Basel: Vielschichtiges „Intermezzo“

‚Einen Jux wollt‘ er sich machen, der Richard Strauss’, so könnte man sich anfänglich denken beim Anschauen und -hören von ‚Intermezzo‘, der musikalischen Komödie von Richard Strauss, die vom Basler Theater neu aufgenommen wurde. Dieses selten gespielte Stück rund um eine Ehekrise, wirkt zuerst wie ein Schwank : Ein Eindruck, der sich in der Basler Inszenierung durch Slapstick-Einlagen, viel Einsatz von Körpersprache und Pantomime noch verstärkt.

Und doch ? Die Strauss’sche Musik ist tief, mehrschichtig und sehr berührend. Das Drama um vermeidlichen Verrat, Eifersucht und verletztem Stolz in den Beziehungen der Protagonisten, die offensichtliche Tiefe der Verletzungen, und die Intensität der Gefühle sprechen deutlich gegen wirkliche Oberflächlichkeit. So läuft die Produktion auf zwei doch sehr diversen Schienen und müsste, zum wirklichen Verständnis dieser Beiden, eigentlich auch gleich zweimal rezipiert werden; visuell und akustisch.

Zum Stück bemerkt der Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch:

‚Die Grenzen zwischen Oper, Operette und Schauspiel verschwimmen. Strauss suchte mit diesem Stück in den frühen 1920ger Jahren eine neue Form der Spieloper und bezeichnete sie als ‚bürgerliche Komödie‘.

Strauss hatte den Wunsch nach Frau ohne Schatten eine moderne, ganz realistischen Oper ‚im Sinne der damals aufkommenden neuen Sachlichkeit zu schreiben. Strauss: ‚ Den Wunsch hatte ich schon lange im Stillen gehegt.‘ Sein Librettist Hugo von Hofmannsthal lehnte ein solches Projekt jedoch ab mit den Worten: ‚Das sind ja für mein Gefühl wahrhaft scheussliche Dinge, die Sie mir da proponieren.

Dann empfahl er Strauss dafür den Dichter Hermann Bahr, der aber nach mehreren von Strauss nicht geschätzten Fassungen Strauss empfahl dieses Libretto doch selbst zu schreiben.

Dabei kam es zu den wahrscheinlich hyperrealistischen Dialogen, in denen man wähnt Zeuge der ‚Szenen der Strauss’schen Ehe‘ zu sein. Die Geschichte basiert denn auch auf einer wahren Begebenheit im Leben von Richard und Pauline Strauss aus dem Jahre 1903:

Musiker auf Wiener Tournee mit einem Straussstück hatten einer jungen Dame eine Freikarte versprochen, sie aber nie geschickt. Diese, im Stück ‚Miete Mücke’, unter dem fälschlichen Eindruck sie habe mit Richard Strauss selbst gesprochen, fandete nach seiner Adresse und schrieb ihm einen Brief in dem sie ihn an ihr vermeintliches Treffen in Wien erinnerte und die Freikarte reklamierte. Der Brief wurde von Gattin Pauline geöffnet und prompt missverstanden. Sie sah darin den Beweis eines Seitensprungs ihres Mannes und reichte, tief verletzt, die Scheidung ein. Während Monaten wurden alle Erklärungsversuche von Richard Strauss abgewiesen. Was an dieser Episode wirklich erstaunt ist, dass Pauline Strauss, die ihren Mann stets wie einen überflüssigen Störenfried in seinem eigenen Haus zu betrachten schien, nicht nur mit Empörung, sondern auch mit tiefem Schmerz auf diese angebliche Episode reagierte.

Die Straussschen Eheturbulenzen waren in der Münchner Gesellschaft und der ganzen Musikwelt Legende. Die dominante und oft geringschätzige Haltung der ehemaligen Sängerin Pauline de Ahna ihrem Mann gegenüber wurde stets kommentiert. So musste Richard Strauss in der Villa in Garmisch, die er sich speziell zum ruhigen Komponieren weitab des Lärmes von München und mitten in der von ihm so geschätzten und bewanderten Natur gebaut hatte, sich zum Komponieren in das enge und mit Geräten verstellten Bügelzimmer zurückziehen, da seine Gattin den Rest des Hauses ‚in Ordnung‘ haben wollte. Auch beschrieben Besucher entsetzt, dass Pauline sie zuerst bei den Besuchen von Strauss fernhielt weil ‚er schlafe’, sie dann mit boshaftem Klatsch langweilte, um dann plötzlich ins Schlafzimmer zu marchieren und dem schlafenden Strauss so laut ins Ohr zu schreien, dass dieser vor Schreck buchstäblich aufrecht im Bett stand. Nie wurde irgendein Protest von Strauss gegen diese Behandlung kolportiert; sondern, im Gegenteil, immer nur mit Erstaunen von dessen Verteidigung der Marotten seiner Frau gesprochen.

