes Musical der Geschichte“ bezeichnet hat. Sprich: für die Interpretation durch die Nachwelt ist im Zeichen dieser Leichtigkeit alles erlaubt. Es ist schon in Salzburg turbulent zugegangen. Nun hat die Staatsoper Unter den Linden Berlin 2017 eine Produktion herausgebracht, die Roland Geyer offenbar für so gelungen hielt, dass er sie für das Theater an der Wien eingekauft hat. Und der Schlußapplaus nach immerhin gestrichenen dreieinviertel Stunden zeigte, dass es dem Publikum gut gefallen hat.
Purcell hat nach einem Stück von John Dryden an sich nur Elemente der Geschichte von König Artus, sprich: King Arthur, erzählt (nichts aus der Tafelrunde!), die auch dann noch so britisch-patriotisch ist wie möglich, wenn sie mit viel Humor und Ironie angepackt werden. Schließlich flattern da helfende und auch störende Geister herum, wenn Arthur in dem Sachsenkönig Oswald nicht nur einen Rivalen um die Macht, sondern auch um die Liebe der schönen, blinden Emmeline findet. Handlung gibt es furchtbar viel, allerdings von der turbulenten und eher undurchschaubaren, vor allem aber eher gleichförmigen Sorte.
Man verseht, dass Sven-Eric Bechtolf und sein Co-Regisseur Julian Crouch, der auch das Bühnenbild besorgte (und mit Projektionen viele Effekte erzielte, während die Kostüme von Kevin Pollard jede Menge komischer Pointen setzten), eine Rahmenhandlung eingebaut haben. Wenn ein achtjähriger Junge namens Arthur von seinem Großvater zum Geburtstag ein Buch mit der Geschichte von König Artus erhält, lebt er allerdings im Zweiten Weltkrieg und sein Papa ist eben mit dem Flugzeug abgestürzt. Dass die Oper – vielmehr das Schauspiel mit Musik und Gesang – für ihn zu einer Art buntem Traumspiel werden, ist keine dumme Idee, wenngleich die Geschichte – an sich nicht wirklich gedankenschwer – am Ende dann eine tragische Wende nimmt: Da lassen die Regisseure Klein-Arthur in einem Bomber steigen (so einen, wie ihn Papa hatte, der jetzt als Leiche am Tisch liegt) – Britannia forever, der nächste Heldentod ist programmiert. Der Abend mündet solcherart in Betroffenheit und war doch so lustig gemeint.
Dazwischen ist in der Turbulenz alles erlaubt, fliegende Geister, Riesenpuppen, Tölpel von Shakespeare-Zuschnitt, darstellerisch jede Art von Blödsinn, der des Theaterdirektors Striese würdig wäre, und alles wirbelt bunt durcheinander, so dass es gar nicht so sehr um die Klarheit der Geschichte geht, sondern eher darum, diese mit optischem Tohuwabohu zu erschlagen. Tatsächlich ist die inhaltliche Substanz des Ganzen nicht eben überwältigend, man hätte sich die Spiel-Szenen gestrichen gewünscht, dann hätte die Musik auch nicht nur den Charakter der Umrahmung eingenommen: Sie ist wahrlich gut genug, um im Zentrum zu stehen.
Sicher, der Sprechtheater-Teil hatte seine Meriten, er hatte vor allem einen absoluten Höhepunkt in Gestalt von Oliver Stokowski, der als Osmond ein böser Intrigant auf der Seite der feindlichen Sachsen ist, eigentlich aber immer wieder eine Art von schamlos-witzigem Conferencier des Geschehens abgibt (mit einem Glanz-Solo vor dem Vorhang), zweifellos eine darstellerische Spitzenleistung, die für Tempo sorgte, wenn die Sache manchmal schleppte. Hoch amüsant auch Meike Droste als Mutter des kleinen Arthur in der Rahmenhandlung und Gattin des Königs im „Traumspiel“. Wenn die Blinde mit Hilfe der Geister ihr Augenlicht wieder erhält und sich erstmals im Spiegel sieht, macht die Darstellerin daraus wahrlich ein Kabinettstück. Man muss nicht alle Darsteller nennen (der Arthur des Michael Rotschopf bleibt unauffällig), aber immerhin verwandelt sich Jörg Gudzuhn vom Großvater zum Merlin, und Sigrid Maria Schnückel setzt in beiden Welten komische Akzente.
Von den Sängern hat Martina Janková (Bechtolf hatte sie als Despina in seiner Salzburger „Cosi“) die reichsten Aufgaben erhalten und darf als Luftgeist Philidel mutig über der Szene schweben – sie lässt viele, viele ganz hohe Töne hören (hat sich Thomas Adès hier für seinen Ariel in „The Tempest“ Inspiration geholt?), nicht alle klingen gleich gut, aber ihr drolliger, oft unverschämter Charme bewährt sich in allen Rollen. Allerdings hat auch Kollegin Robin Johannsen manch Schönes zu singen.
Dazu kommen zwei wohlstimmige Tenöre (Johannes Bamberger und Mark Milhofer), ein Altus (ein tiefer Counter, bemerkenswert), der aufhorchen lässt (Rodrigo Sosa Dal Pozzo) sowie zwei Bässe: Eine der berühmtesten melodischen Einfälle von Purcell ist die berühmte Frost-Szene mit ihren Streicher-Ostinati, von der sich Philip Glass viel abgeschaut (abgehorcht) hat – die dazugehörige Arie bekam samt schnapperndem Frieren Jonathan Lemalu, aber auch Dumitru Madarašan war nicht schlecht bedient.
In Berlin war die Akademie für Alte Musik unter René Jacobs für den Abend zuständig gewesen, in Wien übernahm ihn der Concentus Musicus Wien, der unter der Leitung Stefan Gottfried leider meist Harnoncourt-trocken klang, auch das barocke Blech (die Stärke dieser Musik) glänzte nicht wirklich. Dafür hat der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) wieder eine seiner Glanzleistungen gesetzt.
Alles in allem wäre an diesem überbordenden, unter seinen (meist nicht sonderlich originellen) Ideen schwankenden Abend weniger mehr gewesen – aber das bezieht sich nicht auf die Musik…
Renate Wagner 18.1.2019
Bilder siehe oben Zweitbesprechung