Bielefeld: „Ariane und Blaubart“

Premiere: 02.03.2019
besuchte Vorstellung: 19.03.2019

Märchenhafte Rarität

Lieber Opernfreund-Freund,

Paul Dukas‘ hierzulande nahezu unbekannte musikalische Umsetzung des Blaubart-Stoffes Ariane und Blaubart ist derzeit am Theater Bielefeld zu erleben. Dabei überzeugt vor allem die musikalische Umsetzung unter der Leitung von GMD Alexander Kalajdzic.

Die Entstehung des Märchens von Blaubart lässt sich ziemlich genau auf das Jahr 1697 datieren, als Charles Perrault die Geschichte um den reichen Ritter aufschrieb, der seine Frauen umbringt und ihre Leichen in einem Raum seines Schlosses verborgen hält. Der jeweils nächsten Ehefrau übergibt er einen Schlüsselbund mit silbernen Schlüsseln zu seinen Schatzkammern und verbietet ihr, den goldenen Schlüssel, der die Schreckenskammer öffnet, zu benutzen. Hält sie sich nicht an sein Gebot, bringt er sie um und verwahrt ihre Leiche zusammen mit denen seiner anderen Frauen.

Der belgische Dichter Maurice Maeterlinck hatte bereits mit seinem Libretto für Debussys Pelléas et Mélisande großen Erfolg, als er sich dem Blaubart-Stoff zuwandte und ihn in mehrerlei Hinsicht veränderte. Zum einen erhält die aktuelle Frau des Ritters, der hier – wie schon bei Offenbach und später bei Bartok zum Herzog wird, einen Namen. Mit „Ariane“ weckt Maeterlinck direkt Assoziationen zur antiken Figur, die einst Theseus aus dem Labyrinth befreite. Das wird wichtig, denn bei Maeterlinck sind die Frauen Blaubarts nicht tot, sondern im verschlossenen Raum gefangen und Ariane will sie in die Freiheit führen. Sie sind jedoch hilflos, erweisen sich als nahezu lebensunfähige Prototypen der Femme fragile – einem zur Zeit des Fin de Siecle gängigen Gegenentwurf zur Femme fatale, was sich vor allem darin zeigt, dass sie von Ariane gar nicht befreit werden wollen. Sie bleiben lieber in der gewohnten Rolle, als mit Ariane in die Freiheit zu gehen. Paul Dukas, von dem man heutzutage vor allem seinen Zauberlehrling kennt, war ein überaus selbstkritischer Komponist und dazu noch glühender Wagner-Verehrer. So fließen in seiner Vertonung die Einflüsse anderer französischer Impressionisten wie etwa des gleichalten Claude Debussy ebenso ein wie Wagners Leitmotivik und doch bewahrt sich der 1865 in eine elsässisch-jüdische Familie hinein geborene Franzose seinen eigenen, farbenreichen Stil.

