Augsburg: „The Fairy Queen“, Henry Purcell

„They shall be as happy as they‘re faire“. Man könnte es auch anders ausdrücken: „Wir können auch Trost und Ablenkung, Unterhaltung und Teilhabe bieten.“ So zu lesen auf der Rückseite des Programmhefts und im Editorial des neuen Spielzeithefts 2023/24.

© Jan-Pieter Fuhr

In der Tat: Mit Henry Purcells Semi-Opera, die zugleich ein ganzes Ballett ist, mit der „Fairy Queen“ also hat das Staatstheater Augsburg eine bunte „show“ auf die kleine Bühne im martini-Park gestellt, die das Augsburger Publikum offensichtlich genau dort abholt, wo es steht: Es will unterhalten sein. Natürlich ist die „Ballettoper“, die der Orpheus Brittanicus Ende des 17. Jahrhunderts als höfisches Spektakel komponiert hat, gut dazu geeignet, eine auf unkompliziertes Amüsement gepolte Zuschauerschaft zu erfreuen – die Produktion will denn auch nichts mehr als das: mit einem Meisterwerk des frühen englischen Barocktheaters zwei sog. beschwingte Stunden verschaffen. Zwar diente seinerzeit „Shakespeares“, also Edward de Veres, des 17. Earls of Oxford, „Midsummer Night‘s Dream“ als Grundlage, aber letzten Endes hatte die Szenenfolge mit den musikalischen Einlagen nicht mehr allzu viel mit der Vorlage zu tun. Was heute in der Regel von Purcells Opus übrig bleibt, war nicht das Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik, Gesang und Sprechstück, sondern ein (fast) reinrassiges Musiktheater-Event mit besonderer Berücksichtigung des Tanzes. Augsburgs Chefchoreograph und Ballettdirektor Ricardo Fernando hat der Geschichte die größtmögliche Farbe gegeben, indem er zusammen mit dem Bühnenbildner Pascal Seibicke den drei Akten die Kolorierung einer 70er-Jahre-Bühne verlieh, in dem sich die „Elfen“ (uniform gekleidete, weißhemdige Gestalten mit Mr.-Spock-Ohren) und die Menschen tummeln.

© Jan-Pieter Fuhr

Als hätte man an Brechts Trennung der Bühnenelemente gedacht, als man das Konzept entwarf, bewegen sich im Fall der Allegorien der Vier Jahreszeiten, des Elfen-Corps und Pucks, eines guten Altus: Constantin Zimmermann, sowohl Tänzer als auch Sänger auf der Bühne; die Begleitschritte zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter wirken so zufällig wie ergänzend. Besonders gut gefiel mir der erste Auftritt der Elfenschar, die mit ihren an silberne Spiegelscherben erinnernden Applikationen, geradezu swingend, eine zauberhafte Wirkung entfalteten – so wie Titania und Oberon aus dem Märchenreich zwischen Purcells Ära und der Gegenwart zu kommen schienen: sie – Olena Sloia – leider im akustisch nicht sonderlich guten Ersatztheaterraum leider etwas zu leise, er – Avtandil Kaspeli – ein gleichsam russischer Bass, der mit der trockenen Akustik keinerlei Probleme hat. Vokal gefielen mir besonders die Hermia der Camilla Davies (die auch den entzückenden Sommer aus ihrer Kehle entließ) und der Demetrius von Roman Poboinyi, während der getanzte Zettel des Afonso Pereira nicht allein die sexuell inspirierte (und gleichzeitig singende!) Titania auf Knien tragen, sondern auch, als primus inter pares, die Kohorte der Handwerker dominieren konnte – eine Truppe, die, ein bisschen zu betont „lustig“ gröhlend, „Stimmung“ verbreiten soll, was, dem Applaus nach zu schließen, tatsächlich gelingt. Auch die harmlos turtelnden und sich nach den Gesetzen eines naiven Theaters streitenden Liebespärchen erhalten Szenenapplaus.

© Jan-Pieter Fuhr

Leicht, heiter, naiv: so könnte man den Abend charakterisieren, der mit 90 Musikminuten das Original um etwa ein Viertel zulässig kürzt, in einem Fall auch Änderungen am Original vornimmt. Der berühmte Song des betrunkenen Dichters wird hier nicht vom „poet“, sondern von Oberon, Titania und den Elfen angestimmt, weil der Elfenkönig so besoffen ist, dass er des Spotts seiner lieben Genossen und Gemahlin sicher sein kann. Man muss nicht gleich davon ausgehen, dass darin eine der psychologischen Begründungen dafür liegt, dass sich die von Pucks Blume verzauberte Titania ohne Zeitverlust in die Arme des verzauberten Handwerkers begibt. Um den kleinen Spiel-Raum zu erweitern, werden die Elfen, also der Opernchor des Staatstheaters, in der Echo-Nummer – das ist sinnvoll – über die Tribünenseiten nach vorn geschickt, während auf der eigentlichen Szene das antwortende Terzett agiert. Die Augsburger Philharmoniker geben derweilen unter ihrem GMD Domonkos Héja einen instrumentalen Sound dazu, der, obwohl nicht völlig „historisch informiert“, wie das Zauberwort lautet, einen Purcell ins Heute bringt, der in seiner maßvollen wie engagiert musizierten Historizität gut modern klingt – so wie die Inszenierung zwischen Damals und Heute (und den 70er Jahren mit ihren quietschbunten Flächen) zu vermitteln vermag, ohne bei ihrem Gang in die Tiefe zu gehen. Aber schon der unbekannte Bearbeiter des „Shakespeare“-Stücks legte ja keinen Wert auf eine ernsthafte Interpretation des tiefsinnigen Schauspiels. Zuletzt ist es ja schön, dass Purcells wunderbare Musik, vermutlich zum ersten Mal, den Augsburgern live nahe gebracht wird: als pure Unterhaltung und Ablenkung von Allem, was heutzutage grau oder schwarz ist.

Frank Piontek, 6. Juni 2023


The Fairy Queen

Ballettoper  von Henry Purcell und Thomas Betterton (?)

Premiere am 2. April 2022

Besuchte Vorstellung: 2. Juni 2023

Inszenierung und Choreographie: Ricardo Fernando

Musikalische Leitung: Domonkos Héja

Ballett Augsburg / Opernchor und Solisten des Staatstheaters Augsburg / Augsburger Philharmoniker