Augsburg: „Der König Kandaules“

Oper von Alexander Zemlinsk

Premierenkritik vom 27. 09. 2015

Als Richard Wagner im Jahre 1841, in tiefster persönlicher Not, in Paris gezwungen war, seinen ersten Entwurf zur Oper „Der fliegende Holländer“ an die Pariser Oper zu verkaufen, damit das Werk anschließend von einem anderen Librettisten ausgefertigt und von einem anderen Komponisten komponiert werden konnte, war das sicher die schwerste Niederlage, die einem jungen, aufstrebenden Dichterkomponisten bereitet werden konnte. Gleichwohl war Wagner von sich und seinem Werk so überzeugt, dass er es anschließend doch selbst noch ausführte (ohne Aussicht auf eine Aufführung!) – sein Ergebnis wurde ein Welterfolg, der heute noch die Spielpläne rings um den Globus beherrscht. Als Alexander Zemlinsky knapp hundert Jahre später in einer unvergleichlich größeren Not steckte und sein Werk für eine Aufführung in Amerika ins Gespräch brachte, reichte ihm ein Hinweis auf evtl. auftretende Schwierigkeiten, um es ad acta zu legen. Und nun streitet die Musikwissenschaft, ob die posthume „Vervollständigung“ eine Großtat sei, oder ob das Werk nicht vielleicht doch Rätsel und Schwächen (vor allem aber: Längen!) bietet, die eben – trotz inzwischen erfolgter Inszenierungen an neun Theatern und zwei CD-Produktionen (die ihrerseits Mitschnitte von Theateraufführungen sind) – nicht zu einem globalen Erfolg geführt haben…

Zemlinsky, davon überzeugt, dass seine erste Opernproduktion in Amerika ein Erfolg werden müsse, legte das Werk selbst beiseite und schuf andere Kompositionen. Beabsichtigte Änderungen (insbesondere im 1. Akt) verwarf er, bzw. sind nicht erhalten. Aus einer sehr komplizierten Quellenlage hat Antony Beaumont das Werk „rekonstruiert“ und zu großen Teilen instrumentiert. Bei aller Anerkennung dieser Fleißarbeit, ist ein „Originalwerk“ auf diesem Wege freilich nicht entstanden. Ich glaube auch nicht, dass die Ursache der Abwendung des Komponisten von seinem Werk die angebliche Fragwürdigkeit der „Bett-Szene“ im 2. Akt gewesen sein kann, dann hätte er ja am 1. Akt nichts ändern wollen müssen. Vielmehr scheint das Werk in seiner inhaltlichen Struktur sich einem Erfolg auf der Opernbühne zu widersetzen…

König Kandaules, am eigenen Überfluss förmlich erstickend, will seine „Schätze“ mit anderen teilen, ausgerechnet gehört seine eigene Frau in erster Linie dazu, die er zunächst einmal zwingt, etwas zu tun, was sie nicht tun will – sich vor anderen zu entschleiern. (Das wird bei dieser Geschichte billigend in Kauf genommen, während man dem Wagner vorwirft, dass er seine Senta vom Vater „verschachern“ lässt.) Der Gegenspieler Gyges, ein armer Fischer, bringt erst einmal seine Frau aus Eifersucht um (dass ihr wegen Trunkenheit zufälligerweise die Hütte abbrannte, bleibt ungesühnt!), was allgemeinen Beifall findet (bis auf Nyssia, des Kandaules Frau, finden es alle völlig in Ordnung!) Als ein geheimnisvoller Ring ins Spiel kommt, der seinen Träger unsichtbar macht, und Kandaules Interesse am Fischer findet, entsteht die Idee, diesem seine Frau Nyssia „in voller Schönheit“ zu präsentieren, was auch stattfindet; Nyssia glaubt, die schönste aller Nächte mit ihrem Mann verbracht zu haben – in Wahrheit war es der Fischer, der nun, von Gewissensbissen geplagt, seinen Tod von ihr einfordert. Diese allerdings wechselt folgerichtig die Fronten: sie verlangt vom Helden der Liebesnacht den Tod des Königs – widerstrebend wird dem entsprochen – und ruft anschließend Gyges zum neuen König und ihren Herren aus. Diese Dreiecksgeschichte ließe sich in zehn Minuten wiedergeben, alles andere – die Freunde des Gyges, die sein Glück mit ihm teilen sollen – sind Staffage, wenig charakterisiert, nicht individualisiert, keine Gelegenheit bietend, theatralisches Kapital aus ihnen zu schlagen. Schon bei meiner, in diesem Fall sehr umfangreichen Vorbereitung auf das Werk, war mir das immer das größte Rätsel: die Langeweile, die sich ausbreitet, bevor das Stück im letzten Drittel des Abends endlich mal losgeht (Und der Abend ist mit einer Spieldauer von fast drei Stunden eindeutig überdehnt!)

Die Augsburger Aufführung konnte diese Schwächen schon deshalb nicht beseitigen, weil man von ausnahmslos allen Beteiligten den Text meist nicht verstehen konnte, obwohl das Werk in der Originalsprache – deutsch – gesungen wurde. Daran war sicherlich zu einem großen Teil auch das sehr auftrumpfende Orchester schuld, das die Leute an vielen Stellen erbarmungslos zudeckte. Das ist mein einziger Einwand gegen diese Aufführung.