Der Regieansatz von Andrea Schwalbach thematisiert die Gegensätzlichkeit der selbstbestimmten Ariane-Figur und der übrigen Frauen Blaubarts, die sie von Nanette Zimmermann wie abgeranzte Barbiepuppen im Stil der 50er Jahre mit Petticoats und Turmfrisuren ausstaffieren lässt. Zimmermann zeichnet auch für die schiefen Bühnenaufbauten verantwortlich, die sich im dritten Akt in eine Art überdimensionalen Käfig verwandeln, ein toller Effekt. Herzog Blaubart wird schon im Libretto zur Nebenfigur, Andrea Schwalbach macht ihn nun gänzlich überflüssig, obwohl sie ihm, der da eigentlich nur als Stimme auftaucht, im ersten Akt eine Omnipräsenz gibt, die sie aber nicht mit Bedeutung füllt. Vielmehr wird die Figur, die in Bielefeld absolut nicht bedrohliches oder Angst einflößendes hat, eher zum Waschlappen – und die Furcht der Barbie-Frauen vor ihm absolut nicht nachvollziehbar. Sehr schön wiederum visualisiert die aus Frankfurt stammende Regisseurin Arianes Bemühungen, die Frauen von ihrem Puppendasein zu befreien. Die wiederum fühlen sich ohne Ketten und Make-Up nackt und versuchen im Gegenzug, die mit Hosenanzug und Kurzhaarfrisur betont selbstbewusst auftretende Ariane optisch in ein liebes Frauchen zu verwandeln. Dass Schalbach den zweiten Akt so wenig düster zeichnet, ist schade. Denn gerade das Obskure beim der Annährung dieser beiden Lebensentwürfe, das sich auch in der Musik Dukas‘ widerspiegelt, die wesentlich leiser daher kommt als in den beiden anderen Akten, wird so von Anfang an in gleißendes Licht gezerrt. Im letzten Bild schließlich verliert sich Schwalbach im Symbolismus, neigt dann zu wenig klarer Personenführung und Ariane scheint dabei gar nicht zu bemerken, dass ihre treue Amme nun ebenfalls die Gefolgschaft verweigert und auch lieber in Blaubarts Gefängnis zurückbleibt.

Musikalisch stemmt das Theater Bielefeld ausschließlich mit eigenen Kräften – und die brauchen sich keinesfalls verstecken. Allen voran meistert Sarah Kuffner die Titelpartie mit Bravour, überzeugt mit engagiert-intensivem Spiel und energisch daherkommendem, satten Mezzo. Sie verfügt über eine fesselnde Bühnenpräsenz und stemmt die Mörderpartie scheinbar ohne merkliche Anstrengung. Ein Genuss! Ihr zur Seite steht Katja Starke als oberflächlich-gierig gezeichnete Amme, die stimmlich schon fast ins Altfach gleitet, so profund und gewaltig ist ihr stimmliches Volumen. Moons Soo Park als Blaubart hinterlässt weit weniger Eindruck als Yoshiki Kimura, der mich bei seinem kurzen Auftritt als alter Bauer im letzten Bild vollends überzeug und auch Dorine Mortelmans, Melanie Kreuter und Hasti Molavian lassen bei der Gestaltung von Blaubarts Frauen keine Wünsche offen. Da ist Nohad Becker prima inter pares, der mit hinreißendem Farbenreichtum eine differenzierte Zeichnung von Sélysette gelingt.

Farbenreichtum zeichnet auch das genaue und reich facettierte Dirigat von GMD Alexander Kaladzic aus, der die Bielefelder Philharmoniker zu Höchstleistungen anspornt und sich Paul Dukas‘ Partitur mit größter Akkuratesse annimmt. Da wechseln sich impressionistisches Flirren und nahezu sphärisch Klingendes mit wuchtig-imposanten Passagen, dass das zuhören pure Wonne ist und sich mir mehr als einmal vor lauter wohligem Schauer die Nackenhaare hochstellen. Das Publikum ist gleichermaßen entzückt und bejubelt alle Mitwirkenden mit langanhaltendem Applaus und auch ich kann Ihnen einen Besuch dieser Rarität trotz nicht auf ganzer Linie überzeugender Regiearbeit wärmstens ans Herz legen.

Ihr Jochen Rüth 22.03.2019

Die Fotos stammen von Bettina Stöß

OPERNFREUND CD TIPP

Eine wirklich grandiose Aufnahme. Unbedingte Redaktionsempfehlung! Witzig: bei der alten Venyl Platten Gesamtaufnahme (3 Langspielplatten) ist eine Seite leer – also unbespielt. P.B.

Post Scriptum

Von der DVD aus Barcelona können wir nur dringend abraten, obwohl sie musikalisch gut ist, denn die Inszenierung ist völlig verblödet. Alles spielt in der Irrenalstalt – ich empfand es als rausgeworfenes Geld. Einzig wg. der gelungenen 5-Kanal-Tonqualität bei abgeschaltetem Bild genießbar. P.B.