Doch ganz sprachlos scheint dieser seiner Frau gegenüber nicht gewesen zu sein glaubt man dem Text von’Intermezzo’, immerhin von Strauss selbst verfasst.

Er: ‚Du tust wie wenn Du in einem Schloss geboren wärst‘ moniert Strauss ihre diversen Allüren. Die ‚Hölle des häuslichen Dasein bleibt Beiden nicht verborgen. Sie: ‚Du bist immer zu Hause. Deine ewige Anwesenheit‘ geht ihr auf die Nerven. Das Streitgespräch geht fechtmässig weiter, wobei seine Schläge nur etwas schwächer und weniger tödlich sind. Doch genau so engagiert.

‚Er ist kein ‚Damenmann‘, beklagt sich seine Frau, mit dem man gemütlich sitzen und plaudern kann.‘ Was sie offenbar sehr vermisst und darum fast auf schmeichelnd komplimentierende Schmarotzer hereinfällt. Sie möchte, dass ‚er aufbrausend und brutal wird wie ein richtiger Mann.‘

Dieser verbale Schlagabtausch wirkt authentisch und zeichnet in den gegenseitigen Anwürfen ein scharfes Charakterbild der Beiden. Er wirkt zwar weniger aggressiv und tendenziell friedfertiger als sie; doch ganz sicher nicht als Opferlamm. Eher entzieht er sich ihr durch Reisen und Proben; was sie wiederum hilflos wütend macht. Doch man vermutet einen starken inneren Zusammenhalt der Beiden. Effektiv kommt es als Überraschung wie tief die Verletzung des vermeintlichen Verrats bei ihr ist und wie sehr die Trennung Beiden zusetzt. ‚Sie liebten und sie stritten sich, doch sie konnten voneinander nicht lassen‘. Diese alte Volksweisheit scheint hier aufs Deutlichste bestätigt. Richard Strauss muss dies auch gefühlt haben, denn seine Musik dazu drückt die selbst erlebten und beobachteten Gefühlszustände aufs Intensivste aus.

Im Stück heissen Richard und Pauline Strauss, nur wenig verfremdet, Hofkapellmeister Robert Storch und Frau Christine. Auch ein ‚Baron Lummer‘ kommt vor, der sich Christine Storch als Gigolo andient um ihr Geld aus der Tasche zu ziehen. Genau wie in der Straussschen Wirklichkeit.

Bei der Premiere wurde das Interieur der Strauss Villa in Garmisch auf der Bühne nachgebildet.

Auch, dass der Sohn im Stück wie der Strauss Sohn Franz heisst, Hauptperson Robert Storch wie der Komponist ein leidenschaftlicher Skatspielen ist und zum Frühstück Hagebutten-marmelade bevorzugt, sowie auch das stadtbekannte schroffe und äusserst fordernde Verhalten von Pauline Strauss gegenüber ihren Bediensteten gehört zu den Parallelen von Spiel und Realität. Diese Einblicke in die Strauss’sche Intimität wurden vom Münchner Publikum teilweise begeistert goutiert, teilweise aber als peinlich empfunden.

Insofern ist ‚Intermezzo‘ vielleicht ein Fore-Runner, ein Vorläufer, der heute so vielfältig und allüberall grassierenden Reality Shows. Allerdings versehen mit einer Musik, die trotz der ‚neuen Sachlichkeit‘, durchwegs romantisch ist, facettenreich und tief berührt. Das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Clemens Hell lotet diese Nuancen kundig aus

Der Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch bleibt beim Bühnenbild fast minimalistisch, indem er nur eine runde Spielfläche und darüber einen übergrossen Lampenschirm im Stil der etwas angestaubten 50ger Jahre zeigt. Als einziges Requisit dienst ein rosaroter Konzertflügel. Auch die Kostüme der Darsteller sind ohne Verzierungen, doch in Bonbonfarben gehalten. Beides gibt dem Visuellen der Inszenierung eine gewisse Plakativität. Auf dieser kommen die Pantomimen, die ausdrucksvoll ausgelebte Körpersprache der Figuren, ja sogar einzelne Slapstickeinlagen, bestens zur Geltung. Der Witz der Handlung und der Sprache wird so noch verstärkt bis er teilweise ins Tragische driftet; wie wir es von grossen Mimen wie Charlie Chaplin kennen. Ganz grossartig dabei ist die junge Sopranistin Flurina Stucki als Christine Storch (Pauline Strauss), die stimmlich und darstellerisch ihre Rolle leben lässt.

Einen Jux mit Tiefgang hat uns das Theater Basel da bereitet.

Dagmar Wacker, 7.5.2021

Bilder (c) Theater Basel, Thomas Aurin

Aufführungsdaten: 9.5./ 15.5./19.5./21.5.

Digital: 14.5.2021