Die Inszenierung hat in verblüffender Weise einen anfangs amüsanten und kurzweiligen Abend aus diesem Material gemacht, indem es ihr gelang, es als Vorlage für eine Groteske zu nutzen, die es eben auch sein kann und indem sie bestimmte Vorgänge „entschärfte“ (z.B. bringt der Fischer seine Frau wohl um, allerdings ist das keine reale Person, sondern nur eine Puppe und Nyssia lüftet tatsächlich nur ihren Gesichtsschleier, steht also nicht entblößt vor den „Freunden“, wie auch die einst so anrüchige Bettszene mit viel Geschmack und bewundernswerter Dezenz dargeboten wurde, Voyeure kamen mit Recht nicht auf ihre Kosten!). Trotzdem gelingt der Aufführung die Kurve in den Ernst der Geschichte – als es im zweiten Teil in den Keller der Lüste geht, beginnt wirklich eine spannende Auseinandersetzung, die bis zum Schluss anhält. Insofern verneige ich mich mit großem Respekt vor Søren Schuhmacher, der die Inszenierung auf der „Grundlage konzeptioneller Ideen“ vom erkrankten Lorenzo Fioroni übernommen hat und dem es gelang, die Gratwanderung zwischen Groteske und Krimi zu meistern. Paul Zoller hatte ihm dafür einen adäquaten Bühnenrahmen geschaffen und besonders die Kostüme von Annette Braun unterstrichen die Absicht, Groteske und Ernsthaftigkeit nebeneinander zu stellen.

Daran sind freilich in dominierender Weise die drei Protagonisten beteiligt, die den Abend dann doch noch zum Erlebnis werden lassen. Insbesondere Oliver Zwarg kann als Fischer Gyges nicht nur mit seiner darstellerischen Glaubhaftigkeit, sondern vor allem mit einer gesunden und großen Baritonstimme überzeugen, die man – in dieser Qualität – in Augsburg in den beiden vorausgegangenen großen Opernproduktionen leider vermissen musste. Matthias Schulz hätte möglicherweise seine Leistung noch steigern können, wäre ihm der Übergang vom Karikierenden des Anfangs zur heldischen Ernsthaftigkeit besser geglückt; auf dieser Strecke blieben leider Wünsche offen. Bleibt Sally du Randt, die als Nyssia anfangs sehr verhalten in Aktion tritt, sich gegen Schluss hin immens steigert, bewundernswert, wie sie auch in dieser Partie das „Singen“ nie aus der Kontrolle verliert, selbst als besonders gegen Schluss das Orchester erbarmungslos zuschlägt. Von den sieben kleineren Partien hat sich mir lediglich der neu verpflichtete Bass Young Kwon seiner auffallend schönen Stimme wegen eingeprägt, der die beiden Partien des Philebos und des Kochs übernahm, wohl deshalb, damit die „Freunde“ des Kandaules die Zahl „sieben“ erreichen, denn die „gnomenhaften Zwerge der Disneywelt“ sind als Anspielung im Kostümbild der Aufführung ausdrücklich gewollt.

Domonkos Héja stand erstmals als GMD am Pult einer Augsburger Opernpremiere und er kostete die Vielschichtigkeiten der Zemlinskyschen Musik bzw. der Instrumentation von Beaumont voll aus, auch merkte man ihm die Freude an, mit einem so kompetenten Orchester wie den Augsburger Philharmonikern zu arbeiten – leider mit wenig Rücksicht auf die Szene, was anfangs zu völliger Unverständlichkeit führte, später, als die drei Hauptprotagonisten ins Spiel kamen aber eben auch dem Verständnis hinderlich war. Da gibt es noch viel Arbeit – übrigens auch im Hinblick auf die Sanierung des Hauses: an der Akustik müsste dringend sehr intensiv gearbeitet werden, sie erwies sich nicht nur bei „Tristan“ und „Elektra“ als schwierig, sondern behinderte auch bereits das Verständnis von Rezniceks „Blaubart“ und Korngolds „Ring des Polykrates“.

Das Publikum folgte der Aufführung mit Disziplin und spendete am Ende einen wohlwollenden, aber dennoch verhaltenen Applaus. Dass dem Werk der „Durchbruch“ in Augsburg gelingt, glaube ich nicht. (Der Computer der Deutschen Bahn „verfügte“ mir eine Rückfahrt mit zwei Stunden Wartezeit auf dem nächtlichen Münchner Hauptbahnhof, wo immer noch Flüchtlinge auf dem Fußboden campieren – was hätten die wohl gemeint, hätte man ihnen diese „Abendunterhaltung“ vorgeführt – – – so viel nur zur vor Ort beschworenen Aktualität des Werkes in der gegenwärtigen Flüchtlingssituation…)

Werner P. Seiferth 30.9.15

besonderer Dank an MERKER-online

Bilder A.T. Schäfer

OPERNFREUND CD Tipp

Im Gegensatz zur geradezu unverschämt teuren Aufnahme mit Nagano und den Berlinern ist diese hier ein Schnäppchen für Zemlinsky-Fans. Red.